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Jay Bennett - The magnificent defeat

Jay Bennett- The magnificent defeat

Ryko / Rough Trade
VÖ: 10.11.2006

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 3/10

Die blecherne Medaille

Musik als Therapieform: "The magnificent defeat" legt Zeugnis ab. Zeugnis von einer Zeit, die nicht hinreichend zu beschreiben ist, indem man einfach nur die Nackenschläge aufzählt, die Jay Bennett hinnehmen mußte: die Scheidung von seiner Frau, mehrere Todesfälle von Bekannten, schwere Krankheit in der Familie und - in dieser Liste wohl das Geringste - die immer noch nachwirkende Trennung von Wilco. In Bennetts Haut will man wahrlich nicht stecken. Umso verständlicher dessen erste Reaktion: das Einschließen im eigenen Studio, das Musizieren alleine für den Hausgebrauch. Wenn solche Musik dann schließlich irgendwann doch ins Licht der Welt tritt, so droht ihr von vielen Seiten Ungemach: Sie kann sich zu klein machen und somit gar nicht wahrgenommen werden. Sie kann zu zerbrechlich sein und unter der eigenen Last ersticken. Sie kann sich aufplustern und damit unauthentisch werden. Oder - und dies ist bei Jay Bennett der Fall - sie kann daherkommen, als wäre nichts geschehen. Zumindest bis man sich hingesetzt hat, ein zweites Mal, ein drittes Mal hingehört hat und plötzlich merkt, daß da zwischen Text und Musik ein Raum ist: weit und leer. Und der will gespürt werden.

Alles geht los mit "Slow beautifully seconds faster": ein Song, der nicht stillhalten kann, der so viele Experimente wagt, daß er an den eigenen Widersprüchen zugrunde zu gehen droht. Das Ausrufezeichen, daß ein solcher Track am Eingang eines Albums darstellt, ist kaum zu übersehen. Als Schlüssel soll man ihn nehmen, um dann auch die späteren poppigeren und geschloßeneren Nummern auf ihren Gehalt hin zu befragen. Wo immer das Gehirn nachbessert und das Schiefe und Untypische in Bennetts Musik glättet, sollte man zurückgehen, die Irritation annehmen, ihre Eigenheit aushalten. Nicht umsonst dekonstruiert Bennett seine herausragenden Fähigkeiten als Musiker, indem er eben nicht die teuren Instrumente einsetzt, sondern auf Spielzeuge zurückgreift und die örtlichen Flohmärkte nach Klangmachern durchstöbert. So benutzt "Phone book" eine Jahrmarktsorgel, um den Hörer auf einen Trip zu schicken, der der Seele eine Achterbahn bietet und den Verstand erst gar nicht einläßt.

Neben diesen extrovertierten Vertretern aktiver Vergangenheitsbewältigungsstrategien steht einfach Schönes ("5th grade"), tief Melancholisches ("Survey the damage" mit seinem schauderhaft eingängigen "You could have been the one") und - zum Glück nur selten - Konventionelles, Uninspirierteres ("Wide open", "The palace at 4am"). Unter dem Strich ist "The magnificent defeat" sonniger Folk für regnerische Tage, ebenso eingängig wie tiefgründig. Mit sich selbst nicht im Reinen, aber gerade deshalb Kraft spendend für eigene Probleme. Musik, die einen mitnimmt - ob man sich nun für ihre Geschichte interessiert oder nicht.

Auf musikalischer und emotionaler Seite darf die Emanzipation Bennetts von seiner Zeit bei Wilco mit "The magnificent defeat" als abgeschlossen gelten. Was Benett tut, mag noch Bezüge aufweisen, in die Phase, die Wilco vor "Yankee hotel foxtrot" durchlief. Die Wege jedoch, die seitdem von beiden Seiten eingeschlagen wurden, legitimieren sich aus sich selbst. Und allem verdienten Erfolg von Wilco zum Trotz: Wer "The magnificent defeat" hört, erfährt schmerzlich, welch großartigen Musiker Wilco damals verloren haben. Musikrezensionen, die den Singer/Songwriter Jay Bennett als ganz eigenes Phänomen ohne irgendwelche Konnotationen ernstnehmen, werden also weiter auf sich warten lassen. Aber er macht es uns wirklich immer schwerer.

(Thorsten Thiel)

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Highlights

  • Slow beautifully seconds faster
  • 5th grade
  • Survey the damage

Tracklist

  1. Slow beautifully seconds faster
  2. 5th grade
  3. Wide open
  4. The palace at 4am
  5. Replace you
  6. Out all night
  7. Thank you
  8. Phone book
  9. Overexcusers
  10. Survey the damage
  11. Butterfly
  12. I'm feelin fine
  13. Gold
  14. Twice is forever

Gesamtspielzeit: 53:36 min.

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