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Beirut - Gulag Orkestar

Beirut- Gulag Orkestar

Ba Da Bing / 4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 10.11.2006

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Weltmusik

Es liegt in der Natur des Menschen (und seiner allgemeinen, nun ja, Dummheit) begründet, daß sich Typen wie Zach Condon mitunter als Tunichtgut, Taugenichts oder Rumtreiber bezeichnen lassen müssen. 20 Jahre alt, kein High-School-Abschluß, nichts gelernt. Der kann ja nur im Unterhemd dasitzen, Dosenbier kippen und Talkshows gucken. Tatsächlich erkannte Condon aber sehr schnell, daß er mit so einem Lebenslauf gar nicht erst vorstellig werden muß bei IBM oder der örtlichen Müllabfuhr. Also machte er es schon mit 16 gut, soff sich einmal quer durch Europa und schnappte nebenher alles auf, was mitzunehmen war. Irgendwo in Serbien, eine ziemlich flüssige Nacht war gerade im Gange, wurde er dann in die Spielregeln der "Zigeunermusik" eingeweiht. Einen Forrest-Gump-Moment später war er auch schon auf dem Weg nach Hause.

Nicht aber verschreckt kam Condon, der am Ende seiner Pubertät schon fertig aufgenommene, nie veröffentlichte Doo-Wop- und Electro-Platten herzeigen konnte, heim. Vielmehr völlig verzaubert stellte er sich das Kinderzimmer mit Instrumenten zu, bis er seinen Schlafplatz in den Flur verlegen mußte. Und erarbeitete sich in kleinkramigen Tüfteleien eine eigene Variante dieser jüdischen Klezmermusik, die ihn so nachhaltig mitgenommen hatte. Durchmengt mit russischer Polka (hier schaltet sich der Einfluß der Großeltern ein) und einem ausgesprochen eigentümlichen Verständnis von Indiepop, vorbildlich durchkomponiert bis hinter die letzte Trompete. "Gulag Orkestar" ist schließlich, was dabei herauskam. Und wer diese Platte richtig begreifen will, muß sie sich eigentlich von alten, zahnlosen, am Leben zerbrochenen Männern auf einem Balkanbasar vorspielen lassen.

Aber wir kommen ins Plaudern. Kämpfen muß man nämlich um diese Platte, die nicht einfach ist, auf dem Zahnfleisch ihrer Instrumente geht und immer wieder zurückkehrt zu angekratzten Leitmotiven, die Condon mit Trompete, Klarinette, Horn, Saxophon, Mandoline, Ukulele, Akkordeon, Glockenspiel, Keyboard, Klavier oder seiner leidgeprüften, bemerkenswert austrainierten Stimme in Szene setzt. Man kann von dieser Musik auf dem falschen Fuß erwischt werden. Wer aber erstmal drin ist, wird sich nicht retten können vor Leidenschaft, Fernweh, Unglück und unverfälschter Schönheit. "Postcards from Italy" muß da vorneweg genannt werden, weil es die erhabenste, sehnsüchtigste, erschütterndste Feiertagsmusik des ganzen verdammten Jahres ist. Aber auch was Condon drumherum baut, möchte man sich vor Freude in ein Fladenbrot packen.

Immer wieder werden dabei einzelne Instrumente vom Rest des Orchesters isoliert, um ihre fünf Sekunden im Licht durchzuleben, bevor sie das ordnungsbewußt austretende Schlagzeug von Jeremy Barnes (ehemals Neutral Milk Hotel) zurückruft in wackelig eingeübte Formationen. "Mount Wroclai" gerät mit Trauertrompete und erbarmungslosem Sirenenchor in einen Akkordeonwalzer hinein. In "Scenic world" zockt Condon plötzlich auf einem ziemlich unwahrscheinlichen Alleinunterhalterkeyboard. Und wenn das betäubte "Prenzlauerberg" vom dringlich getriebenen "Brandenburg" überrollt wird, ist sogar Deutschlands rougherer Osten wieder eine Reise wert. Ein High-School-Dropout aus Albuquerque, New Mexico mußte kommen, um uns daran zu erinnern. Schon seine erste Platte sieht die ganze Welt. Und wo Condon auch hinkommt - Musik ist immer das Beste, was es gibt.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights

  • The Gulag Orkestar
  • Brandenburg
  • Postcards from Italy
  • Mount Wroclai (Idle days)

Tracklist

  1. The Gulag Orkestar
  2. Prenzlauerberg
  3. Brandenburg
  4. Postcards from Italy
  5. Mount Wroclai (Idle days)
  6. Rhineland (Heartland)
  7. Scenic world
  8. Bratislava
  9. The bunker
  10. The canals of our city
  11. After the curtain

Gesamtspielzeit: 37:45 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
jup
2011-06-07 23:22:54 Uhr
The Rip Tide:

01 A Candle's Fire
02 Santa Fe
03 East Harlem
04 Goshen
05 Payne's Bay
06 The Rip Tide
07 Vagabond
08 The Peacock
09 Port of Call

30.08.
herto
2011-06-07 23:20:55 Uhr
großartige single, anzuhören unter anderem bei pitchfork.
unglaublicher ohrwurm!
tröööt
2011-06-04 02:09:47 Uhr
montag neue single, tour kommt auch, aber bisher nix in dland
musie
2011-02-25 08:47:48 Uhr
die trompete kannst von mir abkaufen. kaum gebraucht.
happsoon
2011-02-25 01:24:29 Uhr
Habe mir vor einigen Monaten das Paket "Gulag Orkestar" und "Lon Gisland" gekauft. Hat etwas gebraucht, bis ich verliebt war, aber jetzt bin ichs. Unfassbare Musik! Schon die CD ist zum Heulen schön.
Aber die besten beiden Songs sind ja wohl "Elephant Gun" und "Scenic World" von der EP. Den ersten hab ich auf ner Party gehört, so nebenbei mit halbem Ohr, eigentlich ganz unpassende Stimmung, und zum Glück am nächsten Tag direkt nachgeforscht und Beirut entdeckt. Eine Hymne an Ukulele, Akkordeon und Trompete. Ebenso Scenic World mit seiner quengeligen Einstiegsmelodie und den traumwandelnden Bläsern.
Ich hab mir übrigens wegen dieses Albums Ukulele und Akkordeon besorgt und lerne sie spielen. :) Trompete soll demnächst folgen.
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