Jesse Harris - Mineral
Secret Sun / Content / Edel
VÖ: 25.08.2006
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Halbedelstein
"Hefte raus, Klassenarbeit!" Oh nein, heute? Der Indie-Gott bestraft, daß gestern alle zur Musik von Norah Jones geknutscht haben. Ganz klar. "Don't know why" - mehr fällt einem in so einer Situation dann auch nicht mehr ein. Immerhin bekamen andere Leute dafür einen Grammy. Also nicht fürs Knutschen, aber für besagten Song: Nämlich ein gewisser Jesse Harris, King of Downtempo, der die Nummer nicht nur geschrieben, sondern ein paar Jahre zuvor bereits gemeinsam mit seiner Stammband The Fernandinos veröffentlicht hatte - ohne daß irgendjemand davon Kenntnis nahm. Auch seine Kollaborationen mit Bright Eyes, Neutral Milk Hotel oder Van Dyke Parks kauerten weitgehend in den Randbereichen der öffentlichen Wahrnehmung. Und das ist natürlich mal wieder so ungerecht wie eine unangekündigte Klassenarbeit.
Da haben wir nun den Salat aka die Aufgabenstellung: "Definieren Sie den Begriff 'Mineral' und erläutern Sie den Entstehungsprozess anhand eines Beispiels!" Vielleicht erstmal einen Schluck Mineralwasser nehmen? Dessen Kohlensäure hat zu allem Übel schon längst Flaschenflucht begangen, und auch Harris klingt ein bißchen wie Sprudel kurz vor Feierabend: unaufgeregt, relaxt, etwas schüchtern-behäbig. Man könnte aber auch sagen: charmant verschlafen. Das geht schon mit "Slow down" los, einer bezaubernden Blues-Ballade aus Velours, die sich wie ein antikes Kettenkarussell mit dezentem Orgelantrieb dreht. Acht Lieder später wird Harris augenzwinkernd eine weitere großformatige Zeitlupenaufnahme auspacken - unter dem Titel "The speed of sound". Der Mann hat sogar Humor.
Jetzt aber mal echt zum Thema: Ein Mineral ist ein natürlich vorkommender Feststoff mit einer einheitlichen chemischen Zusammensetzung und einem auch auf mikroskopischer Ebene gleichförmigen Aufbau. Und da wären wir schon wieder bei dem in Beispielhaft befindlichen Harris: Sein erstes Soloalbum ohne die Fernandinos ist nämlich eine ebenso natürlich wie homogen klingende Angelegenheit. Vierzehn spartanisch arrangierte Stücke aus einem Guß, nie überentwickelt oder gar dressiert, nie aufdringlich - höchstens anschmiegsam. Und weiter: Der spezifische Mineralinhalt liefert Informationen über die Bildung und Entwicklungsgeschichte eines Gesteins. Bei dem New Yorker sieht der spezifische "Mineral"-Inhalt ungefähr so aus: 28,3% Jazz, 28,5% klassisches Singer-Songwritertum, 43,2% Urban Folk.
"Nothing's been lost" entschleunigt in pastellfarbenen Harmonien - die könnte man "Somewhere down the road" allerdings kaum noch erkennen, weil es in der Jazz-Bar nur sanftes Schummerlicht gibt. Da trauen sich dann aber auch mal die Exoten an die Theke - Marimba und Kalimba im instrumentalen Titeltrack, der ebenso wie "Karass" einer hypnotischen, kinderliedmelodischen Endlosschleife folgt. "This is goodbye" schleicht bluesig auf Zehenspitzen; "No more" trainiert Standards, während Klavier und Gitarre im Hintergrund graziös kunstturnen. Für die "Down"-Jam-Session wurde Popeye als Schlagzeuger engagiert; alles nur, um der bildhübschen "Corrina Corrina" zu imponieren. "Holding your hand" hingegen genügt eine Akustikgitarre, um zu bewegen - wenn auch nicht die Welt. Trotzdem möchte man Jesse Harris gerührt "Come on back" hinterherrufen. Aber jetzt erstmal: Setzen, 6/10.
Highlights
- Slow down
- Somewhere down the road
- Corrina Corrina
Tracklist
- Slow down
- Nothing's been lost
- Somewhere down the road
- Mineral (Instrumental)
- This is goodbye
- No more
- Down
- Corrina Corrina
- The speed of sound
- Karass (Instrumental)
- No way out
- Still sleeping
- Holding your hand
- Come on back
Gesamtspielzeit: 46:22 min.
Referenzen
Amos Lee; Norah Jones; Katie Melua; David Poe; Sondre Lerche; Ray LaMontagne; Ryan Adams; John Mayer; Ron Sexsmith; Jamie Cullum; Harry Connick Jr.; Jackson Browne; Nicolai Dunger; Howie Beck; Elliott Smith; Damien Rice; J.J. Cale; Paul Simon
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