Bob Dylan - Modern times

Columbia / Sony BMG
VÖ: 25.08.2006
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Good Bob, Bad Bob
Natürlich, die Neverending Tour. Seit 1988 zieht Bob Dylan als Zeitreisender durch die Länder, steht jeden Abend auf einer anderen Bühne, wie ein Geist, sagt meistens kein Wort. Und letztes Jahr "No direction home", Scorseses 200-Minuten-Film. Ein Spot auf jeden Winkel in 65 Jahren buckliger Vita. Lehrstücke sind das, Musikstunden für alle, die vielleicht sogar taugen, um Dylan mal heimlich den Puls zu messen. Letztlich bleiben sie aber doch und immer der Vergangenheit verbunden, zwangsläufig, von vornherein. Antworten auf die wichtigen Fragen, "Was will er noch, was bringt er noch?", die können nur von neuen Songs kommen. Auch wenn sie nicht so explizit zu erwarten waren wie auf "Modern times". Das 44. Album, das erste seit einer verdammten gefühlten Ewigkeit. Bob Dylan today.
Man hätte ihn gerne mit einer aktuellen Tageszeitung auf dem Cover gehabt. Man glaubt es aber auch so: Dylan steigt herab, ein weiteres Mal, er spricht vielleicht nicht mit, aber wenigstens doch über uns. "Modern times" ist sein Blick auf die Welt fünf Jahre nach 9/11, jenem Dienstag, an dem "Love and theft" in den USA erschienen war. Der Ton ist mahnend und beschwörend, Dylan skeptisch, ärgerlich, böse. Aber natürlich ist er sich zu schade für das einfache Gemoser eines alten Mannes, natürlich hat er mehr zu sagen. Der Zeigefinger kümmert sich nur um Gitarre, Keyboard und Mundharmonika, das Wort im "Workingman's blues #2" um die Ausbeutung des Arbeiters, 140 Jahre nach dem offiziellen Ende der Sklaverei in Amerika. Wenn Du Bob Dylan bist, kommen Deine Themen niemals aus der Mode.
Die Musik hinter solchen Beobachtungen bringt Dylans letzte Platten, das aufbrausende "Love and theft" und das reflektierte "Time out of mind" (1997) zusammen. Sie ist Rock'n'Roll aus einer Zeit, als Rock'n'Roll noch gar nicht erfunden war, von Dylan selbst produziert, mit seiner unfehlbaren Tour-Band eingespielt. Die Songs zirkeln um einfache Motive aus Country, Blues, Folk und Rockabilly, scheinen immer wieder verschleppt und von kurzen Einwürfen durcheinandergebracht zu werden. Das Solo am Ende von "When the deal goes down" bricht sofort wieder ab, die Slide-Gitarre traumwandelt elegant durch das fleckenlose Liebeslied "Beyond the horizon". In drei Stücken sind Streicher, fast unbemerkt, wie festgewachsen an den Songs. Die Kuriositäten am Rande: Einmal wird Alicia Keys erwähnt, außerdem soll Dylan ein Video mit Scarlett Johansson gedreht haben.
Wichtiger: Dylan singt zu dem ganzen Kram, als hätte er all die dreisten Bemerkungen einfach verschluckt, die in den letzten 40 Jahren über seine Stimme gemacht wurden - oder als gingen sie ihn einen Scheiß an. Spielerisch führt er durch den ausgemachten Saloon-Schunkler "Thunder on the mountain", ohne einmal richtig den Mund aufmachen zu müssen. Grimmig grüßt er zu Muddy Waters rüber, wenn "Rollin' and tumblin'" um sich selbst kreiselt. Manisch wettert er fast am Ende in "Ain't talkin'", das sich als überlanges Abschiedslied in eine Reihe stellt mit "Desolation row" und "Sad eyed lady of the lowlands". Gute Gesellschaft.
Der Zaubersong allerdings, der steht diesmal schon am Anfang. Minutenlang wiegt sich "Spirit on the water" verschmitzt im Wind, bis Dylan plötzlich grinst und raunt: "I won't be with you in paradise / And it seems so unfair / I can't go to paradise no more / I killed a man back there." Und dann: "You think I'm over the hill / Think I'm past my prime / Let me see what you got / We can have a whoppin' good time". Die Mundharmonika verschaukelt den Song, vielleicht so zärtlich wie nie zuvor, das Album ist nach dem zweiten Stück gelaufen. Im neuen Musikexpress bezeichnen sie Dylan als "wandelndes Enigma", aber eigentlich ist die Sache doch klar: Es gibt ihn. Und es gibt all die anderen, die gerne so wären wie er.
Highlights
- Thunder on the mountain
- Spirit on the water
- Rollin' and tumblin'
- Ain't talkin'
Tracklist
- Thunder on the mountain
- Spirit on the water
- Rollin' and tumblin'
- When the deal goes down
- Someday baby
- Workingman's blues #2
- Beyond the horizon
- Nettie Moore
- The leevee's gonna break
- Ain't talkin'
Gesamtspielzeit: 62:47 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
retro |
2012-09-20 09:44:58 Uhr
dylan hat ja sogar den text von trouble no more für "sein" someday baby weitgehendst übernommen. er hat also gar nicht erst versucht, etwas zu stehlen und als sein werk zu verkaufen. allerdings hätte er dann auch gleich den songtitel belassen können. mir gefällt dylans version übrigens besser als das original von muddy waters. |
Marianne |
2009-05-31 13:30:56 Uhr
Ob man sich nun in Gareth, Al´Anf oder Punin aufhält, überall muss man auf seine Börse aufpassen, denn überall gibt es Diebe. Leute, die lieber die Früchte der Arbeit Fremder ernten. Ich will damit nicht behaupten, dass Diebstahl keine Arbeit sei. Im Gegenteil: Es ist ein Handwerk, wenn nicht gar eine Kunstform.Nur, was Dylan aus seinen "Inspirationen" da macht, ist das Gegenteil von Kunst. Nein, das ist keine Kunst, wenn das Kunst ist, gibt es keine... |
Trollkenner |
2009-05-31 13:16:04 Uhr
Da! |
Franz Schöler (Rolling Stone) |
2009-05-31 13:04:17 Uhr
@ Marianne"Der Meister heißt es,habe bisweilen auch schon mal etwas wagemutig stibitzt, Vornehmer hat es neulich noch Heinrich Detering in seiner Dylan-Monografie formuliert, als er erklärte, Diebstahl als Kunstform sei ein wesentliches Merkmal von Dylans Spätstil. Muss man nicht unbedingt gut finden!" |
Sick |
2009-05-31 12:53:43 Uhr
Er hat auch kein Problem damit seine Beinflussungen und Inspirationen zu nennen, so auch wieder beim aktuellen Werk. So zu lesen auf seiner Webseite in einem Interview das er kürzlich gegeben hat. "Someday Baby" ist übrigends eine 8/10. |
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Surftipps
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- http://www.two-riders.co.uk/
- http://www.sonyclassics.com/masked/
- http://www.imdb.com/title/tt0367555/
- http://www.laut.de/wortlaut/artists/d/dylan_bob/
- http://en.wikipedia.org/wiki/Bob_dylan
- http://republika.pl/bobdylan/mt/
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