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Cursive - Happy hollow

Cursive- Happy hollow

Saddle Creek / Indigo
VÖ: 11.08.2006

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Friede, Freude, Eierkuchen

Chuck Norris schläft nicht. Er wartet nur. Und Tim Kasher nimmt keine einfachen Alben auf. Es steckt schon ein bißchen mehr dahinter, wenn Omahas zweite Besetzung des Vorzeige-Posterboys mit seinen Bands und Ideen im Studio verschwindet. Cursives "The ugly organ", ein Meisterwerk der kleinen Gemeinheiten, handelte seinerzeit von den alltäglichen Plagen des Kunstschaffenden. Und "Album of the year", ein Meisterwerk der großen Gefühle und die jüngste Platte von Kashers anderer Gruppe The Good Life, klapperte alle Phasen einer zwölfmonatigen Beziehung ab. Von den ersten Schmetterlingen bis zur letzten gemeinsam verscheuchten Stechmücke. Es ist eben nicht sein Ding, 20 Songs zu schreiben und die zwölf besten davon zusammenzuschmeißen. Wenn Kasher Musik macht, gibt es keine halben Sachen. Oder gar Gefangene.

Das Konzept von "Happy hollow" indes ist etwas loser angelegt. Cursive mußten schwer kämpfen um diese Platte: Sie standen kurz vor der Auflösung und haben Teufelscellistin Gretta Cohn an den offenen Markt verloren. Ohne sie, aber mit Wut im Bauch geht es nun um Amerika , in 14 neuen, elendig chaotischen Songs durch dieses verlorene Land, seinen Vorstadtirrsinn, Erwachsenwerden, Zynischbleiben und Religion als einzigen echten Leitfaden. Kasher beichtet, Gott vergibt, Kasher sündigt, Gott tadelt. Irgendwas ist immer in Bewegung auf "Happy hollow", und sei es nur der Kreislauf des Lebens. Die Musik dazu ist härter als zuletzt, die Songs treten sich auf die Fersen, stolpern über-, verheddern sich ineinander. Es gibt jetzt auch Bläser bei Cursive.

Zu denen bleibt anzumerken: Sie strahlen die Feierlichkeit einer geplatzten Hochzeit aus, treffen nicht einen Ton, wenn man's mal genau nimmt, und hauen den Songs von "Happy hollow" derart viele Dellen in die Strophen, Refrains und schlecht gedeckten Seiten, daß man sie mitsamt der Platte auf einem Schrottplatz abladen wollte, wenn da nicht schon die Hunde wären. Das Album geht ähnlich los wie Modest Mouses "Good news for people who like bad news", aber es schafft danach nicht den Absprung, bleibt 45 Minuten lang hängen an durchgedrehten Trompeten, die nicht nur den Willen des gehetzten "Dorothy at forty" irgendwann kleinkriegen, sondern auch die anderen Instrumente mit ihren freigeistigen Eskapaden anstecken. "Big bang" fällt wie ein zerfressener Lumpenvorhang. Der Kampf ist verloren, das Leben ist schön.

"Happy hollow" allerdings ist genauso heiß- wie kaltblütig, nicht nur Tobsucht und verdrehte Augen, sondern manchmal auch bedächtiger Killer. "Bad sects" etwa fühlt sich an, als würde man mit Samthandschuhen erwürgt; es bleibt der einzige Song, der sich die Mühe macht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Das unsagbar zärtliche Finale, in dem sich "Into the fold" plötzlich wiederfindet, träumst Du eh nur. Die Souldiva aus "Retreat!", überrannt von einem Amateurchor, macht da sicher nicht freiwillig mit. Und die Realität sieht sowieso eher nach "The sunks" aus. Parkinson-Rock, Emo-Gitarren, "it's time to stick a fork in the merciless socket of time." Noch nie war diese Musik toter als bei Cursive.

Was die Platte dann überhaupt noch von einer Mittelohrentzündung unterscheidet? Letzteres ist eine Krankheit, "Happy hollow" hingegen die Wahrheit. "Flag and family" zum Beispiel erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte, um deren Hauptrolle sich Lindsay Lohan bestimmt nicht reißen würde. "Bad science" geht zumindest mal verheißungsvoll, ja beinahe tanzbar los, bevor ihn der gleiche Wahnsinn schluckt, der auch alle Lieder davor gekriegt hat. Und nur "At conception" macht es andersrum, strampelt sich erst ab, scheint schon verloren und findet schließlich zum einzigen, unendlich erlösenden Popmoment der Platte. Ka-thar-sis. Weil, schmerzhafter wird das echte Leben auch nicht mehr. Wenn Kasher jetzt noch sein eigenes Fitneßgerät rausbringt, ist er endgültig der Chuck Norris des Indierock.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights

  • Dorothy at forty
  • Big bang
  • At conception
  • Bad science

Tracklist

  1. Operating the hymnal / Babies
  2. Dorothy at forty
  3. Big bang
  4. Bad sects
  5. Flag and family
  6. Dorothy dreams of tornadoes
  7. Retreat!
  8. The sunks
  9. At conception
  10. So-so gigolo
  11. Bad science
  12. Into the fold
  13. Rise up! Rise up!
  14. Hymns for the heathen

Gesamtspielzeit: 45:28 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2022-04-18 13:55:02 Uhr
"Dorothy At Forty" ist Gott. So ein fantastischer Song.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2022-04-17 11:59:53 Uhr
Die Alben danach konnten mich alle dann nur noch eingeschränkt abholen. "Mama, I'm Swollen" hat tolle Songs, ist aber ein wenig durchwachsen und mir auch etwas zu glatt, "I Am Gemini" fand ich trotz des ambotionierten Konzepts immer etwas langweilig, "Vitriola" wirkte wie ein Abklatsch der "Ugly Organ" und bei "Get Fixed" ist auch wenig hängengeblieben. Da müsste ich mich aber auch mal wieder durchhören.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2022-04-17 11:56:18 Uhr
"Dorothy At Forty" ist großartig und ganz klar einer meiner liebsten Songs von Cursive. Der ist so herrlich wahnwitzig, was da alles passiert! Auch sonst eine echt tolle Sache, auch wenn ich die beiden Vorgänger noch darüber einordne. Dann kommt aber auch direkt "Happy Hollow".

boneless

Postings: 5293

Registriert seit 13.05.2014

2020-02-23 22:01:11 Uhr
Die Scheibe ist großartig, meine Zweitliebste nach Ugly Organ. Müsste ich auch mal wieder hören.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2020-02-23 18:41:22 Uhr
Eigentlich eine fantastische Idee, nach dem Vorgänger das Cello über Bord zu werfen und stattdessen ein Bläserquintett in die Band zu integrieren. Auch das Weglassen von den Beziehungsgeschichten, die ja sonst Kashers Output die meiste Zeit prägen, bringt lyrisch frischen Wind herein. Die Songs sind stark, die Bläser manchmal pompös, gelegentlich verdammt dissonant und oft genug auch beides zusammen, ohne den Sound der Band zu erdrücken, tolle Mischung.
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