Lambchop - Damaged
Merge / City Slang / Rough Trade
VÖ: 11.08.2006
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Licht am Horizont
Kurt Wagner sollte man zuerst einmal kräftig auf die Finger klopfen. Und zwar mit Schlagring, so daß der Schmerz auch haften bleibt und er daraus was lernt. Deutschland freut sich sicherlich über jeden Besuch des vielleicht bekanntesten Rückenkranken und seiner Musikerriege Lambchop aus Nashville, Tennessee. Doch in den letzten Jahren war es einfach zu viel Brimborium - bis hin zum Überdruß. Die Sorge, daß ein ähnlicher Verfall wie bei diesem Herrn Green aus New York eintritt, den man längst nicht mehr sehen mag, ist bei den zuletzt überhäufigen Tourterminen nicht abwegig.
Die Nachricht der baldigen Veröffentlichung von "Damaged" veranlaßte manchen schon zum langgezogenen Gähnen und desinteressierten Schulterzucken. Verständlich. Zuviel des Guten in den letzten Jahren ließ vergessen und verkaufen. "Aw c'mon / No you c'mon", der letzte Schlag Lambchops, verriet in aller Deutlichkeit ein um sich greifendes Mittelmaß. Instrumentale Songs, die eher in Konkurrenz zur Supermarktuntermalung standen, markierten zusammen mit lambchop-untypischem Krach die eindrucksschwache Übermacht. Schnell vergessen in Spalten und zu vielen Songschnipseln waren da stille Großtaten wie "Action figure" oder "Steve McQueen".
Zeit für "Damaged". "Paperback bible" beginnt in Andacht und Zurückhaltung. Eine schüchterne und liebevolle Anfrage an den Hörer, ob sie noch möchten, wollen und können. Ist die unnötige, bombastische Lautstärke der jüngsten Vergangenheit verziehen? Wabernde Soundflächen erfinden den zarten Spannungsbogen und münden in reduzierte Akustik, harmonieverliebte Streicher und ein nicht zu definierendes Klicken und Klacken. Kurt Wagners vokales Harmonium wispert in bedrückter Reserviertheit. Alle Kompositionen des kontemplativen Mikrokosmos "Damaged" erfahren experimentelle Ouvertüren in Neuer Musik oder minimaler Elektronik. Nicht umsonst steht der Untertitel "10 songs with interludes" geschrieben. Niemand aber soll Lambchop einen weiteren Hang zur überanstrengenden Suche nach einem rahmengebenden Konzept unterstellen. Die seelenmassierenden Introduktionen wirken nie überladen oder genrezerschneidend. Sie pressen vorsichtig Anfang und Ende in bekannte Formen und machen "Damaged" zu einer zauberhaften Choreographie in zehn Akten.
Kurt Wagner hat keine Neuerfindung vorgegeben. Symmetrie ist anfangs immer noch zu spüren. Man traut sich, trotz strahlenden Gewands ("A day without glasses") noch nicht heraus. Einzelne Elemente winken als alte Bekannte den Weg des Albums entlang. "I have waited here all day" zerschießt all die Assoziationen an frühere Zeiten und verläßt den Weg der Pietät. Die Experimente fließen mit Leichtigkeit ein in die Songstruktur. Sanft und einfühlsam steigert sich "Crackers" in eine gitarrezersetzende Arie. "Fear" ist ein wunderschönes wieder auf- und abhallendes, melodienentsagendes Rhythmikexperiment in Klassik und Pop. Und zu "Short" fehlen die Worte. Lambchop haben den Weg der Zerbrechlichkeit von "Is a woman" verlassen. Die große Spur von "Aw c'mon / No you c'mon" liegt aufgebraucht hinter ihnen. Hinter jedem depressiven Moment lauert ein langsamer, euphorischer Umschwung. Warme Reduktion und graduelle Erhabenheit. Willkommen zuhause im Neuland.
Highlights
- Paperback bible
- Crackers
- Fear
- Short
Tracklist
- Paperback bible
- Prepared [2]
- The rise and fall of the letter P
- A day without glasses
- Beer before the barbican
- I would have waited here all day
- Crackers
- Fear
- Short
- The decline of country and western civilization
Gesamtspielzeit: 48:12 min.
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Referenzen
Richard Buckner; Stuart A. Staples; Tindersticks; The National Trust; Will Oldham; The Pernice Brothers; Josh Rouse; Great Lake Swimmers; Smog; Jeb Loy Nichols; George Jones; Marvin Gaye; Curtis Mayfield; Terry Callier; Leonard Cohen; The Court And Spark; The Black Heart Procession; Archer Prewitt; Richard Hawley; William Elliott Whitemore; Elliott Smith; Souled American; Missouri; Fink; The Devastations; Wilco; Howe Gelb; Jens Lekman
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