Ron Sexsmith - Time being
V2 / Rough Trade
VÖ: 12.05.2006
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Uhrenvergleich
Paul McCartney, Elton John, Elvis Costello, Chris Martin. Was sich liest wie ein Auszug aus dem Line-Up einer Wohltätigkeitsveranstaltung, ist bloß ein kleiner Einblick in die große Schar prominenter Ron-Sexsmith-Verehrer. Viel zu lange galt der Kanadier als "Musicians' musician". Als ewiger Geheimtip. Aber auch: Als bedächtiger, sehnsuchtstrunkener Melancholiker - manch einer scheute sich auch nicht vor dem Wort "Trauerkloß". Und dabei spürte er doch schon immer so herzzerreißend schöne Melodien und harmonische Panoramawanderwege auf, daß man stets die Augen fest schließen und die Ohren so weit wie möglich öffnen wollte. Schwer zugänglich wirkten seine Songs dabei nie. Aber man brauchte einige Zeit, um in den noch viel eindrucksvolleren ersten Stock jener zunächst so schlicht anmutenden Konstrukte vorzudringen. Überhaupt erstmal die dorthin führende Treppe zu finden. Und irgendwann dann auch das zauberhaft ausgebaute Dachgeschoß zu entdecken, wo in einem Schatzkästchen die Erkenntnis wartete: "Retriever" war vielleicht doch eine der wertvollsten Albumperlen des Jahres 2004.
Für die Arbeit am Nachfolger "Time being" hat Ron Sexsmith einen alten Bekannten gewinnen können: Produzent Mitchell Froom, Begleiter der frühen Ron-Sexsmith-Alben eins bis drei und erfolgreicher Kollaborateur von Randy Newman, Crowded House, Suzanne Vega und Vonda Shepard. Merkte man "Retriever" die neue Tendenz zu Optimismus und Glücksbereitschaft schon deutlich an, führt "Time being" nun den Stimmungswandel deutlich fort. Aber dazu hat Ron Sexsmith ja auch schließlich allen Grund: Er ist mittlerweile verheiratet und zweifacher Familienvater, zudem letztes Jahr als "Songwriter of the year" mit einem der begehrten Juno-Awards - dem kanadischen Äquivalent zum Grammy - ausgezeichnet worden. Und Elvis Costello hat ihm für "Time being" seine Rhythmusgruppe ausgeliehen. Alles bestens also. Und ehrlich: Niemandem würde man es mehr gönnen.
Vierzig Minuten und einundfünfzig Sekunden. Alles beginnt mit einem Gitarrenbouquet (Mohn- und Kornblumen) und der Botschaft, daß man seinen Frieden mit den Gesetzen der Zeit machen sollte. Dann komponiert man nämlich offenbar Stücke von erhabener, gar entwaffnender Schönheit. Ron Sexsmith kokettierte noch vor zwei Jahren mit der Äußerung, er habe jetzt wohl endlich gelernt, wie man einen Refrain schreibt. "Time being" muß dann wohl seine Dissertation zu besagtem Thema sein. Es wimmelt nur so vor ohrenstürmenden Melodien und hochgradig einprägsamen, liebevollen, harmonischen Details. Erschiene dieses Wort nicht absolut unwürdig im Zusammenhang mit einem wie Ron Sexsmith, man könnte glatt hinausposaunen, daß er endlich sein "Hitalbum" veröffentlicht hat. Und sein abwechslungsreichstes noch dazu.
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Da ist das liebliche, ruhige "Snow angel", die beatleske Zuversichtshymne und erste Single "All in good time" und mit "Never give up" eine wunderbar soulig vorgetragene Folkhommage. Und dann fällt "I think we're lost" mit der Tür und allen verfügbaren Instrumenten ins Haus, als stünde "Coldplay" am Klingelschild. Die spartanisch instrumentierte Schummerlichtballade "There's a reason for our love" zelebriert die schicksalhaft vorbestimmte Zweisamkeit, und "Cold hearted wind" erweist sich als Fingerpicking-Folk-Juwel, das plötzlich die Idee hat, auf einem Westernreitturnier mitzugaloppieren. "Jazz at the bookstore" präsentiert Neil-Young-The-Band-Folkrock, den man bei Ron Sexsmith bislang noch nicht mal ansatzweise vermutet hätte.
Die größte Überraschung gelingt allerdings "The grim trucker", eine Verbeugung vor den Kinks (Vaudeville-Phase, circa 1967) und Paul McCartney (erstes Soloalbum) - ein vertonter Schalk im Nacken. Und das aus der Feder von Ron Sexsmith! Hätte man ebenso wenig erwartet wie den hüpfenden Gute-Laune-Gipfel "Ship of fools". Neben dem Blick über den musikalischen Tellerrand seines bisherigen Schaffens gibt es aber natürlich nach wie vor auch jene Songs, für die man Ron Sexsmith schon immer lieben konnte: Akustikgitarren-Kleinode, die im Falle einer emotionalen Krisensituation zum ausgiebigen Selbstmitleid-Suhlen einladen. Aber auch gleichzeitig verstehen, beruhigen und ein Gefühl von Geborgenheit schenken. "And now the day is done" ist so eine Schulter zum Dranlehnen: "It was such a pleasant dream / Til someone pulled the plug", heißt es da am Ende der vierzig Minuten und einundfünfzig Sekunden. Wie gut, daß der CD-Player noch unter Strom steht.
Highlights
- Hands of time
- Cold hearted wind
- Jazz at the bookstore
- The grim trucker
Tracklist
- Hands of time
- Snow angel
- All in good time
- Never give up
- I think we're lost
- Reason for our love
- Cold hearted wind
- Jazz at the bookstore
- Ship of fools
- The grim trucker
- Some dusty things
- And now the day is done
Gesamtspielzeit: 40:51 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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chris |
2007-01-11 17:32:30 Uhr
war gestern in Boston beim guten Ron. Sehr nettes Konzertchen. Da wandert man gutgelaunt und mit einem kleinen Liedlichen auf den Lippen durch die eiskalten Strassen.Danke Ron |
steve |
2006-07-20 01:52:06 Uhr
langweiliges album. |
captain kidd |
2006-07-19 23:18:58 Uhr
das album ist ja leider nicht so dolle. schade, ron. beim nächsten mal vielleicht wieder. |
Armin |
2006-07-19 23:03:36 Uhr
Ron Sexsmith 10.10. Hamburg - Knust 11.10. Koeln - Gebaeude 9 12.10. Dortmund - FZW 14.10. Dresden - Scheune 15.10. Muenchen - Atomic 16.10. Stuttgart - Roehre 18.10. Freiburg - Jazzhaus 19.10. L - Dudelange - Festsaal 20.10. Frankfurt - Cookys 21.10. Osnabrueck - Rosenhof ASS Concert |
Deaf |
2006-06-06 14:56:18 Uhr
Kenne bisher nur "All In Good Time", und das ist ziemlich langwilig. "Retriever" fand ich ja fantastisch, aber an's neue Album wage ich mich nicht heran. Verpasse ich da was? |
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Referenzen
Elvis Costello; Paul McCartney; The Beatles; Ray Davies; The Kinks; Nick Lowe; Jackson Browne; Traveling Wilburys ; The Band; Neil Young; Joe Jackson; Wilco; Ian Broudie; Ed Harcourt; Ryan Adams; Josh Ritter; James Yorkston; Joe Henry; Michael Penn; Jack Johnson; Daniel Lanois; Pete Yorn; Ben Lee; David Gray; Willy Porter; David Poe; Tim Hutton; Bright Eyes; Feist; The Decemberists; Bob Dylan; Julian Dawson; John Hiatt; Steve Earle; Elliott Smith; Sondre Lerche; Nicolai Dunger; Beck; Badly Drawn Boy; Jeff Buckley; Coldplay
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