Tarantula A.D. - Book of sand

Kemado / Rough Trade
VÖ: 17.02.2006
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Mit Liszt und Tücke
Lauscher aufgesperrt und Luft angehalten! Das hier ist anders. Hier klemmt jede Wortschublade. Jeder Versuch, das Gehörte zu beschreiben, rutscht aus und landet mit einer ziemlichen Bruchlandung auf dem Hosenboden. Beinahe alles, aber nichts völlig. Unerhört. Doch wagen wir das fast Unmögliche, versuchen wir, uns der obskuren Klangwelt von Tarantula A.D. mit Worten zu nähern. Aus dem Nichts schwebt eine minimalistische Streicherfigur, unablässig wiederholt, schwillt allmählich an. Leichte Dissonanzen kitzeln den Gehörgang. Urplötzlich heult ein verzerrtes Cello auf wie ein schlecht gelauntes Monster, das Schlagzeug holt zu Vorschlaghammerschlägen aus, und über Dir klatscht eine staudammsprengende Klangwolke zusammen mit einer Wucht, die Dich aus den Filmsandalen haut.
Hier klatschen Kulturen aufeinander. Das Streichquartett der musikalischen Moderne kracht mit tonnenschwerfinsterem Bluesrock zusammen. Das ist fast schon Doom. Brachial, packend, von hypnotischer Sogwirkung. Doch das wuchtige Gewitter verzieht sich und weicht einem in sich gekehrten, lyrischen Walzer mit zartschmelzender Cello-Kantilene. Das Schlagzeug mischt sich dezent ein, um dann in ein mitreißendes Hickhack zwischen sägenden Gitarren und poetischen Klangwolken aufzugehen. Dann brandet das Riff wieder auf, zermalmt die Zartheit mit tonnenschwerer Macht, reißt Dich mit in ihren Strudel.
Du ringst nach Luft. Tiefschwarzer Wüstenrock verschmilzt mit Vaudeville-Märschen. Wie ein Derwisch trietzt Danny Bensi sein Cello, Gregory Rogrove drischt auf sein Schlagzeug ein wie ein Berserker, während speckfette Gitarrenriffs brutzeln. Und mitten in die Kracheruption bricht immer wieder die Stille. Die Wolkentürme zerrieseln, wunderbar sanfte Klänge umstreicheln Deine Schläfen. Zuckerwatteweiche "Huuh"-Chöre und gezupfte Akkorde. Erinnerungen an einen Androiden mit Verfolgungswahn werden wach. Ein schwummeriges E-Piano fällt vom Himmel, alle Struktur zerbröselt und löst sich auf. Zurück bleibt nur das Klavier mit seinen seltsamen Harmoniewechseln und nebulösen Motiven. Kurz springt ein Glockenspiel zur Hilfe auf, verliert aber die Orientierung und fällt rückwärts um. Kaum mag man glauben, daß hier nur drei Musiker am Werke sind; zu vielschichtig und fast schon orchestral sind die Titel.
Tarantula A.D. schlagen eine mehrspurige Brücke zwischen den Jahrhunderten. Hier zirpen Harfen, torkelt das Klavier im Kreis, flüstert die Querflöte - ohne Angst davor, mitsamt der berstenden Klangbrocken zerrissen zu werden. Hier schlingern tequilatrunkene Latinorhythmen mit schwermütigen Akkordeonschwaden durch die Nacht. Hier darf ein Walzer noch nach sich selbst suchen, sich in verträumten Klangflächen unter seltsamen Ganztonleiterkaskaden verlieren. Das romantische Streichkonzert, brodelnde Klaviereskapaden wie bei Liszt oder Débussy, Pariser Avantgarde nach dem vorletzten fin de siècle, osteuropäische Bohème, Dreigroschen-Oper, verschrobener Salsa und Tango im Geiste Astor Piazollas. Alles mit blutspritzendem Metal und finsterem Rock verschmolzen. Kein Wunder, daß der Wahnsinn ungeduldig an die Tür klopft.
Diese Musik ist wie ein wahnsinniger Film, in dem verschiedenste Handlungsstränge verschwurbelt, gelöst und später wieder zusammengeführt werden. Gäbe es diesen Streifen auf Zelluloid, wäre es die epische Wucht von Ben Hur, die verschrobene Schrägheit im Kabinett des Doktor Caligari und die brutale Düsternis von Lost Highway und Eraserhead. Ein Wust seltsamer Kontraste und surrealer Klangbilder, der in sich jedoch komplett stimmig und organisch ist und dessen Brüchigkeit verzaubert. Die Kunst der drei kruden Multi-Instrumentalisten von Tarantula A.D. braucht keinen Gesang. Und wenn, ist er doch nur eine Klangfarbe unter vielen. Für weltentrücktes Summen und Gurren holten sie sich an verschiedenen Stellen die Stimmen solch prominenter Gäste wie Devendra Banhart oder CocoRosies Sierra Casady ins Boot.
Und dann schlugen sie auch noch einen Schlenker zu verquerem Gospel: Der Text des Titels "If you'll deny me I'll be lost" erzürnte christliche Fundamentalisten in Amerika allerdings so sehr, daß jene die Veröffentlichung verboten. So daß man den Titel nun von der Band-Website runterladen kann. Doch selbst ohne ihn: Dieses völlig ungewöhnliche Album muß man mit seinem morbiden Charme, all seinen Details, absurden Wendungen und dynamischen Höllenfahrten erst einmal sacken lassen. Gerade, weil es so anders ist. Und gerade darin so einzigartig. Wundervolle Seltsamkeit, poetische Dekonstruktion. Die pure Schönheit zertrümmerter Ruinen.
Highlights
- The century trilogy I: Conquest
- Who took Berlin (Part I)
- Palo borracho
Tracklist
- The century trilogy I: Conquest
- Who took Berlin (Part I)
- Who took Berlin (Part II)
- Sealake
- The century trilogy II: Empire
- Prelude to the fall
- The lost waltz
- Riverpond
- Palo borracho
- The century trilogy III: The fall
Gesamtspielzeit: 52:29 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Khanatist |
2006-04-08 17:50:26 Uhr
25.05.2006 - München - Monofaktur 26.05.2006 - Frankfurt - Brotfabrik 28.05.2006 - Dresden - Sunset Mission Festival 29.05.2006 - Köln - Gebäude 9 31.05.2006 - Hamburg - Molotow Ich ergänze die obige Liste mal um den Hamburg-Termin, weil ich das eben auf visions.de las. |
Ole |
2006-03-23 17:49:02 Uhr
Hm... Mitfahrgelegenheit nach Köln suchen oder hoffen, dass die Booker vom Gleis 22 sie doch noch nach Münster holen... :) |
hombre |
2006-03-23 15:59:15 Uhr
@felix oh ja stimmt, aber der Rest ist mir noch unbekannt. Das wär mal was....der 28.5. ist somit ein Pflichttermin |
feLix |
2006-03-23 13:09:11 Uhr
@hombre: Von ihrer myspace Seite: http://www.myspace.com/tarantulaadund am 24.05. sind sie laut bandpage noch in der Schweiz.... Klar. Laut dieser Liste doch auch. Nämlich im "Bad Bonn" in Düdingen ;) |
hombre |
2006-03-23 12:58:51 Uhr
@felix...wo hast du die daten her? weder die Bandpage noch die Schuene Dresden bestätigen diese Dtl.Tour. und am 24.05. sind sie laut bandpage noch in der Schweiz....Wär aber sehr schön die mal live zu erleben. |
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Referenzen
Godspeed You! Black Emperor; A Silver Mt. Zion; Fantômas; Aereogramme; ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead; The Dresden Dolls; Apocalyptica; Explosions In The Sky; Mogwai; Amusement Parks On Fire; Pelican; Isis; Neurosis; Skeleton Key; Kyuss; Slo-Burn; Led Zeppelin; Tool; Earthtone 9; 65daysofstatic; From Monument To Masses; System Of A Down; SatOnAWall; The Mass; Hella; The Mars Volta; Radiohead; Tortoise; Sigur Rós; The Dust Dive; Black Sabbath; Deep Purple; Emerson Lake And Palmer; The Smashing Pumpkins; Hope Of The States; Animal Collective; Yann Tiersen; Astor Piazolla; Kurt Weill; Igor Stravinsky; Modest Mussorgsky; Franz Liszt; Claude Débussy; Ferrucio Busoni; Frédéric Chopin; Samuel Barber; Danny Elfman; Angelo Badalamenti
Surftipps
- http://www.tarantulamusic.com/
- http://www.myspace.com/tarantulaad/
- http://www.kemado.com/bandpage/tarantula.htm
- http://www.billions.com/artists/tarantula/
- http://www.spin.com/features/band_of_the_day/2005/11/051107_ tarantula/
- http://www.mysteryandmisery.com/article/567/tarantula-ad
- http://www.hi-nu.com/musique/artiste.php?id=738
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- Tarantula A.D. - Book of sand (63 Beiträge / Letzter am 08.04.2006 - 17:50 Uhr)