Depeche Mode - Playing the angel
Mute / EMI
VÖ: 14.10.2005
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Vogelperspektive
Es spielt sich langsam ein Vier-Jahres-Rhythmus ein bei Depeche Mode. 1993 der schmutzige Elektrorock von "Songs of faith and devotion", 1997 das introspektive "Ultra", 2001 die verwunschene Lässigkeit "Exciter". Und 2005 "Playing the angel". Vier verschiedene Produzenten, vier verschiedene Ausrichtungen. Daß sich nach den zwischenzeitlichen Soloeskapaden von Dave Gahan und Martin L. Gore Grundlegendes im Koordinatensystem der Engländer ändern würde, war klar. Klarer jedenfalls als der Umstand, ob es überhaupt ein neues Album von Depeche Mode geben würde.
Denn Gahan setzte Gore das Messer auf die Brust. Er wollte mehr Mitspracherecht. Nicht immer nur dessen Kram singen, endlich eigene Songs. Hatte doch auf "Paper monsters" recht anhörlich geklappt. Doch seinem Solodebüt fehlten genau die Kleinigkeiten, die ihn auf "Playing the angel" wieder glänzen lassen. Die Raffinesse. Die abseitigen Ohrwürmer. Gores unnachahmliche Fähigkeit, subtile Eingängigkeiten zu servieren, die mit düsteren Farben zum Leuchten gebracht werden. Kurz: das Teamwork. Genau das findet allen Vorabkonflikten zum Trotz auch auf dem elften Album der Briten erneut mit traumwandlerischer Sicherheit statt. Und das Beste: Die gegenseitige Konkurrenz belebt das Geschäft derart, daß Depeche Mode mal eben das beste Album seit "Violator" gelungen ist.
Wer die Songs im einzelnen geschrieben hat, wird schnell zur Nebensache. Drei von Gahan, neun von Gore. Einer besser als der andere. Jedem gelingt eine verteufelt ausgewogene Mischung aus Zeitlosigkeit und Moderne, aus Verzweiflung und Hoffnung, aus Lärm und Wohlklang. Jeder stürzt sich in den Abgrund und breitet dann noch die Flügel aus. "Playing the angel" eben. Doch es sind schwarze Engel, die hier kreisen. Das Album könnte eine harte Nuß für all jene sein, die sich nach dem geschmeidigen Vorauskommando "Precious" auf relaxten Pop gefreut haben. Dabei deutet es schon die Single an: So behutsam auch dort von liebevoller Fürsorge erzählt wird, so subtil entblößt der Song allmählich seine dunkle Seite. Gore macht sich Sorgen um seine Kinder, die gerade die Scheidung ihrer Eltern erleben müssen. Und so resigniert auch der Song gegen Ende, ohne Schwung einzubüßen.
Es sind diese Blicke unter die Oberfläche, die die ganze Tiefe von "Playing the angel" erkennbar werden lassen. Eine Forschungsreise in Stereo. Immer wieder lauern neue Unwägbarkeiten. Von links und rechts tauchen Störungen und Hindernisse auf. Nach und nach verzieren klitzekleine Details das Songgeländer oder reißen gar ganze Stücke aus dem Arrangement. Und doch gewinnt am Ende die souveräne Melodie. "A pain that I'm used to" ist Prototyp solcher neuen Qualitäten. Der Opener beginnt erst einmal mit einer fies verzerrten Gitarre, bevor ein Blubberbaß übernimmt. Schwarzlicht flutet den Groove, Gahan beschwört das eigene Ungemach, und Gores Gitarre tröstet mit Sanftmut.
Produzent Ben Hillier (U2, New Order, Blur, Elbow) war es, der am Ende aller beeindruckenden Arbeit das Songdutzend auswählen mußte. Und er wählte vortrefflich: Der zackig ausgefräste Siliziumblues "John the revelator" gospelt sich in elektrostatische Katharsis, "Suffer well" bebt mit stetigem Tritt auf die Bassdrum den Staub von antiken Frequenzmodulationen, und "The sinner in me" verzweifelt zu zerfallenden Riffs. Später predigt "Nothing's impossible" - mit dem Tunnelblick des Depressiven zwar - unbegrenzte Möglichkeiten, und in "Damaged people" verschönern eisige Glocken Gores Hadern. "We're damaged people drawn together / By subtleties that we are not aware of." Faszinierende Künstlichkeiten, aber diese Gänsehaut ist echt. Hin- und hergerissen zwischen Himmel und Hölle verleiht "Playing the angel" nämlich Flügel. Eine "black celebration", fürwahr.
Highlights
- A pain that I'm used to
- John the revelator
- Suffer well
- The sinner in me
- Damaged people
Tracklist
- A pain that I'm used to
- John the revelator
- Suffer well
- The sinner in me
- Precious
- Macro
- I want it all
- Nothing's impossible
- Introspectre
- Damaged people
- Lilian
- The darkest star
Gesamtspielzeit: 51:48 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20059 Registriert seit 10.09.2013 |
2022-10-23 00:07:02 Uhr
Wahnsinnig starkes Album, eines ihrer absolut besten. Mein Favorit ist "Nothing's impossible". |
Mr. Orange User und News-Scout Postings: 2952 Registriert seit 04.02.2015 |
2022-10-22 23:45:30 Uhr
Ganz ehrlich: Die Akkordfolgen von „Suffer Well“ und die Moll-Dur-Wechsel hat es so noch nie zuvor gegeben. Muss man sich mal vorstellen, war ja immerhin 2005. Und diese Dur-Moll-Wechsel, Bereitet mir noch heute absolute Gänsehaut! |
kingsuede Postings: 4302 Registriert seit 15.05.2013 |
2022-05-29 23:49:02 Uhr
Aus gegebenem Anlass mal hoch. Mochte ich früher gar nicht so sehr, habe aber mehr als meinen Frieden mit PTA geschlossen. |
Christopher Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 3668 Registriert seit 12.12.2013 |
2019-10-11 19:10:31 Uhr
Dieses Album hat mich damals komplett überrascht. Ich mochte "Exciter", aber insgesamt war das Album zu klinisch. "Playing the angel" war natürlich Fanservice erster Güte, aber die Songs waren größtenteils wirklich stark. Danach ging es steil bergab. |
werft |
2018-11-21 20:03:31 Uhr
1. A pain that I'm used to 9/102. John the revelator 9/10 3. Suffer well 8/10 4. The sinner in me 9/10 5. Precious 8/10 6. Macro 8/10 7. I want it all 8/10 8. Nothing's impossible 9/10 9. Introspectre – 9/10,leider zu kurz,sonst 10 10. Damaged people 8/10 11. Lilian 8/10 12. The darkest star 8/10 bestes album nach sofad |
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Referenzen
Martin L. Gore; Dave Gahan; Recoil; Echoboy; Tweaker; Massive Attack; Faultline; Nine Inch Nails; U.N.K.L.E; Tricky; Attica Blues; Archive; VAST; Clann Zú; My Bloody Valentine; Death In Vegas; Orbital; Tarwater; Sunna; Vex Red; Paradise Lost; The Faint; Gary Numan; Xiu Xiu; Einstürzende Neubauten; Deine Lakaien; Spahn Ranch; Covenant; VNV Nation; Neuroticfish; Nitzer Ebb; Mesh; De/Vision; Jaw; Lunastoy; Distain!; Camouflage; Wolfsheim; New Order; The Cure; Elbow; Peter Gabriel; David Bowie; Kashmir; Radiohead; The Cooper Temple Clause; Dazerdoreal; Her Space Holiday; Adem; The Twilight Singers; Air; Pink Floyd; Kraftwerk
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