U2 - All that you can't leave behind

Island
VÖ: 30.10.2000
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Zurück in die Zukunft
Der Kreis der Pop-Veteranen ist zu weiten Teilen zum Trauerspiel geworden. Der Zahn der Zeit nagt stärker an den meisten von ihnen, als sie es sich eingestehen wollen. Kaum einer Band ist es gelungen, mehrere Jahrzehnte lang aktiv zu sein, ohne sich zu wiederholen, aber auch ohne beim Versuch, sich immer und immer wieder neu erfinden zu müssen, je über die Stränge geschlagen zu haben. U2 jedenfalls haben im Verlauf ihrer Karriere immer gerade noch die Kurve gekriegt und meistern diese Aufgabe auch mit ihrem neuen Album "All that you can't leave behind". Nach dem 1997er-Werk "Pop" war die Gefahr groß genug, vollkommen abzudrehen und statt Musik nur noch unverdauliche Klangkosmen zu kreieren. Stattdessen legen U2 zum Jahrtausendwechsel das fehlende Bindeglied zwischen dem gefühlsseligen "The joshua tree" von 1987 und dem clever ausgefeilten "Achtung baby" vor, das "Rattle and hum" nie sein konnte.
Die Achtziger sind im Falle von U2 nichts, was einem peinlich sein müßte. Nichts, was man mit aller Gewalt abschütteln und zurücklassen möchte. Deswegen heult die für die Iren so typische Tremolo-Gitarre von The Edge auf "All that you can't leave behind" endlich wieder beherzt auf, ohne von querulanten Synthie-Geräuschen gestört zu werden. Und Bono darf wieder aus voller Kehle leiden und vor Inbrunst beinahe das Mikrofon verschlucken, als wäre "With or without you" erst gestern gewesen. Der Opener "Beautiful day", bereits hinlänglich bekannt als offizieller Olympia-Song der Öffentlich-Rechtlichen, gibt den Weg vor: "The heart is a bloom, shoots up through the stony ground" - schon zu Beginn sind alle Dämme bereits gebrochen und den großen Gefühlen, für die U2 seit jeher stehen, wird der Raum zugestanden, den sie benötigen. So und nicht anders enthält "All that you can't leave behind" mit den getragenen Balladen "Walk on" und "Kite" Stücke, die zum Besten zählen, das die Band je vollbracht hat. Während der Drachen "Kite" vom ersten Moment an ohne Rücksicht auf mögliche Windstille abhebt, steht "Walk on" als bewegendes Statement, das man am liebsten in jede Wand meißeln möchte und das dank U2 pünktlich zur Weihnachtszeit um die ganze Welt geht. Wo U2 in den Achtzigern noch nimmermüde für Recht und Gerechtigkeit kämpften, blicken sie jetzt in erster Linie in ihr eigenes Inneres, um den Emotionen freien Lauf zu lassen. "It's a beautiful day, don't let it get away". Das Leben ist schön und besteht aus unzähligen Momentaufnahmen für die Ewigkeit.
Wo das Vorgängerwerk "Pop" noch eine faszinierende Kälte ausstrahlte, ist diese auf "All that you can't leave behind" einer behaglichen Wärme gewichen, die den Stern U2 heller denn je erstrahlen läßt. Daß "All that you can't leave behind" unter diesen Vorzeichen nicht verkopft, sondern spontan wie aus einem Guß klingt, wirkt beinahe wie ein Wunder. Insbesondere wenn man bedenkt, wie lange Bono & Co. an den elf Songs gewerkelt haben, immer wieder Kleinigkeiten geändert haben, um dann einmal mehr das ganze Stück über den Haufen zu werfen. Erst gegen Ende des Albums ist in Ansätzen die gefürchtete Ideenlosigkeit zu spüren. "New York" stottert etwas orientierunslos vor sich hin und die finale Ballade "Grace" tut nicht weh genug und schneidet lange nicht so tief ins Fleisch, wie die Iren dies mit "All I want is you" einst getan haben. Während sich die Gedanken über das Abheben vom Coverfoto wie ein roter Faden durch das ganze Album ziehen, findet die wirkliche "Elevation" nur im Kopf statt. U2 stehen mit beiden Füßen fest auf der Erde, während einem die Melodien den Boden unter den Füßen wegziehen und einen in ungekannte Höhen treiben.
Natürlich wird es auch jetzt wieder Kritiker geben, die die Orientierung zurück als Armutszeugnis sehen und sich eher eine sphärische Art-Rock-Platte Marke "Kid A" erwartet hätten. Doch U2 gelingt es bravourös, zurückzukehren ohne sich selbst zu wiederholen oder ihren Songs gar den gefürchteten "Retro"-Stempel aufzudrücken. Wer würde einem Bono schon widersprechen wollen, der einem wie in alten Zeiten ein gediegenes "Walk on, walk on / What you've got, they can't deny it" mit auf den Weg gibt? U2 haben erkannt, daß eine jede Sackgasse nicht weniger als zwei Auswege hat: Stillstand oder Umkehr. Sie haben sich für den letzteren entschieden und richten den Blick nach vorne, um mit einem prall gefüllten Rucksack Vergangenheit auf dem Rücken den sicheren Gang in die Zukunft anzutreten.
Highlights
- Beautiful day
- Walk on
- Kite
Tracklist
- Beautiful day
- Stuck in a moment you can't get out of
- Elevation
- Walk on
- Kite
- In a little while
- Wild honey
- Peace on earth
- When I look at the world
- New York
- Grace
Gesamtspielzeit: 49:23 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 29450 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-12-03 02:35:35 Uhr
"The ground beneath her feet" ist schon echt auch fantastisch. |
Huhn vom Hof Postings: 4718 Registriert seit 14.06.2013 |
2021-11-23 20:45:51 Uhr
Also "Stateless" und "The Ground Beneath Her Feet" vom Soundtrack "The Million Dollar Hotel" (2000) sind grandios. Die B-Seite "Big Girls Are Best", die anscheinend zu "Pop"-Zeiten entstand, hat auch irgendwie was. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 29450 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-11-22 20:45:01 Uhr
Gibt es ja auch ne Tods-Deluxe mit allerhand Zeug. Mal jemand gehört? Taugen da die B-Seiten und Outtakes? |
jo Postings: 4428 Registriert seit 13.06.2013 |
2020-09-17 20:00:44 Uhr
Ja, der Song ist schon wirklich ziemlich gut (und nein, diesmal habe ich mich nicht verlesen). Auch ein klasse Opener. |
Telecaster Postings: 1215 Registriert seit 14.06.2013 |
2020-09-17 19:56:08 Uhr
So ein grauenerregendes Dreckslied wie Beautiful Day kann auch nur von dieser Band sein. |
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Referenzen
INXS; The Fat Lady Sings; The The; Simple Minds; R.E.M.; The Jeremy Days; Richard Ashcroft; Tears For Fears; The Cure; Duran Duran; Del Amitri; The Mock Turtles; David Bowie; The Waterboys; Embrace; The Stone Roses; Roachford; The Afghan Whigs
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