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Nine Inch Nails - With teeth

Nine Inch Nails- With teeth

Nothing / Universal
VÖ: 02.05.2005

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Fletschers Visionen

Was ist eigentlich Zeit? Nichts jedenfalls, das Trent Reznor allzu wichtig ist. Seine Musik ist genau dann fertig, wenn er jede Eventualität, jedes zu erreichende Gefühl und jede schmerzverzerrte Harmonie bis ins kleinste Detail durchkalkuliert hat. Seit dem grandiosen Doppelalbum "The fragile" sind beinahe sechs Jahre vergangen, die er mit Remixen, einem Livealbum und akustischen Neuaufnahmen alter Pioniertaten verkürzte. Doch auch wenn man meinen könnte, daß Reznors Lärm dann wohl heranreife wie guter Whiskey, ist "With teeth" eher hochprozentiges Desinfektionsmittel.

Zärtlichkeit und Zerstörungswut. Harmonie und Dissonanz. Spontaneität und Reißbrett. Auch das fünfte reguläre Album der Nine Inch Nails schöpft seine Schallwellen aus dem Besten aller Klangwelten. So sorgfältig konturiert hier das Chaos um sich greift, so direkt fräst das Nagelstudio Reznor mal wieder durch die Nervenbahnen. Winkt sein unwiderstehliches Gespür für leidensfähige Melodien mit der weißen Fahne, lugt gleicht das Zielfernrohr seines Maschinengewehrs um die Ecke. Wie in der Single "The hand that feeds". Reznor brüllt sich den ganzen Frust von der Seele und erschafft doch einen seelenvoll trümmernden Popsong. Wahnsinn im doppelten Wortsinn.

Doch vor "With teeth" sei gewarnt: Menschen mit schwachem Nervenkostüm oder leicht aus der Bahn zu werfendem Selbstbewußtsein sollten diese knappe Stunde melodieunseliges Scheppern, ausgekostete Selbstzerfleischung und berstende Zornesader meiden. "I believe I can see the future", deliriert er in der resignierten Meisterlichkeit "Every day is exactly the same". Doch keine Selbstüberschätzung ist der Treibstoff für das Gefühlswechselbad. "I think I used to have a purpose / Again that might have been a dream." Mit dem Rücken zur Wand steht der Song vor dem Abgrund. Und ein schmeichelndes Klavier ermuntert zum Sprung.

"Getting smaller" funkt seine miniaturisierten Riffs direkt unter die Schädelplatte. "Love is not enough" pinkelt verflossenen Liebschaften aufs Gemüt. "The line begins to blur" ätzt sich den Boden unter den Füßen weg. Und der Opener "All the love in the world" zwingt den Groove per Hypnose zum Stillhalten. Wie bei "A clockwork orange". Doch hier steht der sadistische Ausbruch am Ende, nicht am Anfang. Wenn Reznor Zähne zeigt, ist das kein perlweißes Lächeln, sondern ein bedrohliches Fletschen. Wie ein hungriger Pitbull. Oder H.R. Gigers Alien. Gefangen zwischen Depression und Tollwut. Zwischen subtiler Aggression und offener Klangsabotage. Zwischen der treppensteigenden Zutraulichkeit von "Only" und dem angefressenen Knattern von "You know what you are". Zwischen Dave Grohls Donnerhall und Rick Rubins gutem Zureden.

Dieses Album bellt nicht, es beißt nur. Die Zähne sind im Fleisch und nagen sich durch sanfte Steigerung des Kieferdrucks fast unbemerkt bis zum Knochen durch. Und lassen zwischendurch doch wieder los. Und plötzlich tropft gar so etwas wie Hoffnung wie ein eitriges Sekret aus der Wunde. "Right where it belongs" kommt als finsteres Schlummerlied daher, das plötzlich zum Alptraum eskaliert. "See the animal in his cage you built / Are you sure what side you are on?" Die Perspektive kippt, und plötzlich zweifelt man an jeglicher Realität. Es folgt nur noch erbarmungslose Stille. Keine Antworten. Und die Erlösung bleibt aus.

Bei aller Fokussierung auf die eigene Brillanz verpassen Nine Inch Nails dennoch die Chance, in einem finalen Ausbruch die Seele der Nullen und Einsen endgültig herauszureißen. Vor dem Gipfel der Unterschwelligkeit knapp gescheitert. Verdammt knapp. Doch auch wenn "With teeth" den beiden ausnahmslos überwältigenden Vorgängern nicht ganz das schwere Wasser reichen kann, ist dieses Album besser als fast alles, was dieses Jahr erschienen ist oder noch erscheinen wird. Es gilt weiterhin: Das Genie beherrscht das Chaos.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • All the love in the world
  • The hand that feeds
  • Every day is exactly the same
  • Only
  • Right where it belongs

Tracklist

  1. All the love in the world
  2. You know who you are?
  3. The collector
  4. The hand that feeds
  5. Love is not enough
  6. Every day is exactly the same
  7. With teeth
  8. Only
  9. Getting smaller
  10. Sunspots
  11. The line begins to blur
  12. Beside you in time
  13. Right where it belongs
  14. Home

Gesamtspielzeit: 59:22 min.

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User Beitrag

hideout

Postings: 1637

Registriert seit 07.06.2019

2023-12-02 01:05:02 Uhr

1. All the love in the world 8/10
2. You know who you are? 6/10
3. The collector 7/10
4. The hand that feeds 9/10
5. Love is not enough 7/10
6. Every day is exactly the same 10/10
7. With teeth 8/10
8. Only 9/10
9. Getting smaller 7/10
10. Sunspots 10/10
11. The line begins to blur 8/10
12. Beside you in time 9/10
13. Right where it belongs 9/10

Die erste Albumhälfte ist ein wenig Rollercoaster und etwas zerfahren, die zweite dafür sehr viel homogener und vom Gesamteindruck auch stärker. Möchte dennoch nicht auf die Highlights zu Beginn verzichten, "Everyday is exactly the same" und natürlich "Sunspots" sind meine Favoriten knapp vor dem grossartigen Closer. Nicht das beste Album von NIN, aber immer noch stark. 8/10

Enrico Palazzo

Postings: 3885

Registriert seit 22.08.2019

2023-11-11 04:54:09 Uhr
Erste Hälfte naja okay. Ab dem Titeltrack Bombe! :)

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2023-11-11 01:17:45 Uhr
Opener ist sehr gut, sehe Schwachpunkte eher Richtung Mitte des Albums mit Ausnahme des Titeltracks. Tolles Album aber schon.

fuzzmyass

Postings: 14903

Registriert seit 21.08.2019

2023-11-11 00:44:45 Uhr
Puh, find die erste Hälfte viel mehr als nur okay... alleine der Opener - grandios

Elbowsneeze

Postings: 136

Registriert seit 29.11.2021

2023-11-10 23:15:35 Uhr
Kann ich absolut zustimmen. Und reicht daher noch zu einer (knappen) 9/10.
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