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Various Artists - Quotenrocker

Various Artists- Quotenrocker

Tapete / Indigo
VÖ: 14.02.2005

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Geile Zeit

Als Antje Vollmer, kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, hatte sich die Welt über Nacht verwandelt: Joschka Fischer hatte die Konsequenzen aus der lachsen Visa-Vergabe gezogen und verweigerte jetzt angloamerikanischen Massenmusikern die Einreisegenehmigungen nach Deutschland. Stefan Raab hatte mit seinem "Bundesvision Song Contest" dafür gesorgt, daß selbst Gruppen wie Slut plötzlich deutsch sangen. Und jeder deutsche Radiosender, der keine Zwangssteuer von 142% seiner Einnahmen zahlen wollte, spielte nur noch deutschsprachige Musik.

Alles war wie in der guten alten Zeit, als Cindy & Bert aus "Paranoid" von Black Sabbath "Der Hund von Baskerville" gebastelt hatten: Ausländische Musiker, die ihre Lieder im Radio gespielt haben wollten, mußten diese von deutschen Künstlern übersetzen und nachspielen lassen. Axl Rose war der Erste, als er sein "Sweet child o' mine" von der Band Wolke darbringen ließ. Die Ärzte hatten irgendwo noch eine eingedeutschte Version der Ramones-Nummer "The KKK took my baby away" rumliegen, und Darlo vergriffen sich schnurstracks an "10:15 Saturday night" von The Cure. Kurz bestand die Gefahr, David Bowie würde "Dies ist nicht Amerika" selbst intonieren wollen. Aber Frau Vollmer, die sich vage an seine Deutschversuche bei der Filmmusik des Lehrfilms "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" erinnerte, fand noch schnell ein Schlupfloch im Gesetzestext und überließ Richard von der Schulenburg die Nummer.

Otto Schily hatte seine jahrzehntealte Ankündigung wahrgemacht und legte bei Staatsempfängen Platten von Ton Steine Scherben auf. Frau Vollmer sonnte sich in ihrem größten Triumph, seit "Süßy, das Bio-Küken" die Jamba-Klingelton-Hitparade erobert hatte: Im Abspann der deutschen Erfolgskomödie "Prenzlberg" (mit Veronika Ferres und Til Schweiger) lief die Mobylettes-Version von Burt Bacharachs "I'll never fall in love again", und Virginia Jetzt! arbeiteten bereits fleißig an der Übersetzung des Gesamtwerks von Chris de Burgh.

Ehe die Bundesregierung ihren Plan eines "antipopulärmusikalischen Schutzwalls" rund um das Land umsetzen konnten, erkannte das Volk aber, was hier los war, und ging auf die Straße. Als erstes schmückte ein "Fickt das System"-Graffiti den Berliner Reichstag, dann setzte zu den Klängen von Tocotronics "Aber hier leben, nein danke" ein Massenexodus von 76 Millionen ein (nur die durchschnittlich sechs Millionen Zuschauer des Musikantenstadls blieben freudestrahlend hier). Und während sich das Volk eine neue Heimat suchte, liefen in den Dorfdiscos dieser Republik weiter "Wein' einen Fluss" (Ex-Justin-Timberlake), "Alles ist völlig offen" (Ex-Tom-Petty) und "Nichts haut mich um, aber Du" (Ex-Cole-Porter). Und wenn sie nicht gestorben sind, dann quotenrocken die Politiker noch heute an Realität und Hörerschaft vorbei.

Schwachsinn? Aber ja! Wer sich davon überzeugen will, wo das alles enden kann, dem sei der (nicht ganz ernstgemeinte) "Quotenrocker"-Sampler vom Tapete-Label empfohlen. Darauf haben nämlich 21 Vertreter aus Indiedeutschland in vorauseilendem Gehorsam schon mal angefangen, englischsprachige Hits einzudeutschen. So unterhaltsam das mitunter auch klingt: Es sollte uns eine Warnung sein!

(Lukas Heinser)

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Highlights

  • Mein süßes Kind (Wolke)
  • Alles ist völlig offen (Justin Balk)
  • Auf Liebe fall' ich nicht herein (Mobylettes)
  • Phantasie (Panamaformat)

Tracklist

  1. Mein süßes Kind (Wolke)
  2. Dies ist nicht Amerika (Richard von der Schulenburg)
  3. Gegen den Staat (Rocko Schamoni)
  4. Nichts zu verlieren (Erdmöbel)
  5. Kidnapper (Superpunk)
  6. Die Wikingjugend hat mein Mädchen entführt (Die Ärzte)
  7. Alles ist völlig offen (Justin Balk)
  8. Schön in rosa und rot (Le Kanin)
  9. Zehn Uhr Fünfzehn, Samstag Nacht (Darlo)
  10. Nichts haut mich um, aber Du (Kiesgroup)
  11. Auf Liebe fall' ich nicht herein (Mobylettes)
  12. Ein weiterer einsamer Tag (Paul Dimmer Band)
  13. Bonnie und Clyde (Bout d'chou)
  14. Du hast die Welt in deiner Hand (Die Sterne)
  15. Oh, Glückseligkeit (Les Garçons)
  16. Phantasie (Panamaformat)
  17. Wein' einen Fluss (Pawnshop Orchestra)
  18. Beim Autounfall (Bum Khun Cha Youth)
  19. Wir blenden grau (Besser)
  20. Keine Tränen (Bernadette La Hengst)
  21. So wie immer (Universal Gonzáles)

Gesamtspielzeit: 71:49 min.

Referenzen

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