Nirvana - With the lights out
Geffen / Universal
VÖ: 22.11.2004
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Lichtgestalten
Die Band, mit der alles anfing. Ja, Nirvana gaben zweifelsohne den Startschuß für all den angenehmen und unangenehmen Lärm, der seit Anfang der Neunziger nicht mehr aus den kleinen Clubs und großen Hallen, den Clipabspielstationen und gar den Charts wegzudenken ist. Nein, Nirvana waren keineswegs die ersten, die erfolgreich gegen den Strom anlärmten. Aber der kommerzielle Erfolg ihrer Hitsingle "Smells like teen spirit" und des alles überfliegenden Albums "Nevermind" hatte eine popkulturelle Signalwirkung, die sich auch heute noch ganz handfest spüren läßt. Denn wie viele Bands haben sich erst durch Kurt Cobain, Krist Novoselic und Dave Grohl dazu inspirieren lassen, auch selber mit Dezibels um sich zu werfen?
Dem geneigten Hörer wird mit der lang erwarteten Box "With the lights out" drei CDs und eine DVD lang die Gelegenheit gegeben, den weichgespülten Dreck von Nickelback, Creed, Staind und Co. mal wieder kräftig aus den Ohren zu spülen. Dabei war lange Zeit ungewiß, ob die vielen Demos, Livemitschnitte und Work-in-progress-Songs jemals ans Tageslicht kommen würden. Man erinnere sich nur an den unsäglichen Eiertanz, den Grohl und Novoselic auf der einen und Cobain-Witwe Courtney Love auf der anderen Seite um das "Nirvana"-Best-Of mit gerade mal einem unveröffentlichten Song veranstalteten. Und dann war "You know you're right" zwar toll, aber den ganzen Hype irgendwie doch nicht wert.
Jetzt hebt "With the lights out" die bislang mit zwei Live-Scheiben und jenem Best-Of-Album noch recht zaghaft betriebene Leichenfledderei endlich auf professionelles Niveau. Daß aber mit diesem Schmuckkästchen auch noch eine überaus hörenswerte Lehrstunde in Sachen Nirvana gehalten wird, hätte man kaum noch zu glauben gewagt. Und doch ist dieser Riesenbatzen Grunge - angefangen vom ungehobelten Led-Zeppelin-Cover "Heartbreaker" vom allerersten Nirvana-Gig ever bis hin zum zärtlichen "All apologies", das bei einer akustischen Solo-Perfomance von Cobain kurz vor seinem Tode mitgeschnitten wurde - erhellend, spannend, unterhaltsam, spaßig, niederschmetternd. Und im besten Sinne emotional.
Man lernt, daß der "Nevermind"-Smasher "Stay away" mal als "Pay to play" durch die Gegend stapfte. Man genießt akustische Schrubbungen von ewigen Ohrwürmern wie "Been a son", "Serve the servants" oder "Sliver". Das langsame Werden von "Polly". Sanfte Frühversionen von "Dumb", "Lithium" und "Rape me". Zerschossene Demos von späteren Hits wie "Scentless apprentice" oder "Smells like teen spirit". Den ursprünglichen Butch-Vig-Mix eben jener prototypischen Grunge-Hymne. Unbekannte Perlen wie "Pen cap chew", "Clean up before she comes", "Blandest", "If you must", "Do re mi" oder "Opinion". Huldigungen an Helden wie Velvet Underground, Led Zeppelin, Leadbelly, die Vaselines und die Wipers. Und plötzlich erkennt man in all dem Krach den roten Faden.
Denn man erhält die seltene Chance, den wohl wichtigsten Songschreiber der frühen Neunziger beim Wachsen und Reifen zuzuhören. Von der unmittelbaren Roheit der auf der ersten CD präsentierten Frühphase, die mit punkiger Vehemenz und metallischer Energie an den Nerven zerrt, über die kraftvollen "Nevermind"-Outtakes des zweiten Silberlings bis hin zu den "In utero"-Wagnissen auf der dritten Scheibe, die von Zärtlichkeit und Hingabe genauso künden wie von der Zerrissenheit eines Genies.
Auf der DVD versteckt sich schließlich neben diversen bislang unveröffentlichten Outtakes ein überaus intensives Kellerkonzert aus dem Jahre 1988 im Haus von Novoselics Mama. Die Band kämpft gegen die eigenen Schallwellen an, und Cobain brüllt gegen die Wand. Noch unheimlicher ist das eigentlich absurde "Seasons in the sun"-Cover: Grohl am Baß, Novoselic an der Gitarre und ein Cobain am Schlagzeug, der erschreckend emotionslos singt, während Erinnerungen an wilde Albereien seiner Band vorbeiflackern. Ein simpler Trick mit erstaunlicher Wirkung, genau wie die Musik von Nirvana, die stets soviel mehr war als das ständige Laut-Leise-Schema. Was einem umso deutlicher bewußt wird, je substanzloser die Heerschar der Plagiatoren sich erfolglos an Cobains vermeintlichem Erfolgsrezept versucht.
Und dann wäre da noch diese Zeile, die der Box den Namen gab: "With the lights out it's less dangerous." Von wegen. Das Gegenteil ist der Fall. Nirvana sind auch zehn Jahre nach Cobains legendenumrankten Tod noch immens gefährlich. Gefährlich für risikoscheuen Rock und eingefahrene Hörgewohnheiten. "With the lights out" ist unwiderstehlicher, zerfahrener, ungehemmter, ungekämmter, versponnener, riskanter, unpräziser, rücksichtsloser, absolut herrlicher Lärm. Nirvana fehlen.
Highlights
- Pen cap chew (Demo)
- Clean up before she comes (Solo acoustic demo)
- Opinion (Live solo acoustic)
- Been a son (Live solo acoustic)
- Pay to play
- Smells like teen spirit (Butch Vig mix)
- Heart shaped box (Demo)
- Serve the servants (Solo acoustic demo)
- Sappy
- You know you're right (Solo acoustic demo)
Tracklist
- CD 1
- Heartbreaker (live)
- Anorexorcist (live)
- White lace and strange (live)
- Help me, I'm hungry (live)
- Mrs. Butterworth (Rehearsal)
- If you must (Demo)
- Pen cap chew (Demo)
- Downer (live)
- Floyd the barber (live)
- Raunchola/Moby Dick (live)
- Beans (Solo acoustic demo)
- Don't want it all (Solo acoustic demo)
- Clean up before she comes (Solo acoustic demo)
- Polly (Solo acoustic demo)
- About a girl (Solo acoustic demo)
- Blandest (Demo)
- Dive (Demo)
- They hung him on a cross (Demo)
- Grey goose (Instrumental demo)
- Ain't it a shame (Demo)
- Token eastern song (Demo)
- Even in his youth (Demo)
- Polly (Demo)
- CD 2
- Opinion (Live solo acoustic)
- Lithium (Live solo acoustic)
- Been a son (Live solo acoustic)
- Sliver (Solo acoustic demo)
- Where did You sleep last night (Solo acoustic demo)
- Pay to play (Demo)
- Here she comes now (Demo)
- Drain you (Demo)
- Aneurysm (Demo)
- Smells like teen spirit (Rehearsal demo)
- Breed (Rough mix)
- Verse chorus verse (Outtake)
- Old age (Outtake)
- Endless, nameless (Radio appearance)
- Dumb (Radio appearance)
- D-7 (Radio appearance)
- Oh the guilt (B-Side)
- Curmudgeon (B-Side)
- Return of the rat (Outtake)
- Smells like teen spirit (Butch Vig mix)
- CD 3
- Rape me (Solo acoustic demo)
- Rape me (Demo)
- Scentless apprentice (Rehearsal demo)
- Heart shaped box (Demo)
- I hate myself and want to die (B-Side)
- Milk it (Demo)
- Moist vagina (Demo)
- Gallons of rubbing alcohol flow through the strip (Album version)
- The other improv (Demo)
- Serve the servants (Solo acoustic demo)
- Very ape (Solo acoustic demo)
- Pennyroyal tea (Solo acoustic demo)
- Marigold (B-Side)
- Sappy (B-Side)
- Jesus doesn't want me for a sunbeam (Rehearsal demo)
- Do re mi (Solo acoustic demo)
- You know you're right (Solo acoustic demo)
- All apologies (Solo acoustic demo)
- DVD 1
- Love buzz (live)
- Scoff (live)
- About a girl (live)
- Big long now (live)
- Immigrant song (live)
- Spank thru (live)
- Hairspray queen (live)
- School (live)
- Mr. Moustache (live)
- Big cheese
- In bloom
- Sappy
- Love buzz
- Pennyroyal tea
- Smells like teen spirit
- Territorial pissings
- Jesus don't want me for a sunbeam
- Talk to me
- Seasons in the sun
Gesamtspielzeit: 215:47 min.
Referenzen
Fecal Matter; Mudhoney; Green River; Melvins; Sonic Youth; Hüsker Dü; Sugar; Pixies; The Meat Puppets; Alice In Chains; Union Youth; Puddle Of Mudd; Nickelback; Bush; The Vines; Kinesis; Serafin; Silverchair; Stone Temple Pilots; Foo Fighters; Eve 6; Oleander; Sun; Blackmail; Scumbucket; Mill; McLusky; Fugazi; The Jesus Lizard; Shellac; The Vaselines; The Wipers; Mission Of Burma; Fastbacks; Hole; Babes In Toyland; L7; Redd Kross; The Replacements; R.E.M.; Idlewild
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