Leona Naess - Comatised

MCA
VÖ: 28.08.2000
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Kleine Erdbeben
Das Schema F war lange Zeit dasselbe. "F" stand für "Frauen-Rock", "feminin" oder die fette Kohle, die damit zu verdienen war. Fragile, nachdenkliche oder auch mal selbstbewußte junge Damen verarbeiteten auf zwölf mal vier Minuten in bedeutungsschwangeren Texten ihre schlimme Kindheit und weckten den Beschützerinstinkt im anderen Geschlecht. Das schönste Foto, das von dieser ohnehin schon schönen Frau zu bekommen war, wurde aufs Albumcover gekleistert, das im Idealfall noch ein "Mit dem Top-Hit aus 'Geld oder Liebe'"-Aufkleber zierte. Die erste Generation der Morissettes und Crows zog eine zweite der und Imbruglias und Brooks' nach sich. Eine jede hatte einen dicken Hit im Gepäck, und Natalie Imbruglia mit Phil Thornalley (Ex-Cure) sogar einen mit allen Popwassern gewaschenen Altmeister an ihrer Seite, der den netten Liedchen den passenden Anstrich verpaßte.
Beste Voraussetzungen für Leona Naess, bei deren Debütalbum "Comatised" Haudegen Scott Litt (R.E.M., Nirvana, Green Day, Incubus, Liz Phair) im Hintergrund die Fäden zog und die mit "Charm attack" eine erste Single im Handtäschchen hat, die an "Torn" anknüpft und sich mit genau dem anbiedert, was der Songtitel vorgibt. Glücklicherweise führt der erste Eindruck gehörig in die Irre. Denn die 24-jährige Amerikanerin denkt gar nicht daran, mit ihrem Debüt in die Fußstapfen irgendwelcher berühmter Vorgängerinnen zu treten, sondern ist im Geiste eher Künstlerinnen wie Fiona Apple oder Tori Amos zugehörig, die weit entrückt dem Damenkränzchen seit jeher nur aus der Ferne beiwohnen.
Genau wie das Cover die wahre Schönheit des ehemaligen Calvin Klein-Models erst beim zweiten Hinschauen offenbart, verhält es sich auch mit ihrer Musik. Hinter "Comatised" steckt mehr als nur Kaugummiliedchen, Make Up und Klischees. Mit manchen ihrer Stücke kann Leona Naess tatsächlich Herzen brechen und wieder zusammenflicken. Dabei fällt die große Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme auf, die in ihren besten Momenten an Heather Nova erinnert. Leider ist nicht durchweg alles Gold, was glänzt. Trotz der wunderschönen Momente finden sich auf "Comatised" entschieden zu viele naive Belanglosigkeiten, denen auch Scott Litt nicht die nötige Tiefe verpassen konnten und die an der Oberfläche nur kratzen statt sie zu sprengen. Auch wenn eines der schönsten Stücke den Titel "Earthquake" trägt, wird bei Leona Naess die emotionale Richter-Skala weit weniger ausgereizt als bei Tori Amos, die dem seit ihrem Album "Little earthquakes" in regelmäßigen Abständen mehr als nur kleinste Erdbeben zu entlocken weiß.
Highlights
- Lazy days
- Northern star
- Earthquake
Tracklist
- Lazy days
- Charm attack
- Chess
- Lonely boy
- Anything
- Chosen family
- Comatised
- All I want
- Northern star
- Earthquake
- New York baby
- Paper thin
Gesamtspielzeit: 58:21 min.
Referenzen
Liz Phair; Fiona Apple; Lisa Germano; Heather Nova; Aimee Mann; Mazzy Star; Juliana Hatfield; Edie Brickell; Tracy Bonham; Patti Rothberg; Natalie Imbruglia; PJ Harvey; Tori Amos; Sarah McLachlan