Venus - Welcome to the modern dance hall

Sonica / EMI
VÖ: 02.06.2000
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kreatives Schaf im Wolfspelz
"Zwei Dinge können sie, die Belgier", bemerkte vor kurzem ein Bekannter von mir in seiner zynischen Art, "Musik machen und Kinder schänden". Ganz so weit möchte ich persönlich sicherlich nicht gehen. Schließlich stammen als Kontrast zur abscheulich-düsteren Seite von Belgien neben hörenswerter Musik auch noch einige weitere positive epochale Errungenschaften wie die Pommes Frites, der Chicorée oder die unzähligen Biersorten aus dem Nachbarland, die unsere Kulturlandschaft nachhaltig bereichern. In der Gegend um das schmucke Antwerpen erblühte jedoch in den vergangenen Jahren eine innovative Musikszene, die nicht nur weitaus kleiner war als die vergleichbaren Bewegungen in Seattle oder Manchester, sondern auch weitaus subtiler zu Werke ging und daher von vielen nicht oder nur am Rande vernommen wurde. Doch spätestens mit der letztjährigen dEUS-Veröffentlichung "The ideal crash", dem "Nevermind" von Antwerpen, wurde dem kreativen Zentrum inmitten Europas endgültig die längst verdiente allseitige Anerkennung zuteil.
Ein weiterer eigenständiger Ableger heißt nun Venus und stammt nicht direkt aus Antwerpen, sondern unweit aus der europäischen Hauptstadt Brüssel. Die Lobeshymnen, die zu Ehren des Debüts "Welcome to the modern dance hall" aus Belgien, Frankreich, Italien und der Schweiz (wo das Album bereits seit Ende 1999 auf dem Markt ist) angestimmt wurden, sind in meinem Ohr eben erst verklungen. Und nun machen sich die Klänge von "Welcome to the modern dance hall" auf, selbiges auf wundervolle Weise zurückzuerobern. Interessant ist besonders der Ansatz, auf elektrisch verstärkte Instrumente gänzlich zu verzichten, um die Schönheit des Zusammenspiels von Stimme, akustischen Saiteninstrumenten, Percussion und der allgegenwärtigen Violine unverfälscht zur Geltung kommen zu lassen.
Um das beliebte Spielchen mal wieder aus der Mottenkiste zu holen: Angenommen man würde sämtliche Belgische Rockbands mit den Eels und Oasis in ein Studio einsperren, das nichts als akustische Instrumente bereithält, es würde eine solche "Venus in furs" im ganz neuen Sinne entsteigen, ein kreativ blökendes Schaf dem Wolfspelz. Stef Emil Carlens (Zita Swoon, Ex-dEUS) hätte zum Mikrofon gegriffen, Mark Everett (Eels) und Tom Barman (dEUS) für die süßlichen Arrangements gesorgt, und die bloße beratende Anwesenheit der Gallaghers zur nötigen Spannung innerhalb der Songs beigetragen. Entstanden wäre ein Endprodukt, das sich trotz aller Zerrissenheit erstaunlich geschlossen und eingängig zeigt und immer noch eine gehörige Portion Weirdness in sich trägt.
"Royalsucker" etwa ist im Kern ein geradliniger Punksong, an die Stelle der gewohnten Bratgitarren tritt hier aber eine grandios gezupfte Violine. Dennoch, oder gerade deswegen, sucht und findet der Song aber den unweigerlichen Weg auf die Zwölf. Der "Pop song" macht seinem Namen indes alle Ehre, während "I am the ocean" in tiefblauer Melancholie versinkt. Die erste Single "She's so disco" macht genau da weiter, wo Zita Swoon in "Disco" seinerzeit vorweg das noch unveröffentlichte "The bad touch" von der Bloodhound Gang aufs Korn nahmen. Ganz und gar harmoniesüchtig geben sich Venus hingegen bei "Don't say you need love (I know you do)", einem zuckersüßen Arrangement, vertont mit Spieluhr und Zeilen wie "I wanna taste your blood, she said, I'm gonna drink you dry", das die Ohren umschmeichelt wie unlängst die kleinen Blues-Oden der Eels. Ausfälle sind unter den dreizehn Elaboraten belgischer Liedkunst nur schwer auszumachen. Einzig das träge lärmende "Monster" sowie das etwas unnötig erscheinende Instrumental "Bass shivering bass" mögen als Cindy Crawford-Schönheitsflecke an einem ansonsten perfekten Kunstwerk gelten. Einem grazilen Kunstwerk, das den im Albumtitel erwähnten moderne Tanzsaal zur Makulatur verkommen läßt und danach schreit, als ständiger Begleiter für einen langen Sommer immer und immer wieder bei gedämpften Kerzenschein unter freiem Himmel mit dem Kopfhörer gehört zu werden.
Highlights
- Royalsucker
- I am the ocean
Tracklist
- Ball room
- Perfect lover
- Out of breath
- White star line
- She's so disco
- Royalsucker
- I am the ocean
- Pop song
- Lisa little racket
- Don't say you need love (I know you do)
- Monster
- Dizzy
- Bass shivering bass
Gesamtspielzeit: min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
shrink |
2005-10-03 23:10:05 Uhr
Doch! Hab ich mir vor einem Jahr gekauft. Sehr schönes Album. Kann ich aber nicht immer hören. Die Stimme ist schon etwas anstrengend. "Ball room" Z.B. ist schon keine leichte Kost. Den "pop song" fand ich immer am besten. |
Paul Paul |
2005-10-03 23:01:41 Uhr
Kennt die CD denn keiner? |
stativision |
2005-09-22 17:03:43 Uhr
hab ich mal bei ebay für einen euro verpasst und deshalb sauer auf die band ;) |
Paul Paul |
2005-09-22 14:42:25 Uhr
Wow, wirklich starkes Album. Wer auf Patrick Wolf oder den Belgier-Style steht, sollte es sich unbedingt holen! Hat ihr auch 'ne 9/10 (so bin ich drauf gekommen). "White Star Line" und "I Am The Ocean" sind der Hammer! |
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Referenzen
dEUS; Zita Swoon; James; Wizards Of Ooze; Eels; Soulwax; Dead Man Ray; Beck; Millionaire; Soul Coughing; Tindersticks; Captain Beefheart; The Waterboys; Dionysos; Heinrich Beats The Drum; Motorpsycho
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