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Pain Magazine - Violent god

Pain Magazine- Violent god

Humus / H'Art
VÖ: 03.10.2025

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Verzweiflung tanzt

Vorhang auf für eine Kollaboration der besonderen Art: Eher zufällig trafen sich in kalten Wintertagen zwei Gruppierungen im Studio. Auf der einen Seite Louisahhh und Maelstrom, welche seit über zehn Jahren gemeinsam produzieren. Ihr Stil: Elektronische Musik mit Punk im Herzen und Industrial in den Tasten. Auf der anderen Seite Birds In Row, französische Post-Hardcore-Formation, welche zuvor mit "Gris Klein" ein nicht nur kleines Meisterwerk an Intensität schufen. Alles angerichtet also für das schon 1981 von den Einstürzenden Neubauten formulierte Motto "Hören mit Schmerzen". Die Gründe für diese Schmerzen aufzuzählen, ist 2025 eigentlich unnötig, bestimmen diese doch völlig offen sichtbar den täglichen Medienkonsum, für den sich mittlerweile der Begriff "Doomscrolling" etabliert hat. Ganz schön abgefuckt, alles – und Pain Magazine ist der Soundtrack dazu.

Den Höllenritt eröffnet zu schiefen Industrialbeats der Gesang Louisahhs, welche dem titelgebenden Track und erster Single "Violent god" Worte verleiht, die dem geneigten Publikum quasi ins Gesicht gespuckt werden. Durchbrochen nur vom hörbaren Beitrag von Birds In Row, deren hier sanftmütiges Gitarrenspiel einen Kontrapunkt zur Szenerie darstellt. Die Schönheit im Kaputten, hier im ersten Einsatz noch dezent im Hintergrund agierend. Rollentausch: Das Mikro in die Hand nehmen Birds In Row in "Weak and predatory", welches durch Louisahhh und Maelstrom einen unfassbaren Groove verpasst bekommt, während sich Quentin Sauvé und Bart Balboa um die richtige Ausdrucksform der tief emotionalen Lyrics duellieren, deren Inhalt die Auswüchse des Kapitalismus, das Fehlen der Grundversorgung für die Schwächsten ist.

Von der Makro- in die Mikroebene. Vom großen Ganzen zu den kleinen Katastrophen. "Dead meat" behandelt in unruhiger, schnell vorbeipreschender Natur Beziehungsprobleme, das Überborden emotionaler Arbeit, Liebe, die vergeht. Von gespenstiger Industrial-Kälte durchzogen sind die ersten Sekunden von "Nice guy", ehe die Elektro-Seite des Projektes erneut ihr Händchen fürs Tanzen auf den Ruinen beweist. Louisahhh changiert dabei wieder zwischen Wut und Willen. "You want it dark, I want it darker." Hier nicht in der Spät-Perspektive des Altmeisters Leonard Cohen in den letzten Zügen, sondern als Drohung und Forderung zugleich. Dem Punk fröhnt danach das etwa zweiminütige übersteuerte "Magic". Zackig, direkt und komplett im Gegensatz zu dem, was folgt.

Von ungewöhnlicher Eleganz ist "Like a storm". Louisahhh schreit und droht nicht, sondern zeigt eine Seite, welche ideal zur düsteren Atmosphäre passt, die sich nun erstmals einschleichen darf. Bevor diese ihren Höhepunkt erreicht, gilt es erst jedoch erst einmal, "Choke points" zu überstehen. Bedingt durch allerlei stimmliche Verzerrungen, gepaart mit monotonem Beat-Unterbau präsentiert sich hier ein roboterhaftes Stück, welches im Laufe seiner sechs Minuten Tempo aufnimmt. "Sign up, it's good for numbers" – wenig versteckt widmet sich dieser Track den Auswüchsen des Social-Media-Durchrauschens. Sind alle Cookies akzeptiert, 673 Werbepartner glücklich, die Daten weit verteilt, belohnen Pain Magazine mit "A good hunter". Wieder variiert Louisahhh ihren Gesang, klingt plötzlich wie Beth Gibbons – und die restlichen Teilnehmer setzen alles daran, diesen Vibe auch zu bedienen. Dieses "A good hunter", es klingt wie ein verlorenes Stück von "Third".

"Bastion" übergibt den gesanglichen Staffelstab wieder an die Fraktion von Birds In Row. Das Schreien, es zeugt hier von bitterer Verzweiflung, bekannt von deren Veröffentlichungen, untermalt von einem einschneidenden Elektrobeat. Noch einmal für eine spezielle Atmosphäre sorgt der "Horse song", welcher entfernt an die Großtaten von Archive erinnert, da deren zwiebelförmiges Aufbauspiel hier genauso stattfindet, wie auch Sauvés Stimmfarbe einige Songs des Kollektivs spiegelt. Das versöhnliche Ende von "Violent god", es könnten die Lyrics rund um "I know, I know, I know – sometimes I want – Love" sein. Tatsächlich ein Hoffnungsschimmer. Louisa Pillot hat jedoch etwas dagegen. Als Zwilling zum Opener keift sie in "Husk" so einiges um die Ohren. Von eigener Stärke durchzogen ist die Art und Weise, wie sie klarstellt: "I worked hard, to become myself – if you don't like it – get the fuck out" – der Übersicht halber nicht in den Capslock-Buchstaben verfasst, die hier eigentlich reingehören. Und das alles auf dem Rücken eines chaotischen Raves, dem letzten Aufbäumen, ehe eine Gitarren-Melodie auf den Saiten von Birds In Row für ein ausklingen dieses Jahreshighlights sorgt.

(Klaus Porst)

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Highlights

  • Weak and predatory
  • Like a storm
  • A good hunter
  • Horse song

Tracklist

  1. Violent god
  2. Weak and predatory
  3. Dead meat
  4. Nice guy
  5. Magic
  6. Like a storm
  7. Choke points
  8. A good hunter
  9. Bastion
  10. Horse song
  11. Husk

Gesamtspielzeit: 44:21 min.

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User Beitrag

Randwer

Postings: 3670

Registriert seit 14.05.2014

2025-10-18 10:39:51 Uhr
ansprechend

Glufke

Postings: 1218

Registriert seit 15.08.2017

2025-10-16 20:19:00 Uhr
Hab kurz nach Release mal reingehört, weil die auch beim Zeitgeist-Festival dieses Jahr in Nijmegen spielen, aber hat mich erstmal so gar nicht angesprochen. Dann kam die tolle Rezi hier und jetzt bin ich nach zwei Durchgängen doch ziemlich angetan. Sehr eigen auf jeden Fall - und ich wusste vorher nicht, dass da auch Birds in Row mit an Bird, äh Bord sind, die find ich ja auch sehr stark.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 4144

Registriert seit 14.03.2017

2025-10-16 19:20:43 Uhr
Eigentlich ist weder industrial meine Baustelle noch mag ich besonders wenn geschrien wird. Aber das Album passt zum einen in mehrere Schubladen und zum anderen ist das Schreien nur hier und da vertreten und wird auf ne echt geile Art eingesetzt. Ich hätte sonst auch große Schwierigkeiten mir das Album in Gänze zu geben.

Nein, das ist überraschend abwechslungsreich, hat dabei aber eine Atmo die sich durchzieht, allerdings nicht immer mit hoher Intensität.
Fängt mit den ersten drei Stücken bockstark an, droht danach mich zu verlieren, die Songs schaffen aber fast immer sich aufzubauen so dass ich doch weiter investiert bleibe. Dann kommt das aus meiner Sicht dann doch völlig überflüssige und leider auch noch viel zu lange choke Points mit einem mich zusätzlich nervenden Sprechgesang.Das ist nicht nur lowlight sondern sogar n skipsong für mich, der den sonst sehr guten Gesamteindruck empfindlich stört.
Zum Glück kommt kurz danach mit Bastion dann ein absoluter Hammer, der hätte gerne die Länge von choke points haben können. Wahnsinnig intensiv und neben dem opener und Dead meat klares Highlight für mich.


Danke für den Tipp und die Rezi, kann die 9 nachvollziehen

Hierkannmanparken

Postings: 2616

Registriert seit 22.10.2021

2025-10-16 18:30:03 Uhr
Find auch, das Album hat keine Ausfälle. Besonders mag ich Dead Meat, Bastion und Husk.

Kontermutter

Plattentests.de-Mitarbeiter (Gerrit Phil Abel)

Postings: 624

Registriert seit 04.03.2023

2025-10-16 14:15:55 Uhr
Ich hatte nach den ersten Minuten irgendwie Crystal Castles im Ohr und war dann traurig. Dafür können die Musiker*innen nichts, aber tja. Dann habe ich jemals weiter gehört und bin traurig geblieben. Insgesamt also eine gute Erfahrung. :D

Kann die hohe Wertung verstehen, das ist schon eine sehr dichte Atmosphäre über das ganze Album hinweg. Es ist gar nicht so leicht, dieses Bedrohliche so lange als interessanten Spannungsbogen zu halten und gelingt hier echt gut.
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