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AnNa R. - Mut zur Liebe

AnNa R.- Mut zur Liebe

Ariola / Sony
VÖ: 10.10.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Soubrette war sie nie

Mit 55 stirbt man nicht. Zumindest will man das nicht. Aber wer will das schon, sterben. Die Nachricht von AnNa R.s Tod erschütterte im Frühjahr 2025 viele Menschen in Deutschland. Über drei Dekaden lang prägte die Berlinerin mit ihrer unverkennbaren Stimme die heimische Musiklandschaft. Dabei umfasste ihr Schaffen viel mehr, als die großen Chart-Erfolge ihrer Band Rosenstolz vermuten ließen. Musiktheater, Kunstlied, Pop – Genregrenzen waren für die Sängerin allenfalls offene Schranken. Allzu menschliche Gefühle in einfache Verse zu verpacken, ohne dabei in bloße Befindlichkeitsduselei abzudriften, darum ging es. Hinzu kam ihr feiner Sinn für Humor, den sie primär im oft herrlich schrägen Frühwerk von Rosenstolz auslebte. Ausleben ist so ein Verb, das einem aus den Fingern rutscht und dann im Text-Editor verglüht, als hätte man es angezündet. Mit "Mut zur Liebe" erscheint nun das Album, an dem AnNa R. bis zu ihrem Tod mit dem Produzenten Manne Uhlig gearbeitet hatte. Zehn Songs, denen man nicht anhört, dass der kreative Prozess durch das größtmögliche Unglück unterbrochen wurde.

Der Einstieg gerät mit dem Titeltrack ein wenig holprig. Zwar ist die humanistische Botschaft respektabel, in Verbindung mit dem recht zahnlosen Arrangement verpufft sie aber schnell. Deutlich besser macht es da "Aufstehen", ein wütendes Stück über die Notwendigkeit politischen Handelns. Dass AnNa R. dabei im Ungefähren bleibt, fällt nicht negativ ins Gewicht. Ebenso wenig kann man ihr verübeln, "Sag mir wo die Blumen sind" gecovert zu haben. Natürlich bleibt die Version von Marlene Dietrich unantastbar, es zählt allein die Botschaft. Und die ist, so alt das Lied auch sein mag, zeitlos. Immer wieder drehen sich die Songs um das Thema Selbstliebe und -akzeptanz. Allen voran "Wenn Du mich nicht liebst", ein spärlich arrangierter Rache-Song mit Rock-Anleihen, findet ebenso einfache wie einprägsame Worte: "Wenn Du mich nicht liebst / Na ja, dann lieb' ich mich halt selbst / Wenn Du mir nichts gibst / Geb' ich mir, was ich brauch." Genau dieses Augenzwinkernde, Doppeldeutige zeichnet viele der Texte aus. Das Tanzen ums Klischee war für AnNa R. immer auch ein Spiel. Ein Spiel, das sie nur selten verlor.

Überhaupt, die Liebe. Wenn die Künstlerin in "Ach wie schön kann Liebe sein" im Dreivierteltakt dem mächtigsten aller Gefühle einen sarkastischen Abgesang widmet, kann man das schelmische Grinsen, das sie wahrscheinlich beim Einsingen auf den Lippen hatte, förmlich spüren. Hier wird auch deutlich, dass bei allem Hang zu Pomp und Überschwang der Chanson die musikalische Heimat der Sängerin war. Dies unterstreicht "Die böse Farbe", eine herrlich finstere Ballade, die mit ihren Motiven an die Todesbesessenheit eines E. T. A. Hoffmann erinnert. Doch AnNa R. setzt am Ende noch einen drauf: "Ich seh Dich ohne Blick" ist schlicht eine Hymne über den Abschied und das Loslassen. "Du entfernst dich Schritt um Schritt, kommst nie zurück / Doch ich seh' Dich ohne Blick" lauten die zentralen Verse des Refrains. Wenn diese verklungen sind, bäumt sich plötzlich die Musik auf, fast so, als wollte sie sich gegen das Unmögliche stemmen. Doch was ist, ist.

Was bleibt, sind Stille und Schmerz. Schmerz, der in zwei Songs besonders brennt: In "Zwanzig nach vier" verbindet die Chanteuse Alltägliches mit den großen Fragen menschlicher Gefühlslagen. "Und ich denke daran / Wie schön es sein kann / Am Leben zu sein / Und dann schau ich Dich an / Und denke dann / Ich bin nicht allein", singt sie da. Und plötzlich ist da ein Ziehen in der Magengegend. Das hier ist kein Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Unfug, das hier ist Musik, die von Herzen kommt. Ja, das klingt, wie es klingt, weil es so gemeint ist. Noch intensiver gerät "Wer weiß wer weiß", oberflächlich ein Gute-Nacht-Lied, doch im Kontext des Albums so viel mehr. Zur Akustikgitarre haucht AnNa R. Verse wie "Wer weiß wohin, wer weiß wie lang / Wir alle unsere Wege geh'n / Und wo entlang", und plötzlich hat man Tränen in den Augen. Allein dieser Song macht jegliche Überlegungen über die übliche Krittelei hinfällig. Mach's gut, Du Herzensschöne.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Wer weiß wer weiß
  • Wenn Du mich nicht liebst
  • Ach wie schön kann Liebe sein
  • Ich seh Dich ohne Blick

Tracklist

  1. Mut zur Liebe
  2. Ich höre nie auf Dich
  3. Wer weiß wer weiß
  4. Wenn Du mich nicht liebst
  5. Zwanzig nach vier
  6. Aufstehen
  7. Sag mir wo die Blumen sind
  8. Ach wie schön kann Liebe sein
  9. Die böse Farbe
  10. Ich seh Dich ohne Blick

Gesamtspielzeit: 38:34 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Kiezgrün

Postings: 90

Registriert seit 29.05.2023

2025-10-16 04:53:41 Uhr
Danke für diese respektvolle Rezension!

Das ist sicher nicht das beste Album mit AnNas Gesang, schon weil die genialen Kompositionen und Arrangements von Peter aus Rosenstolz-Zeiten fehlen - aber es ist sehr AnNa und die Chansons schlagen einen schönen Bogen zurück zu den frühen Rosenstolz der ersten drei Alben.

Grizzly Adams

Postings: 6359

Registriert seit 22.08.2019

2025-10-15 21:38:29 Uhr
„Wer weiß wer weiß“ ist ein absolutes Highlight. Knapp drei Minuten Herzblut. Und wahnsinnig schön. Mein Top Song auf Deutsch bis jetzt.

Grizzly Adams

Postings: 6359

Registriert seit 22.08.2019

2025-10-15 21:01:07 Uhr
An welchem Punkt muss ich mich verstecken, weil das nach Schlager klingt? Oder kann ich behaupten, dass das gute Musik mit deutschen Texten ist? Ich weiß es nicht. Wobei ich ganz sicher bei deutschen Texten eine höhere Messlatte habe als bei englischen Texten. Noch andere Sprachen lasse ich mangels entsprechender Kenntnisse mal ganz außen vor.
Hab entschieden: Verstecken muss ich mich keineswegs. Und die viel zu früh verstorbene Künstlerin ebenfalls nicht. Das ist schlicht und einfach ein schönes Album geworden. Geht absolut klar.
Bin hier bei Christoph. Reinhören lohnt sich, tut absolut nicht weh. Das einzige, das weht tut, ist, dass es diese Stimme nicht mehr geben wird.
Alles Gute AnNa R.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 29538

Registriert seit 08.01.2012

2025-10-15 19:43:39 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

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