Coroner - Dissonance theory
Century Media / Sony
VÖ: 17.10.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Altes Fieber
1993. Bill Clinton wird Präsident der USA. Deutschland bekommt fünfstellige Postleitzahlen. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht wird aus der Europäischen Gemeinschaft die Europäische Union. Und während in Deutschland die Reunion von Die Ärzte gefeiert wird, veröffentlicht die Schweizer Thrash-Metal-Band Coroner mit "Grin" ihr vorerst letztes Album, um sich zwei Jahre später aufzulösen. Hätten sich die Eidgenossen vor diesem Ausflug in den Groove-Metal nicht mit Alben wie "No more color" und vor allem "Mental vortex" einen immensen Kultstatus erarbeitet, niemand hätte sich für dieses Comeback interessiert. Denn 32 Jahre, seien wir mal ehrlich, sind im Musikbusiness mehrere Generationen. Auch wenn die eigentliche Wiedervereinung schon länger zurückliegt, denn schon seit mehreren Jahren heizt das Trio mit selektiven Festival-Auftritten die Euphorie stetig an.
Nun sind Coroner nicht irgendeine der zahllosen auf der Strecke gebliebenen Bands, die auf einen späten Hype aufspringen, um dann doch noch ein paar Euro zu verdienen. Denn die Gruppe um Gitarrist Tommy Vetterli, der sich einst "Tommy T. Baron" nannte, zeichnete sich seit jeher durch ein derartiges Niveau aus, dass nicht zuletzt ihretwegen der Begriff "Technical Thrash Metal" aus der Taufe gehoben wurde. Und dieses Können, diese Spielfertigkeit ist auch über die Jahrzehnte nicht verloren gegangen. Denn nur wenige Sekunden nach dem Intro "Oxymoron" brennt das alte Feuer wieder lichterloh. Frontmann Ron Broder faucht seine Vocals wie in den Neunzigern, und spätestens mit Vetterlis erstem Gitarrensolo ist klar, dass Coroner auf dem Rest des Albums schon verdammt viel falsch machen müssen, um die Erwartungen zu enttäuschen.
Spoiler: Sie machen verdammt viel richtig. Damit sind noch nicht mal Abrissbirnen wie "Sacrificial lamb" gemeint, auch wenn sich manch Hobbygitarrist schon am Hauptriff die Finger bräche. Es ist die Leichtfüßigkeit, die Selbstverständlichkeit, mit der "Symmetry" davonsprintet oder sich "The law" in direktem Kontrast dazu zuerst die Zeit nimmt, eine wunderbar düstere Atmosphäre aufzubauen, um dann nach nervenzerfetzenden drei Minuten komplett auszurasten. Einzig "Transparent eye" mag hier nicht so ganz mithalten, verläuft sich ein wenig in seinen gedämpften Riffs und findet erst gegen Ende wieder den Ausweg. Selbst begnadete Instrumentalisten wie Coroner können hier das etwas überambitionierte Songwriting nicht kompensieren.
Aber egal. Denn kurz vor Schluss wartet noch "Renewal". Natürlich war es überaus smart von den Schweizern, genau diesen Song als erste Single zu veröffentlichen, verbindet er doch meisterhaft beide Epochen der Band. Hier ist einfach alles im Fluss, hier feuert das Trio Riffs in geradezu dreamtheatereskem Tempo ab, man will enthemmt mitbangen und läuft genau deshalb Gefahr, das nächste Break zu verpassen, doch eigentlich möchte man dazu noch Broders Vocals mitbrüllen, der aber gleichzeitig absurde Bassläufe abfeuert – wenn es auch nur einen Song gibt, der als Rechtfertigung für die Reunion dienen kann, dann ist es dieser hier. Als Coroner 1996 ihre Auflösung bekanntgaben, steckte die Metal-Szene in einer tiefen Sinnkrise, die Kollegen des Rock Hard schlagzeilten gar provokativ: "Ist der Metal tot?". Vielleicht brauchten die Schweizer diese lange Zeit, um sich selbst wiederzufinden und zu erfinden. "Dissonance theory" jedenfalls ist so viel mehr als ein nostalgischer Blick zurück, sondern zeigt eine Band, die sich eben nicht auf dem alten Kultstatus ausruht, sondern hungrig ist wie damals.
Highlights
- Sacrificial lamb
- The law
- Renewal
Tracklist
- Oxymoron
- Consequence
- Sacrificial lamb
- Crisium bound
- Symmetry
- The law
- Transparent eye
- Trinity
- Renewal
- Prolonging
Gesamtspielzeit: 47:20 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Glufke Postings: 1218 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-10-20 14:36:43 Uhr
Bin eigentlich nicht so sehr Fan von Thrash-Metal, aber das hier ist ja mal saustark. Haben die wirklich 30 Jahre kein Album mehr veröffentlicht? Hört man kein bisschen. Die Produktion ist auch über jeden Zweifel erhaben. |
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Honigmelonenmond Postings: 25 Registriert seit 27.11.2024 |
2025-10-16 11:21:02 Uhr
Cool, eine Review von Coroner. Bin begeistert vom neuen Album. Komplex, kein Easy-Listening. Anspruchsvolle technische Spielereien, jedoch ohne Egoauswüchse. Vetterli ist eine Ausnahmegitarrist. Grandioses Comeback-Album. 9/10. |
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 29538 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-10-15 19:41:35 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Celtic Frost; Triptykon; Apollyon Son; Kreator; Destruction; Sodom; Tankard; Exodus; Overkill; Testament; Metallica; Megadeth; Slayer; Anthrax; Annihilator; Judas Priest; Iron Maiden; Accept; Warbringer; Gurd; Grip Inc.; Mortal Sin; Vio-Lence; Forbidden; Flotsam And Jetsam; Heathen; Suicidal Angels; Sacred Reich; Children Of Bodom; Artillery; Mercenary; Witchery; Anacrusis; Corrosion Of Conformity; Evile; Sepultura; Prong
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