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Geese - Getting killed

Geese- Getting killed

Partisan / PIAS
VÖ: 26.09.2025

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Vogel abgeschossen

"Nobody knows where they're going." So klingt es stets ein wenig bei Geese. Als ob sich Menschen zufällig mit ihren Instrumenten im Studio getroffen hätten und egal, was sie in der Hand halten, es wird im nächstbesten Song verwendet. Die leidenschaftliche Überforderung fängt ja bereits da an, wo eine Federviehkunde notwendig ist: Geese sind nicht Goose, die 2014 gegründete Jam-Band aus Conneticut, und schon gar nicht die andere Band namens Goose, welche aus Belgien heraus Elektro-Rock fabriziert – und das bereits seit 2000. Nein, Geese gibt es seit 2016, sie kommen aus New York und hilflose Genre-Bibliothekare schreiben meist "Alt-Country" als erstes in die Beschreibung. Das gibt jedoch nicht im Ansatz wieder, was bei Frontmann Cameron Winter und seinen drei Mitstreitern abgeht. Was sie auf ihrem fantastischen vierten Album "Getting killed" noch ein ganzes Stück weiter drehen.

Neben der Band selbst fungiert Kenny Beats als Produzent, bei dem zwar beispielsweise auch Idles in der Vita stehen, aber sonst der Fokus bei Hip-Hop liegt. Seine Groove-Orientierung findet sich permanent auf der Platte wieder, nicht zuletzt im wenig repräsentativen, aber schwer verhaltensauffälligen Opener "Trinidad". Leicht bluesig kommt er in die Puschen und in Schwingungen, bevor eine klare Grenze zum Vorgänger "3D country" gezogen wird. "There's a bomb in my car!", schreit Winter inmitten einer Noise-Attacke, die von niemand anderem als JPEGMafia noch unterstützt wird. So erratisch wird "Getting killed" nicht noch mal, aber es bleibt eine abseitige Düsternis präsent, die den Songs viel mehr Tiefe verleiht, als deren slackende Oberfläche zunächst vermuten lässt.

Auch Winter ist – wohl dank seines 2024er-Solotrips "Heavy metal" – als Performer geschärft zurückgekommen. Klar, sein nöliger Vortrag, irgendwo bei Alec Ounsworth von Clap Your Hands Say Yeah oder Beck, ist nach wie vor die größte Hürde, um sich Geese zu erschließen. "Getting killed" ist aber keinesfalls unzugänglich, reicht mit einem unschuldig swingenden "Cobra" direkt nach der krachenden Eröffnung die Hand oder fährt mit dem Titeltrack ein wahres Buffet an ekstatischer Jubiliererei auf; die Coda ist bereits fest bei den besten Momenten des Musikjahres eingetragen. "I'm getting killed by a pretty good life" ist nur eine von vielen zwiegespaltenen Beobachtungen Winters, der sich auf diesen elf Songs zwar klarer fasst, aber noch lange nicht einfache, durchsichtige Lyrik schreibt. Seine Bilder passen nach wie vor zur herrlichen Entrücktheit der Stücke, die sich ungern vorher in die Karten gucken lassen, welche Abfahrten sie nehmen werden.

Der abrupte Schluss des lamentierenden "Half real" weckt jedes Mal erneut auf, "Bow down" wirkt desorientierend wie aus mehreren zerhackstückten Aufnahmesessions zusammengepuzzelt, in einen irre klappernden Breakdown mündend und mit einer eindringlichen Gesangsleistung von Winter garniert. Die seltsamen Grimassen, die "Islands of men" zwischen all dem Räkeln und Strecken schneidet, bleiben ins Trommelfell gebrannt. Thematisch positioniert sich "100 horses" am klarsten, ein Anti-Kriegs-Song im Brass-Gewand: "There were 100 horses / Mabye 124 / All the horses must go dancing / There is only dance music in times of war." Ist die Musik so wenig greifbar wie die verschwommene Silhouette auf dem Albumcover, starrt man plötzlich in eine gestochen scharfe Revolvermündung. "Husbands" stellt den schwer stampfenden Beat in ähnlicher Dialektik neben eine federleicht flirrende Gitarre und den Refrain, der in einer Art Classic-Rock-Singalong endet.

Doch Geese halten zwei Trümpfe lange zurück. Das bombige "Taxes" löst seine interne Spannung in einem überraschend eingängigen Refrain auf, vermutlich deshalb als Single-Wahl auch am sinnvollsten. "Getting killed" endet standesgemäß mit einem irren Trip: "Long Island City here I come" lässt alle Instrumente nervös trippeln, als ob sie das besungene Auto zusätzlich anschieben wollten, Winter schreibt derweil sein eigenes "Desolation row", wendet sich wie im Gehirn-Strudel an vergangene und aktuelle Größen – wie Buddy Holly unter seinem echten Namen. "Oh Charles, tell me about the end / You were there the day when the music died / And I'll be there the day it dies again." Doch hier stirbt nichts.

Im Gegenteil, Geese beweisen, wie lebendig Musik als solche ist. Wie jede andere Band haben sie Referenzpunkte, "Klingt wie"-Momente, Ähnlichkeiten – die sind jedoch so zahlreich sowie elementar zerhackt und verstreut, dass ein Album wie "Getting killed" unmöglich kategorisierbar ist. "3D country" und "Heavy metal" waren schon interessant und faszinierend, doch Geese haben unglaublicherweise noch einen draufgesetzt. Dieses Werk klingt wie alles und nichts, ist kompliziert und einfach, fördert mit jedem Hören neue Wunder zutage und wächst, als ob es kein Morgen gäbe. Ob man die musikalischen und lyrischen Querverbindungen eines Tages alle entschlüsselt hat? Die Fortsetzung des eingangs erwähnten Zitats gibt zumindest Anlass zu glauben, dass auch diese Platte nicht das Ende der Fahnenstange zu sein scheint: "Nobody knows where they're going / Except me."

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Getting killed
  • Taxes
  • Long Island City here I come

Tracklist

  1. Trinidad
  2. Cobra
  3. Husbands
  4. Getting killed
  5. Islands of men
  6. 100 horses
  7. Half real
  8. Au pays du cocaine
  9. Bow down
  10. Taxes
  11. Long Island City here I come

Gesamtspielzeit: 45:39 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

myx

Postings: 5825

Registriert seit 16.10.2016

2025-11-13 17:43:23 Uhr
Bei den ersten drei Songs des Albums bin ich noch gut dabei (durchaus Begeisterung), ab "Getting Killed" beginnt mich leider der Gesang sehr zu nerven, ein Eindruck, den ich über das ganze restliche Album nicht mehr wegkriege. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Schade, da sind/wären durchaus noch tolle Songs dabei (allen voran "Texas"). Ich habe grundsätzlich überhaupt kein Problem mit speziellen Stimmen, hier scheint es einfach nicht ganz zu passen.

joseon

Postings: 1338

Registriert seit 04.09.2023

2025-11-13 10:30:56 Uhr
Mich stört das Sequencing der ersten Hälfte etwas bzw. "Trinidad" funktioniert für mich als Opener nur bedingt. Als Höhepunkt zur Albummitte umso mehr. Unterwegs höre ich das Album derzeit so:

1. Islands of Men
2. Cobra
3. Husbands
4. 100 Horses
5. Trinidad
6. Getting Killed

ansonsten wie gehabt. Flowt in meinen Ohren besser. ;)

Also ich hab Bock aufs Konzert...

Same here. Bin auch ziemlich ins Bootleg Rabbithole gefallen.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 35493

Registriert seit 07.06.2013

2025-11-12 22:54:39 Uhr
Ich bin überrascht, wieviele Songs jetzt erst so richtig bei mir zünden... inklusive "Taxes" (außer die Gitarren).

fuzzmyass

Postings: 20131

Registriert seit 21.08.2019

2025-11-12 10:22:28 Uhr
Bin aktuell bei 8,5/10... tolles Album... Finde es auch überhaupt nicht schwer zugänglich oder schräg, weder stimmlich noch instrumental... für ein absolutes Genre-definierendes Meisterwerk (>= 9/10) fehlt mir ein bisschen was, die Spannung kann nicht 100% ganz über die volle Länge gehalten werden... kann aber auch sein, dass der "Test Of Time" in den nächsten Jahren doch auch das Gegenteil beweist und das doch in höhere Sphären katapultiert...

Lucas mit K

Postings: 231

Registriert seit 19.07.2024

2025-11-12 08:06:13 Uhr
Album macht in der richtigen Mood nach wie vor Spaß, aber bisschen abgenutzt hat es sich doch auch. Manchmal ist es mir dann doch auch zu sehr Malen nach Zahlen-Indierock. Beispielsweise das Radiohead-ähnliche Outro im Titelsong … Also es ist insgesamt schon schön, aber doch irgendwie am Ende doch nicht so „besonders“, auch wenn die Stimme es schon speziell macht. Live brauche ich das auch nicht.

Hat noch jemand bei den herrlichen, erlösenden Gitarren in "Taxes" Pavement-Vibes?

Ja klar, das ist ja hier die offensichtlichste Referenz.
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