The Voice of Gartengnomingen

Es gibt einen Ort, an dem auch im Jahr 2025 noch Hymnen übers Autofahren geschrieben werden. Ohne erhobenen Zeigefinger, stattdessen mit "[schlechtem] Kaffee aus'm Tankstellenautomat" in der Hand. Einen Ort, an dem man ohne ironische Brechung behaupten kann, das Glücke liege auf der Straße und steige ein. Ins Auto, hihi! In unseres, hoho! Beständig sucht und findet die deutsche Musikindustrie Nachschub für lyrische und musikalische Konfektionsware, die den geraden Weg in die Vierräder und Streamingplattformen-Playlists der Einwohnerschaft dieses Ortes – nennen wir ihn Gartengnomingen – finden soll. Dementsprechend glaubt man beim erstmaligen Hören des eröffnenden Titeltracks von Max Giesingers Album "Glück auf den Straßen", Qualität und Inhalt der zwölf Folgetracks treffend einschätzen zu können. Man glaubt, die zugehörige Rezension schreibe sich von allein. Ohnehin sei doch bereits in der Vergangenheit alles gesagt worden über das Formatradio, Castingshowprodukte, Kalendersprüche, Affektiertheit, "Uuu-uuuh"s, "Aaah-aaah"s, Menschen, Leben, Tanzen, Welt. Nur eben nicht von jedem. Der Applaus oder zumindest die höfliche Ignoranz des Plattentests.de-Forums wäre einem gewiss. Zugegebenermaßen gibt es nicht viele Alben, die beginnen wie Giesingers fünfte LP, einen aber letztlich doch noch positiv überraschen. "Glück auf den Straßen" gehört zu diesen Ausnahmen.

Nicht uncharmant erzählt "Butterfly effect" über glückliche Zufälle im Leben, ausgesprochen schön ist der Refrain von "Wimpernschlag", Giesingers hervorragend instrumentiertem Duett mit Johannes Oerding, noch schöner dessen Bridge. Die "Uuh-uuh"s – man sieht beim Schreiben bereits rollende Augen vor sich – klingen weitaus angenehmer und ehrlicher als in der giesingerschen Vergangenheit, eher so, als seien sie anno 1982 in Atlantic City aufgenommen worden. Nicht zufällig lässt der ebenfalls gelungene Refrain von "Schiebedach" den Titel eines anderen Songs Bruce Springsteens fallen. Doch erst in der zweiten Hälfte finden sich die Songs, mit denen man wirklich nicht rechnete: In "Aufhören wenn's am schönsten ist" kündigt der Barde keineswegs sein Karriereende an, sondern singt in durchaus unkonventionellen Worten – und nein, wer süffisanten Sarkasmus im Wort "unkonventionell" sucht, tut dies vergeblich – über das überraschende Beenden einer Beziehung. Es läuft keine Soundsoße mehr über, Giesinger klingt auf seinem bisher besten Album wieder so erdig wie auf seinem Debüt, greift viel häufiger zur Gitarre. Etwa in der Ballade "Mach's gut", in der er in so einfachen wie rührenden Worten an seine verstorbene Großmutter erinnert.

Selbstverständlich gibt es sie auch nach dem Opener noch, die Zweckreime, die den inneren Reich-Ranicki kitzeln. In Gartengnomingen werden die Häuser schon mal "Lieder / Und Du drehst Dich zu mir rüber" ("Wimpernschlag") und geografische Gegebenheiten außer Kraft gesetzt ("Ich schreib Dir vom Himalaya / Von hier oben sieht man Kanada" aus "Bild von Dir"). Die so obligatorische wie schmalzige Feuerzeug-Ballade ("Flugangst") findet ebenso ihren Platz wie Fließbandpoprockschlager, der bei Herrn Silbereisen nicht weiter auffallen würde. Und doch sind zum Schluss, am Ende der Hauptstraße von Gartengnomingen, Opa und Enkelin zufrieden, wenn das erhebende Finale von "4000 Wochen" mit Drums, Gospelchor und Saxophon verklungen ist. "Wir ham nur 4000 Wochen", wiederholt Opa nachdenklich, um dann traurig zu glucksen. Und anzufügen, dass das durchaus schöne Musik gewesen sei. Zumindest bessere als die, die sie gestern im Fernsehen, am Hofe des royalen Clowns, gehört hätten. Die sei letztlich ja auch nur ein anders etikettiertes Produkt der Mittelstandsbeglückungsmaschinerie gewesen. Nun sei es zwar an der Zeit, das neueste Album von Van Morrison zu hören. Aber später, auf der Rückfahrt, nachdem sie sich über den Bausparvertrag unterhalten hätten, könnten sie gerne noch einmal das "Glück auf den Straßen" suchen. Gartengnomingen ist kein schlechter Ort.

(Dennis Rieger)

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Highlights

• Wimpernschlag (feat. Johannes Oerding)
• Aufhören wenn's am schönsten ist
• Mach's gut

Tracklist

1. Glück auf den Straßen
2. Butterfly effect
3. Wimpernschlag (feat. Johannes Oerding)
4. Bild von Dir
5. Schiebedach
6. Menschen
7. Flugangst
8. Sommer & Regen
9. Aufhören wenn's am schönsten ist
10. Bungalow
11. Du wärst es gewesen
12. Mach's gut
13. 4000 Wochen

Gesamtspielzeit: 40:23 min.

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Referenzen

Johannes Oerding; Gregor Meyle; Michael Schulte; Truck Stop; Bosse; Clueso; Pur; Laith Al-Deen; Philipp Poisel; Madeline Juno; Ayliva; Joris; Antje Schomaker; Wincent Weiss; Tim Bendzko; Mark Forster; Andreas Bourani; Sarah Connor; Annett Louisan; Namika; Ich + Ich; Adel Tawil; Mia; Sarah Connor; Wir sind Helden; Rosenstolz; Juli; Revolverheld; AnnenMayKantereit; Cassandra Steen; Christina Stürmer; Madsen; Bruce Springsteen

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