Between The Buried And Me - The blue nowhere
InsideOut / Sony
VÖ: 12.09.2025
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Der Mensch als Depp
Bei Between The Buried And Me gibt es nur zwei Meinungen: Entweder man feiert die Band oder man findet sie total scheiße. Dazwischen klafft eine Lücke, die sich nicht mal mit einem Musikstudium oder Drogen schließen lässt. Was vor 25 Jahren als relativ harmloser Death Metal begann, ist mittlerweile fast schon ein eigenes Genre. Die Kalifornier sind, das muss man so deutlich sagen, Mucker. Aus diesem Grund bestehen ihre Songs meist aus sehr vielen Teilen, die wiederum sehr viele Töne enthalten. Was für die Hater-Fraktion wie Brokencyde mit Jodeldiplom klingt, ist für Fans ein nie versiegender Quell der akustischen Erquickung. Und der Rezensent? Sitzt irgendwo dazwischen, auf einem Bürostuhl, ebenso fassungs- wie orientierungslos. Denn auch "The blue nowhere", das neue Album der Band, enthält wieder sehr viel von allem.
Das heißt in erster Linie, dass man sehr viel Geduld braucht, um sich im Ideenwust zurechtzufinden. Obwohl praktisch jeder Song mit grandiosen melodischen Einfällen brilliert, gibt es dazwischen sehr viel Chaos. Dieses Chaos hat jedoch System: Between The Buried And Me nutzen ihr außerordentliches handwerkliches Geschick, um ein im Wortsinne theatralisches Kunstwerk zu erschaffen. Sobald man sich damit abgefunden hat, dass die Songs eher wie Collagen funktionieren, werden sie zugänglicher. Paradebeispiel für diesen Ansatz ist "Psychomanteum", das in epischer Breite komplexe Riffs durchdekliniert, während hymnische Einschübe die Irritation im Zaum halten. Obwohl es schwer ist, den emotionalen Kern der Musik zu bestimmen, wirkt sie erstaunlich unmittelbar.
Doch dann gibt es Momente, die dermaßen absurd sind, dass nur die Kapitulation bleibt. So biegt "Absent thereafter" nach ein paar Minuten urplötzlich in einen Bluegrass-Boogie ab, ehe es zurück zum Prog-Metal geht. Between The Buried And Me nehmen weder sich selbst, noch die Konventionen ihres Genres ernst. Denn das ist das eigentlich Absurde an der Sache: Gerade im Prog-Bereich agieren viele Bands erstaunlich engstirnig, frei nach dem Motto: Hauptsache geil abgeliefert. Der künstlerische Anspruch verschwindet oft hinter verkopften Konzepten oder seelenlosem Genudel, das hauptsächlich der Zurschaustellung der mühsam erworbenen Fingerfertigkeit dient. Insofern sind Between The Buried And Me eine willkommene Abwechslung, denn ihre Musik ist völliger Quatsch. Das ist als Kompliment gemeint.
Selbst straightere Tracks wie "Slow paranoia" zelebrieren den Kontrollverlust. Blastbeats wechseln sich mit chromatischen Kirmes-Passagen ab, ehe im Mittelteil Tommy Giles Rogers Jr. seine beste Matthew-Bellamy-Imitation auspackt. Danach wird weiter gerifft, denn Verschnaufpausen sind ein Zeichen von Schwäche. Es geht hier nicht um Ausdruck, sondern um totale Überwältigung. Die Einzigartigkeit des Dargebotenen entschädigt für den Mangel an emotionaler Tiefe. Vielleicht hilft der metaphorische Ansatz, um das Dilemma zu veranschaulichen: Wären Between The Buried And Me ein Haus, dann hätte dieses 24 Türen, die alle zu verschiedenen Versionen des Zonk führen. Und obwohl völlig klar ist, dass der Zonk hinter der Pforte lauert, öffnet man Tür um Tür. Weil man als Mensch in erster Linie ein Depp ist. Und wo ein Depp ist, ist immer auch jemand, der von ihm profitiert.
Anmerkung: Wer nicht weiß, was ein Zonk ist, kann sich auch Labubus nach einer chemischen Grundreinigung vorstellen.
Highlights
- Absent thereafter
- Psychomanteum
Tracklist
- Things we tell ourselves in the dark
- God terror
- Absent thereafter
- Pause
- Door #3
- Mirador uncoil
- Psychomanteum
- Slow paranoia
- The blue nowhere
- Beautifully human
Gesamtspielzeit: 71:12 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Kamm Postings: 682 Registriert seit 17.06.2013 |
2025-10-04 14:10:55 Uhr
Ich kann hier beide Seiten verstehen, weil ich auf beiden Seiten schon war. BTBAM habe ich mit "The Silent Circus" kennen und lieben gelernt; das war damals etwas komplett Neues: Eklektizistische Ungeheuerlichkeiten aus Death, Grind, Emo, Prog, Pop, Mathcore und ... Indierock? Gerne mal alles in einem Song. Und so wie von kiste sehr schön beschrieben, lag der Reiz vor allem darin, dass man sich in dieses Chaos wunderbar reinfuchsen konnte - irgendwann griffen die Puzzleteile doch noch ineinander und ergaben herrlich komplexe und tatsächlich stimmige Mosaike. Nicht selten war dieser Prozess der Erschließung, begleitet von meheren "Ach so!"- und "Heureka"-Momenten auch ein sehr emotionaler. Rückblickend betrachtet ergibt das Sinn, zumindest für mich, denn meine Gefühlswelt ist auch kein homogenes, gleichbleibendes Ganzes, sondern oft eben ein Chaos aus Hochs und Tiefs; Albernheiten stehen neben tiefgründigen Gedanken, und manchmal entpuppt sich das eine auch als das andere und andersherum. So gesehen bilden Bands wie BTBAM die Realität vollständiger ab als z. B. manche Extremmetalacts, für die nur der Kampf aller gegen alle existiert, Indiebarden, die in ständiger Traurigkeit verharren, oder so Parallelwelt-Gangster-Hip-Hop, der nur an Gewalt, Reichtum, Sex und Drogen denkt. Das letzte Album der Band, dass ich auf diese Weise gehört habe, also, bis zur vollständigen Erschließung, war "The Great Misdirect" von 2009. Und obwohl es vielleicht sogar mein liebstes von ihnen ist, hat sich darauf schon angedeutet, warum ich danach immer weiter das Interesse verloren habe, nämlich durch eine gewisse Dreamtheaterisierung, wie ich es, vielleicht zu Unrecht für beide Bands, nenne. Ich schrieb weiter oben etwas von Indierock; und mir ist klar, dass das eine etwas gewagte These ist. Sie ist auch nicht ganz zutreffend. Aber andererseits hat es schon etwas zu bedeuten, dass auf ihrem Coveralbum neben Metallica und King Crimson, also Metal und Prog, eben auch Depeche Mode, Blind Melon, Smashing Pumpkins und Counting Crows vertreten sind. BTBAM haben diesen Teil ihrer DNA irgendwann zugunsten einer technischeren, klassisch-progmetallischen Herangehensweise aufgegeben, und damit einen Teil ihres Reizes für mich. In der Folge habe ich die neuen Sachen der Band zwar noch immer wieder mal gehört, aber nie mehr so umfänglich. Ein Album wie Coma Ecliptic wirkt auch mich bis heute genau so, wie Christopher es beschreibt: Stellenweise sehr unterhaltsam, aber emotional distanziert. Das kann jetzt alles eine natürliche Entwicklung sein, wie sich Geschmäcker halt weiter- und auseinanderentwickeln. Andererseits muss ich auch einfach zugeben: Ich habe halt kein Album nach The Great Misdirect wirklich ausführlich gehört; bei einer Band, die genau das schon immer eingefordert hat. Und in meinem Fall kommt noch dazu, dass ich gewisse Vorbehalte gegenüber diesem neuen Stil der Band habe, die aber, glaube ich, unbegründet sind. Nämlich, dass so technisches Progzeug wie eben Dream Theater grundsätzlich weniger emotional ist, als z. B. Indiefolk, vielleicht sogar geradeheraus seelenlos, weil, das hört man doch! Dabei verwechsle ich aber schnell Intention damit, wie etwas bei mir ankommt. Realistisch gesehen ist es nämlich ziemlich anmaßend, ausgerechnet den Künstlern, die sich jahrzehntelang die Finger wundspielen, um sich und die Grenzen des musikalisch Denk- und Machbaren ständig herauszufordern, fehlende Emotionalität und Leidenschaft zu unterstellen. Letztendlich kann ich nicht ausschließen, dass meine Entfremdung zur Band das Ergebnis von nachlassender Leidenschaft auf meiner Seite ist, einhergehend mit einer geringeren Offenheit für neue, mir nicht direkt liegende Ausdrucksmöglichkeiten. "Seelenloses Gefrickel" als Schutzbehauptung, weil ich mich inzwischen halt lieber auf Bekanntes ausruhe und mir nicht die Arbeit machen möchte. Andererseits glaube ich schon, dass es so etwas wie seelenloses Gefrickel auch tatsächlich geben wird; wie immer, wenn irgendwo eine Nachfrage besteht, die dann halt bedient wird. Ich bin mir aber fast sicher, dass BTBAM nicht in diese Schublade gehört. Ich glaube, die haben Bock. Und ich vielleicht auch. Habe das neue Album bisher nur einmal am Stück gehört, ein paar Songs schon öfters. Den Titeltrack empfand ich erst als zu glatt und cheesy, inzwischen aber als richtig schön. Ein paar Teile greifen schon ineinander, die ersten kleinen Gänsehäute waren schon da. Wird vielleicht mal wieder Zeit für BTB and me. |
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kiste Postings: 288 Registriert seit 26.08.2019 |
2025-10-04 08:10:41 Uhr
@Christopher: Hm, verstehe ich und kann ich mit dem neuen Album auch etwas nachempfinden. Bei mir als Fan der ersten Stunde ist der Fall, warum ich die Türen (passt ja diesmal zum Konzept des Hotels) immer wieder aufmache, das Wissen, dass es immer seine Zeit braucht bis man sich in die Musik von BTBAM reingehört hat. Enttäuscht wurde ich noch nie und dieser ganze Ablauf mit Vorfreude, das erste Hören mit der Überforderung und das spätere reinfuchsen empfinde ich immer als sehr emotional. Und wie gesagt, holt es mich diesmal nicht ganz so ab aber ich bewundere die Band trotzdem, sie machen es sich nach meinen Eindrücken selbst nicht leicht und fordern sich stetig heraus. Und nüchtern betrachtet ist „The Blue Nowhere“ für mich auch ein richtig starkes Album, dass vielleicht in einer anderen Zeit mehr Aufmerksamkeit generiert hätte. |
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Marküs Postings: 1622 Registriert seit 08.02.2018 |
2025-10-03 21:35:04 Uhr
Boah, ich find's nach fünfzehn Durchläufen so richtig geil. Auf einmal macht einfach alles einen Sinn. Jeder Song wartet mit melodischen Highlights auf und dennoch ist das ganze Prog vom Feinsten. Die letzten beiden sind durchweg melodische Highlights. |
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Christopher Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 4088 Registriert seit 12.12.2013 |
2025-10-03 18:06:13 Uhr
Ich bezog mich damit v.a. darauf, dass es mir schwerfällt, emotionalen Zugang zu dieser Musik zu finden. Sie ist oft wirklich unterhaltsam und natürlich handwerklich extrem versiert - aber vieles wirkt eher "gewollt", teils sogar erzwungen. Aber weil der Schauwert (Hörwert?) durchgehend hoch ist, bleibt man trotzdem dran, in der Hoffnung, dass sich das Ganze doch noch emotional erschließt. |
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kiste Postings: 288 Registriert seit 26.08.2019 |
2025-10-03 17:43:56 Uhr
Mittlerweile empfinde ich das Album als eines ihrer eingängigsten Werke nach Coma Ecliptic. Keine andere Tracklist hatte ich so schnell verinnerlicht. Leider holt es mich immer noch nicht so richtig ab. Jeder Song hat seine tollen Momente doch wirkt vieles für mich sehr bekannt und mitunter ungelenk bzw. gewollt. Das viele musikalische Einflüsse verarbeitet werden ist schon ok, doch treffen diese diesmal nicht meinen Nerv. Den Zonk Vergleich und den Mensch als Depp finde ich etwas hart in Bezug auf die Band. |
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Referenzen
Animals As Leaders; Piniol; The Dillinger Escape Plan; Periphery; Mastodon; Meshuggah; Sikth; Atomic Symphony; Leprous; The Hirsch Effekt; Tesseract; Dream Theater; The Pineapple Thief; We Are The Catalyst; Deceptic; Textures; Ayreon; Agent Fresco; Mind Key; The Faceless; Chaos Divine; Upside Crown; Veil Of Maya; Coheed And Cambria; Logical Terror; Vanden Plas; Exist Immortal; Ayreon; Gazpacho; Anathema; Beyond The Bridge; Korn; Thank You Scientist
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