Modest Mouse - Good news for people who love bad news

Epic / Sony
VÖ: 05.04.2004
Unsere Bewertung: 10/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Nachrichtenfieber
Als Spätteenager glaubte ich, Modest Mouse wäre die amerikanischste Rockband überhaupt. Flanellhemden, Bierbüchsen-Ballern, Vergewaltigungsgerüchte. Trailer Park Hicks mit speckigen Truckerhüten. Eine Band wie ein Harmony-Korine-Film, Mudhoney für unsere Generation. "The lonesome crowded west" war vielleicht mein Teenageralbum überhaupt; eine Rockplatte, die "pornographer" auf "cinematographer" reimt, die von Kunststoffgabeln und Schneeflocken erzählt und in der ein Isaac Brock das einfache Gegeneinander von Sprechen, Hören, Denken mit leergefegtem Kopf, das Fühlen rundherum und die innere Einsamkeit formulierte, als hätte er meine Gedanken gelesen. Teenagergedanken.
Mein zwanzigster Geburtstag liegt nun schon länger zurück. Ich weiß bis heute nicht, ob mein Amerika- und Modest-Mouse-Bild von damals jemals zugetroffen hat. Die äußere Authentizität ist irgendwann uninteressant geworden, Altersweisheit, vielleicht, "The lonesome crowded west" ist geblieben, die Nigel-Godrich-Imitationen auf "Moon & antarctica" sind verziehen. Und Modest Mouse stehen wieder da: "Good news for people who love bad news". Ich möchte feurige Pamphlete für sie schreiben, Menschen bekehren, und ich bin wieder Teenager. Oder war es damals schon nicht mehr. Ich weiß es nicht, es ist mir egal.
"Good news for people who love bad news" ist vor allem eines: selbstsicher wie ein verfluchter Flugzeugträgerreaktor. Brock hat offensichtlich seine Stimme neu entdeckt, gestärkt, blamiert Tom Waits oder begleitet sich dreifach selbst. Die Rhythmen sind sexy, die Melodien sind dicht, die Produktion leicht, und, am allerwichtigsten: Die Songs sind mutig, riesig, catchy, vielschichtig. Streicher, Flöten, Kriegsschlagzeug, Gitarrenwände! Das Selbstverständnis, mit dem Modest Mouse hier der Ballade die Unschuld nehmen und den Zorn einspeisen, den Indierockdiscorocker neu erfinden oder Düsterpolkas mit Chören ins Glockenspielmesser laufen lassen, mag erst dreist erscheinen; letztlich war aber noch nie eine Band so viel weiter als 1991.
"The world at large" etwa kippt Schlagzeugschutt über Streichersommernächte, die Vorabsingle "Float on" dreht Leichtigkeit in Schlachtrufe, "The view" läßt die Rhythmen über Tretminen nachglühen, "The good times are killing me" streut Rauschpartikel in angefolkte Naivität, "Satin in a coffin" torkelt über bitterböse Trommelarmeen in die Unversöhnlichkeit. Und "Bury me with it" ist der unbedingt tanzbare Zappelphilipp mit Biß, den uns die Pixies immer versprochen hatten: "I just don't need none of that Mad Max bullshit!"
Und, und, und. Keine Nieten, nirgends: Jeder Song hat ein Eigenleben, eine explizite Identität. Und über den Songs steht das Album: Ungläubig optimistisch am Anfang, düster im Mittelfeld, scheinversöhnlich am Schluß, gedrittelt und drapiert mit zwei Vignetten biegt sich über der Platte eine unerhörte, eigene Klangsprache. Und gut versteckt blitzt Ex-Teenager Brock auf: "My thoughts were so loud, I couldn't hear my mouth." Die Wirklichkeit hat meine Gedanken längst rechts überholt. Die Tagträume sind echt, zurück bleibt ein zartbittersüßer Film. Und die Nervenenden tänzeln vor Freude.
Highlights
- The world at large
- Bury me with it
- The view
- Satin in a coffin
Tracklist
- Horn intro
- The world at large
- Float on
- Ocean breathes salty
- Dig your grave
- Bury me with it
- Dance hall
- Bukowski
- The devil's workday
- The view
- Satin in a coffin
- Interlude (Milo)
- Blame it on the tetons
- Black Cadillacs
- One chance
- The good times are killing me
Gesamtspielzeit: 48:46 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10638 Registriert seit 26.02.2016 |
2024-04-09 21:04:22 Uhr
Das Debüt halte ich für überbewertet, ich sehe einen großen Sprung danach bei "The Lonesome Crowded West". "Good News" ist mit "Lonesome" und "Moon" für mich in deren Top 3. |
Eliminator Jr. Postings: 1274 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-04-09 20:39:57 Uhr
Nicht der Anfang vom Ende (der begann ein Album früher), aber der erste Schritt Richtung egal. Eine Hand voll gute Songs, sogar zwei Großtaten gleich zu Beginn, aber auf Albumlänge meilenweit hinter früheren Großtaten. Spontane Einordnung: TIALDFSWNTTA: 9/10 TLCW: 10/10 BNOOS: 10/10 TMAA: 7/10 GNFPWLBN: 5/10 |
kusubi Postings: 1626 Registriert seit 17.12.2019 |
2024-04-09 20:10:47 Uhr
Für mich das erste Album der Band, das keine 10/10 ist. Die ersten 3 Alben sind für mich perfekt, hier fehlt mir der flow als Album und die Songs haben die Leichtigkeit, den Hauch von Spontanität verloren, den ich an den Vorgängeralben so mag. |
Grizzly Adams Postings: 6056 Registriert seit 22.08.2019 |
2024-04-09 20:09:04 Uhr
„ … I know that starting over's not what life's aboutBut my thoughts were so loud I couldn't hear my mouth My thoughts were so loud, I couldn't hear my mouth My thoughts were so loud, ah“ Ja. 10/10 passt schon. :-) |
fakeboy Postings: 5992 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-04-09 20:04:25 Uhr
Grandioses Album. An meiner obigen Einschätzung hat sich nichts geändert, ausser dass ich heute in der Regel die 11/10 zücke dafür.In sich so perfekt, dass ich ganz sicher keine Remixe brauche. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Built To Spill; Grandaddy; The Good Life; Cursive; Desaparecidos; Bright Eyes; Pixies; The Dismemberment Plan; Cake; Clap Your Hands Say Yeah; Talking Heads; Minutemen; Firewater; Tom Waits; The Fall; Les Savy Fav; Gang Of Four; Sonic Youth; dEUS; Fireside; Spoon; Guided By Voices; Hot Hot Heat; Quasi; Helium; Ugly Casanova; The Red Stars Theory; Murder City Devils; Broken Social Scene; The Most Serene Republic; The Helio Sequence; Pavement; Mumble & Peg; The Notwist; Wilco; Marr
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Modest Mouse - The moon & Antarctica (151 Beiträge / Letzter am 20.02.2025 - 18:32 Uhr)
- Bester Song von Modest Mouse (39 Beiträge / Letzter am 17.12.2024 - 19:03 Uhr)
- Modest Mouse - We were dead before the ship even sank (1323 Beiträge / Letzter am 01.12.2024 - 14:25 Uhr)
- Modest Mouse - Good news for people who love bad news (511 Beiträge / Letzter am 09.04.2024 - 21:04 Uhr)
- Modest Mouse (117 Beiträge / Letzter am 26.01.2024 - 02:42 Uhr)
- Modest Mouse - The golden casket (83 Beiträge / Letzter am 11.02.2022 - 01:40 Uhr)
- Modest Mouse - Strangers to ourselves (208 Beiträge / Letzter am 17.10.2020 - 16:47 Uhr)
- Modest Mouse - The lonesome crowded west (126 Beiträge / Letzter am 14.02.2020 - 18:00 Uhr)
- Modest Mouse live (140 Beiträge / Letzter am 13.04.2015 - 10:56 Uhr)
- Modest Mouse - This is a long drive for someone with nothing to think about (14 Beiträge / Letzter am 06.11.2014 - 09:27 Uhr)
- Modest Mouse - No one\'s first and you are next EP (31 Beiträge / Letzter am 06.10.2009 - 20:07 Uhr)
- Sun Kil Moon - Tiny cities (Mark Kozelek ehrt Modest Mouse) (16 Beiträge / Letzter am 30.08.2008 - 16:14 Uhr)
- Modest Mouse - Building nothing out of something (2 Beiträge / Letzter am 19.07.2008 - 12:41 Uhr)