U.S. Girls - Scratch it

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 20.06.2025
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Kein grüner Daumen
Der Mensch kann seinen Wurzeln bestenfalls bedingt entfliehen. Manchmal will er das auch gar nicht um jeden Preis. Wie Meg Remy, Vorsteherin und faktisch einziges festes Mitglied ihres Projekts U.S. Girls. Die Amerikanerin ist zwar seit geraumer Zeit in Kanada zu Hause und schickte Barack Obama von dort mit dem Song "Mad as hell" 2018 sogar eine Protestnotiz zu den Verfehlungen seiner gerade abgelaufenen Präsidentschaft – aber wohl fühlt sie sich in den USA zumindest in künstlerischer Hinsicht immer noch. Eine Festival-Show in Arkansas bestritt sie zum Beispiel statt mit ihrer heimischen Band in Gesellschaft einer Musiker-Riege aus dem nahe gelegenen Nashville – dabei war unter anderem Gitarrist Dillon Watson, mit dem Remy eigenen Angaben zufolge ohnehin schon immer eine Platte machen wollte. Was mit "Scratch it" nun geschehen ist.
Die gebürtige Chicagoerin blieb nach erwähntem Auftritt nämlich gleich in der Gegend, trommelte gemeinsam mit Watson ein paar ausgewiesene Studio-Cracks zusammen und stampfte ihren neunten Longplayer in nur zehn Tagen aus dem Boden. Ein ziemlicher Gegenpart zu den oft bis ins Letzte durchchoreografierten Alben "Half free", "In a poem unlimited" oder "Heavy light", auf denen Remy mit Dub-Versatzstücken, Funk-Bömbchen und fettem Disco-Schmatz arbeitete, bis "Bless this mess" zuletzt etwas arg plump auf Plastik-Mampf setzte. Auf "Scratch it" ist diese Gefahr sofort gebannt: Bereits im Opener "Like James said" schwitzen Remy und Kollegen einen grandiosen, leicht windschiefen Popowackler aus Instrumenten und Klamotten, der sowohl James Brown als auch die heilsame Wirkung des Tanzens mit sich selbst ehrt. Wenn das Billy Idol gewusst hätte.
Der muss freilich draußen bleiben, denn Remy skizziert so etwas wie ihr eigenes kleines American Songbook, in dem neben dem Godfather Of Soul auch andere große Namen Spalier stehen. Etwa Patti Smith, der sie ob eines aus familiären Gründen verpassten Konzerts zu lockerer Folk-Weise geknickt "I didn't get to hear you play / I was making sure my kids didn't fall in the lake" entgegenhaucht. Oder der semi-legendäre Mundharmonika-Virtuose Charlie McCoy, der auch hier einige Stücke veredelt. Obskurer treiben es zwei Coverversionen: Deep Dark Uniteds "Firefly on the 4th of July" mit herrlich eierndem Gitarren-Tremolo und das leider etwas verödet daherschleichende "The clearing" von Micah Blue Smaldone. Und schon stößt die an sich wohltuende Spontaneität dieses Albums an ihre Grenzen: "Scratch it" kommt gelegentlich einfach nicht recht auf den Punkt.
Siehe die Vorabsingle "Bookends", die um den 2020 an einer Überdosis Fentanyl verstorbenen Riley Gale trauert, Ex-Frontmann der Thrash-Metaller Power Trip. Humpeliger Swamp-Blues im Stile von Timber Timbre mit Glitzer im Gesicht, jazzige Bridge und souliges Uptempo-Finale ergeben nicht weniger als elf Minuten, die vermutlich dem Session-Charakter der Aufnahmen geschuldet sind, so aber auch fast zwangsläufig überambitioniert wirken. Was man Remy nachsehen sollte, die mit funkensprühender Stimme so manche Leerstelle von "Scratch it" auffüllt – und im Closer "No fruit" zu überrissenem Wah-Wah sogar richtig grantig wird, wenn das Gegenüber ihr allen Ernstes den grünen Daumen beim Gärtnern absprechen will. Unverschämte Unterstellung, aber ein wunderbarer Abschluss des vielleicht nicht besten, aber sicher persönlichsten U.S.-Girls-Albums.
Highlights
- Like James said
- Firefly on the 4th of July
- No fruit
Tracklist
- Like James said
- Dear Patti
- Firefly on the 4th of July
- The clearing
- Walking song
- Bookends
- Emptying the Jimador
- Pay streak
- No fruit
Gesamtspielzeit: 38:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Huhnmeister Postings: 3486 Registriert seit 22.08.2022 |
2025-07-13 12:20:51 Uhr
Bärbel Bas aufm Cover, herrlich schräge Idee. |
Lucas mit K Postings: 149 Registriert seit 19.07.2024 |
2025-07-11 15:09:56 Uhr
„Bookends“ hat so einen tollen Vibe. Den Rest muss ich noch hören. |
myx Postings: 5649 Registriert seit 16.10.2016 |
2025-07-08 19:12:27 Uhr
@humbert humbert:Hat ein bisschen Zeit beansprucht, aber nun habe ich mich in den letzten Tagen komplett durch ihre neun Studioalben von 2008 bis heute gehört. Hat sich, simpel gesagt, insofern einfach so ergeben, als es sich um eine doch durchaus abwechslungsreiche, also interessante Diskografie handelt. :) Als Ersteindruck kann ich festhalten, dass mir v. a. folgende drei Alben besonders aufgefallen sind: "U.S. GIRLS on KRAAK" (2011), "Half Free" (2015) und "Heavy Light" (2020). Bin da also nah bei deiner Einschätzung gelandet. "In a Poem Unlimited" (2018) hat mir auch gut gefallen, der Vorgänger "Half Free" hat mir aber klar den stärkeren Eindruck gemacht. "U.S. GIRLS on KRAAK" und "Half Free" habe ich mir gerade vorhin nochmals angehört, um meine liebsten Stücke herauszupicken: Bei "KRAAK" gefällt mir "Island Song" am besten (finde insgesamt die gewisse Schrägheit des Albums toll, die es sich von den ersten zwei Alben bewahrt hat). Auf "Half Free" will ich besonders den Opener "Sororal Feelings" und "New Age Thriller" hervorheben. Gut gefallen auch das verschlurfte "Red Comes In Many Shades" und der Closer "Woman's Work". Eine starke 8/10 ist "Half Free" für mich auf jeden Fall! Als Nächstes werde ich nochmals in ihre zwei experimentelleren, "kryptischen" Startalben reinhören, um da erneut den spannenden Momenten nachzuspüren. Das wirklich schöne, "gospelige" "Heavy Light" will ich dann auch nochmals anmachen. Und das neuste Album "Scratch It" gehört in meiner spontanen Sicht wohl ins (vordere) Mittelfeld, da überzeugen mich v. a. "Bookends" und der absolut grandiose Closer "No Fruit". |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28970 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-07-05 22:41:36 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
myx Postings: 5649 Registriert seit 16.10.2016 |
2025-06-28 13:08:00 Uhr
Wird berücksichtigt. ;-) |
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Referenzen
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