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Lorde - Virgin

Lorde- Virgin

Universal
VÖ: 27.06.2025

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

My body, my war

Metaphorisch wollen viele Künstler*innen mit ihren Werken ihr Innerstes nach außen kehren, doch Lorde nimmt die Nummer wörtlich: Eine Röntgenaufnahme ihres Beckens inklusive klar erkennbarer Spirale bildet das Covermotiv ihres vierten Albums "Virgin". Der Waffenstillstand nach dem "war with my body", den sie schon 2024 in Charli XCX' "Girl, so confusing"-Remix dokumentierte. In der Zeit nach "Solar power" hatte Lorde unter anderem mit einer Ess-Störung zu kämpfen, die sie in "Broken glass" direkt angeht, indem sie ungeschönt von verrotteten Zähnen, angeschlagener Libido und gezählten Kalorien singt – ehe sie im triumphalen Refrain den Spiegel zerschlägt. Der leicht psychedelische Hippie-Folk des Vorgängers ist passé, "Virgin" klingt über weite Strecken so, als hätte man "Melodrama" durch die am Boden liegenden Scherben gezogen. Die Hooks sind nicht ganz so klar wie auf jenem Geniestreich, dringen über allerlei Verzerrung und ambitionierte Produktionsentscheidungen aber immer wieder an die Oberfläche.

"I'm ready to feel like I don't know the answers", lautet das Mission Statement des Openers "Hammer", der sich in emotionalen und biologischen Grauzonen bewegt: "Don't know if it's love or if it's ovulation", "Some days I'm a woman, some days I'm a man." Der Song lebt von seiner konstanten Anspannung, entlädt sich in orgasmischen Gesangslinien und stotternden Synth-Schwallen. Hook-zentrierter formt sich die Lead-Single "What was that", erzählt im Refrain vom Rauchen auf MDMA und nähert sich am meisten den "Melodrama"-Hits an. Das ist, bei aller Hochklasse, nicht so euphorieauslösend wie "Green light", aber das gilt bekanntlich für die allermeisten Erzeugnisse der Pop-Geschichte. "Virgin" bezieht auf musikalischer Ebene seine Faszination generell weniger aus Melodien für die Ewigkeit und mehr aus seinem ständigen Vorwärtsdrang. Das seinem Titel gerecht werdende "Shapeshifter" beginnt mit tiefgestimmtem Garage-Klappern, bevor es Cellos und Synths bis zur orchestral-elektronischen Supernova zusammenschichtet. "Everyone that I've slept with / All the metal that I've messaged / If I'm fine without it, why can't I stop?", fragt sich Lorde, das Mantra "I'm not affected" wiederholt sie so oft, bis sie es selbst glaubt.

Die Viszeralität ihres Writings ist grundsätzlich beeindruckend. Selbst "GRWM", der reduzierteste und unauffälligste Track, muss sich zu Beginn erst einmal das Sperma von der Brust wischen. "Man of the year" sei laut eigener Aussage "written in blood" und materialisiert das männliche Alter Ego auf eine Weise, die in Frage stellt, ob die Zeile "Now I'm broken open" wirklich eine Metapher ist. Passend zu diesem angedeuteten Körperhorror wächst die zunächst nur aus Bass und Gesang bestehende Ballade nicht zu einer erlösenden Klimax, sondern zu einem metallenen, unverhältnismäßig laut getrommelten Geräuschklumpen an. "Favourite daughter" schließt deutlich bekömmlicher und Sommerhit-tauglicher an, während es Lordes ambivalente Beziehung zu ihrer Mutter beleuchtet. Die Wertschätzung für deren frühen Support und der Druck einer Lieblingstochter zeichnen ein kompliziertes Bild, das die Neuseeländerin mit einfacher, effektiver Sprache verständlich macht: "For every door you open / There's a room I can't go in."

In "Current affairs" spricht sie ihre Mutter wieder direkt an, verpackt aber auch eine ganze Menge mehr: Gedanken über Pamela Andersons und Tommy Lees Sextape, grandiose Oneliner wie "He spit in my mouth like he's saying a prayer" und ein Dancehall-Sample von Dexta Daps, das anstelle einer Hook durch den Song irrlichtert. Der Closer "David" glüht im beatlosen Minimalismus, namedroppt "Pure heroine", zerhackt seinen Befreiungsschrei "I don't belong to anyone!" mit flackernder Brutalität und lässt die Frage "Am I ever gonna love again?" als leise Paukenschläge verhallen. "Virgin" ist geprägt von einer einnehmenden Körperlichkeit und, damit einhergehend, Lebendigkeit – und erreicht diese Form, indem Lorde sich so weit nach draußen wagt, dass sie Erwartungen weiterer Mega-Hits und radikaler Neuerfindungen gleichermaßen mit Füßen tritt. "I swim in waters that would drown so many other bitches", singt sie in "If she could see me now". Daran besteht nicht der geringste Zweifel.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • What was that
  • Shapeshifter
  • Favourite daughter
  • Broken glass

Tracklist

  1. Hammer
  2. What was that
  3. Shapeshifter
  4. Man of the year
  5. Favourite daughter
  6. Current affairs
  7. Clearblue
  8. GRWM
  9. Broken glass
  10. If she could see me now
  11. David

Gesamtspielzeit: 34:51 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Kontermutter

Postings: 466

Registriert seit 04.03.2023

2025-07-16 21:01:44 Uhr
Mir hat es "Current Affairs" am meisten angetan.
Ich habe aber auch eher eine Schwache dafür, wenn ihre Stimme so ein bisschen "ausbricht", weil es für mich dann auch zu dem Thema Fragilität besser passt.

Aber ja, das ist schon alles wirklich gut. Kein einziger Filler dabei, jeder Titel ergibt an seinem Platz Sinn.

AliBlaBla

Postings: 8897

Registriert seit 28.06.2020

2025-07-16 15:23:34 Uhr
CD läuft einwandfrei!

Können wir kurz mal anhalten und bemerken, wie gut, wie wirklich richtig gut "Shapeshifter" ist?

kingsuede

Postings: 4745

Registriert seit 15.05.2013

2025-07-09 20:26:30 Uhr
Mein Vinyl ist endlich eingetroffen. Jetzt zurückziehen.

Edrol

Postings: 590

Registriert seit 19.10.2018

2025-07-09 20:19:43 Uhr
https://futurezone.at/digital-life/lorde-virgin-transparente-cd-funktioniert-nicht-fehler-discman/403054836

Mein Gerät spielt die CD.

SiebenEuroVier

Postings: 539

Registriert seit 17.05.2025

2025-07-09 19:51:39 Uhr
„ Entweder bilde ich mir das nur ein oder vielleicht gibt es ja auch Materialien, die das eine Licht durchlassen und das andere reflektieren?!“

Eventuell. Glas z.B., oder Plastik. Aber das sind nur so komische neumodische Erfindungen, und werden sich nicht durchsetzen.
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