A Dog Called Ego - Paper boat

A Dog Called Ego
VÖ: 27.06.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Prog around the clock
Der, der dies hier schreibt, hat ziemliche Schwierigkeiten mit zeitgenössischem Progressive Rock. Möglicherweise, weil er ein alter Sack ist und Prog-Rock zu Zeiten von King Crimson, Yes und Genesis kennengelernt hat, als diese Musikrichtung noch einigermaßen kunstvoll und kreativ daherkam. Heutzutage, so will es ihm zumindest vorkommen, handelt es sich dabei allzu oft um musikgewordenes Mansplaining und selbstreferenzielles Checkertum: "Seht her, was ich für ein Bajazzo bin, wieviele Taktwechsel und Tonarten ich in nur einem einzigen Song unterbringen kann! Und schaut mal auf meine ganzen tollen Effektgeräte!" Außerdem fühlte sich der Rezensent auf den drei Prog-Rock-Konzerten, die er in den letzten 20 Jahren aus unterschiedlichen Gründen besuchen musste, stets wie auf einem Oldtimertreffen oder einer Hi-fi-Messe: Im Publikum fast nur einsame Männer mit merkwürdigen Bärten, die das verkopfte Geknörmel, das aus Richtung Bühne kam, mit wissendem Nicken goutierten ("Seht her, ich checke den Takt und weiß genau, wo die Eins ist und wann es in der Bridge in diesen raffinierten Fünfachteltakt geht!") und dabei Bier auf ihre Jeanshemden kleckerten. Es geht allerdings auch anders, wie nach dem Konsum des Albums "Paper boat" von A Dog Called Ego festzustellen ist. Nämlich immer dann, wenn die Prog-Rock-typischen Stilelemente sparsam und gewitzt eingesetzt werden. Es spricht ja im Grunde nichts dagegen, mal das Tempo oder auch das Taktmaß zu variieren, solange das dazu dient, die Musik anzureichern und zu würzen.
A Dog Called Ego schaffen es, zuallererst einmal ungemein kraftvolle und packende Stromgitarrenmusik abzuliefern, die kompositorisch ausgefeilt ist, dabei aber nie in intellektuelle Selbstbefriedigung oder -beweihräucherung abdriftet. "Hollow tree" eröffnet den Reigen mit umherirrenden Gitarren, herrlich sattem Bass und harmonischen Gesängen, um genau nach einer Minute mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit loszubratzen – und im weiteren Verlauf eine wüste Gitarrenspur auf die nächste zu schichten. Das anschließende "Race to ruin" bringt selbstvergessenes Gitarrenschrammeln, hochenergetisches Schlagzeugspiel und abgrundtiefen Bass, dazu aber einen vergleichsweise "schönen" Gesang, sodass man sich irgendwo zwischen Slut, Wipers und Dinosaur Jr. verortet – wenn da nicht immer diese kunstvoll eingesetzten Pausen wären, die viel Raum schaffen. Bei "Private equity" hingegen blitzen die frühen Slut und die seligen The Ghost Of Tom Joad hervor (die Band, nicht der Bruce-Springsteen-Song, eh klar). Und beim Titelsong denkt man nicht (!) an Nada Surf, sondern musikalisch eher an die Smashing Pumpkins, als die Welt noch in Ordnung war und Billy Corgan noch nicht im musikalischen Abklingbecken gegen das Ertrinken ankämpfte.
Sehr gut gefällt auch die Album-Dramaturgie: Einstieg auf hohem Qualitätslevel, das über sechs Stücke mindestens gehalten, wenn nicht gesteigert wird. Es folgen zwei Stücke, die mit den anderen nicht ganz mithalten können, aber immer noch auf sauberem Niveau abliefern – und dann gibt es mit dem abwechslungsreichen und bis zuletzt spannenden "When all is said and done" den großen Knaller ganz zum Schluss: Elegisch-sphärisch geht es los, der Gesang ist in den Hintergrund gemischt, während funkelnde Gitarren erklingen – fast klingen hier Pink Floyd und Mogwai an. Doch nach 73 Sekunden bratzeln shoegazige Gitarrenwände los, um kurz darauf wieder abzuebben und Raum für eine melancholische Strophe zu machen. Und dann, urplötzlich, aus dem Nichts ein kompletter Wechsel der Tonart – und herrlichste Walls of Sound, die sich in ein furioses Finale steigern. Am Schluss bleibt Fiepen und man fragt sich kurz: Ist das jetzt noch die Band oder schon der Tinnitus? Und ja, man sitzt dann erstmal noch eine Weile bewegungsunfähig im Sessel, weil man gerade aufs herrlichste durchgenudelt wurde von diesem wunderbaren Quartett aus Hamburg. Sehr starke Sache. Wenn die Band so weitermacht, wird das nächste Album sicherlich nicht mehr im Eigenvertrieb erscheinen müssen.
Highlights
- Race to ruin
- Holding hands
- When all is said and done
Tracklist
- Hollow tree
- Race to ruin
- Private inequity
- Paper boat
- Fault lines
- Holding hands
- Echoes in the glass
- Kyrie
- When all is said and done
Gesamtspielzeit: 44:26 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Kernone Postings: 230 Registriert seit 05.04.2018 |
2025-07-10 19:11:44 Uhr
Freut mich. Gefällt mir sehr gut. Endlich bekommen sie mal etwas mehr Aufmerksamkeit. Die haben sie sich schon mit der grandiosen EP „Null and void“ mehr als verdient. |
pounzer Postings: 463 Registriert seit 24.08.2019 |
2025-07-07 10:58:41 Uhr
Gefällt mir sehr gut! Das fällt genau in die Nische zwischen Alternative, Post-Rock und Shoegaze, die mir in letzter Zeit zusagt. Danke für die Empfehlung! |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28970 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-07-05 22:39:20 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Slut; Dinosaur Jr.; My Dad Is Dead; Monoland; Wipers; Jimmy Eat World; Tiger Lou; Pearl Jam; Porcupine Tree; King Crimson; The Ghost Of Tom Joad; Dashboard Confessional; Alkaline Trio; Stone Temple Pilots; Soundgarden; Alice In Chains; Screaming Trees; Mudhoney; Queens Of The Stone Age; Mark Lanegan; The Gutter Twins; The Afghan Whigs; Filter; Tool
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