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Model/Actriz - Pirouette

Model/Actriz- Pirouette

Dirty Hit / Rough Trade
VÖ: 02.05.2025

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Den Schleier lüften

Industrial und Eleganz sind zwei Wörter, die selten im selben Satz fallen. Raues Geschepper und unwirtlich aggressive Klangwelten haben in der Regel mit Feingefühl und Anmut nichts am Hut. Wer das New Yorker Quartett Model/Actriz einmal live gesehen hat, weiß jedoch insbesondere durch die (Selbst-)Inszenierung von Frontmann Cole Haden, wie es aussehen würde, wenn, sagen wir, Lady Gaga eine richtige Baller-Truppe anführen und diese Welten verbunden würden. Haden tänzelt, gestikuliert, schreitet grazil umher. "No family is safe when I sashay", sang Perfume Genius einmal. Bei Model/Actriz dürfen jedoch selbst Kinderlose das Frösteln bekommen. Auf dem Debüt "Dogsbody" war die Musik schließlich gewaltig, unberechenbar, von Ausbrüchen durchfurcht. Ebenso wie dort ist auch auf dem Nachfolger "Pirouette" der Albumtitel Programm. Wo vorher maskuline Aggression ihren Lauf nahm und Sex in den Texten eine Transaktion ohne Rücksicht auf Verluste darstellte, lebt nun nicht nur Haden, sondern die ganze Band eine feminine und zerbrechlichere Ader aus.

Zunächst ist "Pirouette" vor allem von Rhythmen geprägt. "Vespers" beginnt mit einem nagenden Riff, das von Melodie wenig hält und sich stattdessen einen massiv grollenden Bass in den Hintergrund holt. Diesen Stil, den das Debüt so nur im Song "Crossing guard" auffuhr, findet man als roten Faden häufiger auf der Platte wieder. "Pirouette" ist zum Großteil sehr tanzbar, es heißt eben nicht ohne Grund so. Der Noise-Anteil ist zurückgefahren, die Atmosphäre bleibt dennoch drückend. "Audience" ist mit seinem treibenden Beat beinahe Techno, während die Verzerrung in "Ring road" schon comichaft überzeichnet wirkt – ein seltener Moment der Brutalität von "Dogsbody", hier jedoch gepaart mit murmelnden Vocals. Vor allem das eröffnende Songquartett ist eine durchgehende Bank, was Intensität und Gefühle angeht. Den unterkühlten und absolut ansteckenden One-Note-Groove von "Cinderella" beantwortet "Poppy" beispielsweise mit einer subtilen Harmonie, die sich inmitten des Geklappers immer wieder Bahn bricht.

Haden öffnet derweil lyrisch sein Herz. Auf "Dogsbody" waren seine Homosexualität und androgyne Ader noch in drastische Metaphern verpackt, auf "Pirouette" fällt jegliche Distanz dazu weg. "When I was five, I remember clearly / My want to have a Cinderella birthday party / And when the moment came and I changed my mind / I was quiet, alone, and devastated." (Das zugehörige Video sollte man gesehen haben.) Das Interlude "Headlights" besteht nur aus seufzenden Keyboardtönen, über die Haden eine Erinnerung an seinen ersten Crush rezitiert, den Bekannten einer Freundin. Eine Gefühlswelt, die alle teilen können, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen. Überhaupt ist "Pirouette" auch textlich ein Meisterstück, trifft perfekt den Kern zwischen Direktheit und Poesie. "Yeah, you could call me a small business owner / Living in America, while trapped in the body of an operatic diva / Hmm, I'm such a soprano." Treffer, versenkt.

Herzzerreißend gerät dagegen "Baton", Hadens abschließende Ode an seine Schwester, zu der die Band sich erst lange zurückhält, bis ein beruhigter Groove fast schon orchestral-sphärisch für das versöhnliche Ende einer zerrissenen Platte sorgt. "It's only that it's different now, as our changes occur from a distance / It's only that I'm grateful more now, to say we have shared life the longest." Ein seltener Moment der ausgestreckten Hand, wenn sich Haden doch eher zurückziehen möchte: "There is no audience / Only light on in my room is red / I'm reflected vaguely in my window and / Clear enough to let me monitor it / So show me how you would collapse / So show me how you would flirt." Dabei dürfte das potenzielle Publikum dank dieses umwerfenden Albums trotz des eigenwilligen Sounds noch einmal größer geworden sein. Model/Actriz scheinen kaum daran interessiert zu sein, auf der Stelle zu treten. Was gleich bleibt: Sie straucheln nicht. Nicht mal im Ansatz.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Vespers
  • Cinderella
  • Poppy
  • Diva

Tracklist

  1. Vespers
  2. Cinderella
  3. Poppy
  4. Diva
  5. Headlights
  6. Acid rain
  7. Departures
  8. Audience
  9. Ring road
  10. Doves
  11. Baton

Gesamtspielzeit: 40:49 min.

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User Beitrag

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 11421

Registriert seit 23.07.2014

2025-07-13 21:50:22 Uhr
Wow, tolles Album.

Sroffus

Postings: 1168

Registriert seit 25.07.2013

2025-06-27 01:28:38 Uhr
Referenzen: Mr.Bungle, Lightning Bolt, Hella... - Haha, natürlich!

Wohl eher "Sin with Sebastian"!

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10668

Registriert seit 26.02.2016

2025-06-23 20:40:17 Uhr
@Machina: Unbedingt.

zeckezichter

Postings: 587

Registriert seit 07.11.2021

2025-06-23 20:39:41 Uhr
@Machina: Ja!

AliBlaBla

Postings: 8864

Registriert seit 28.06.2020

2025-06-23 20:29:32 Uhr
Sieht schon recht beeindruckend aus, finde ich.
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