Kathryn Joseph - We were made prey

Rock Action / PIAS / Rough Trade
VÖ: 30.05.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Licht kostet Geld
Es ist Sommer, mal wieder. Die Sonne scheint, die Menschen wirken glücklicher als sonst. Schön für sie. Aber der Sommer ist, wie so vieles, flüchtig. Schon in wenigen Wochen werden die Tage wieder kürzer, bis zum ersten Schokonikolaus im Supermarkt sind es auch nur noch drei Monate. Flüchtig, vergänglich, so wie das Eis, das einem die Finger verklebt, wenn man nicht schnell genug ist. Sich einzubilden, dass alles in Ordnung sei, mag temporär funktionieren, ist langfristig aber problematisch. Denn die Dunkelheit wird kommen, mal wieder. Sich nicht falschen Hoffnungen anheimzugeben, ist daher wahrscheinlich die vernünftige Option. Auch und besonders musikalisch. Denn halbnackt um den Pool zu hopsen und dabei Ballermann-Hits zu grölen, ist nun wirklich nicht Jedermanns Sache, auch wenn die Werbung etwas anderes behauptet. Vorhang auf für Kathryn Joseph, ihres Zeichens Schottin, Songwriterin und gut gehütetes Geheimnis. Die 50-Jährige zelebriert auf ihrem neuen Album "We were made prey" die verhangene Melancholie der halbdunklen Wohnung. Wer hierzu um einen Pool hopst, trinkt wahrscheinlich auch Ziegenmilch mit Rosmarinextrakt.
Aber der Reihe nach. Die Musik auf "We were made prey" ist ruhig, bisweilen fast schon bedrohlich. Die meisten Songs werden von Rhodes-Akkorden getragen, oft gesellen sich spärlich arrangierte Synthesizer-Elemente und noch karger ausfallende Beats hinzu. Licht kostet Geld, deshalb bleibt das Studio zappenduster. Dazu singt Joseph entrückte Verse über das Zwischenmenschliche, gerne angereichert mit Metaphern aus der Tier- und Unterwelt. Ein Brocken also? Mitnichten. Auch wenn die Musik ein hohes Maß an Aufmerksamkeit einfordert, bleibt sie doch stets zugänglich und melodisch. Josephs zittrige Stimme erinnert oft an eine gewisse Beth Gibbons, was nun wahrlich nicht die schlechteste Referenz ist. Immer wieder warten die Songs mit überraschenden Wendungen auf, Paradebeispiel hierfür ist der Opener "Wolf", dessen Synthie-Drop schlicht atemberaubend ist. Auch das brütende "Harbour" weiß dank clever gesetzter Widerhaken schon beim ersten Hören zu überzeugen. Die großen Ausbrüche sind hingegen nicht Josephs Sache – sie braucht keine übertriebenen Gesten, um ihrer Performance Tiefe zu verleihen.
Man muss allerdings schon eine gewisse Neigung zu Balladen mitbringen, um in "We were made prey" versinken zu können. An der inhärenten Qualität von Songs wie "Deer" oder "Drawn" ändert das freilich nichts, wenngleich ein bisschen weniger Zurückhaltung manchmal nicht geschadet hätte. Aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau, Joseph hat gemeinsam mit ihrem Co-Songwriter Lomond Campbell einen einzigartigen und bezaubernden Stil gefunden. Sie macht Musik für Menschen, die beim Hören die Augen schließen und das Kopfkino anwerfen. Immer wieder gelingen ihr so Momente, die zu Tränen rühren. "Hold" ist so einer. Der an sich entwaffnend simpel angelegte Song bezaubert mit fein gesetzten Backgroundstimmen und einer wunderschönen Melodie. Während andere Künstler so ein Lied mit Pomp und Pathos an die Wand gefahren hätten, lässt Joseph es verebben, bis nur eine vage Erinnerung an eine noch vagere Hoffnung zurückbleibt. Kathryn Joseph vertont Vergänglichkeit. Wenn die Fäden zwischen den losen Enden reißen, klammern sich Menschen nicht selten an das, was übrigbleibt. Loslassen ist eine Kunst, die man nur unter Schmerzen erlernen kann.
Highlights
- Wolf
- Harbour
- Hold
Tracklist
- Wolf
- Dark
- Harbour
- Bel(II)
- Before
- Deer
- Drawn
- Roadkill
- Hold
- Children
- Fire
Gesamtspielzeit: 39:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Obrac Postings: 2681 Registriert seit 13.06.2013 |
2025-06-22 20:58:30 Uhr
Bin immer noch nicht reingekommen in das Album. Der Vorgänger hat mich direkt weggeblasen. |
Vive Postings: 1216 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-06-22 20:29:47 Uhr
trifft mich ziemlich genauwerd ich mal ganz genau reinhören als hätte thom yorke vor 15 jahren ein kate bush album produziert |
Cayit Postings: 286 Registriert seit 05.05.2014 |
2025-06-19 10:58:26 Uhr
Sehr gutes Album.Schön düster und elektronisch. Hätte im Herbst erscheinen können aber egal... |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28963 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-06-19 09:33:48 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MickHead Postings: 5932 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-05-31 13:52:34 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:https://kathrynjoseph.bandcamp.com/album/we-were-made-prey |
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Referenzen
Isobel Campbell; Beth Gibbons; Adrian Crowley; Deradoorian; Anna B Savage; Circuit Des Yeux; Tomberlin; Josephine Foster; Kate Bush; Nico; Aldous Harding; Lykke Li; These New Puritans; Goddess; Sarah Mary Chadwick; Jenny Hval; Cloth; Quinquis; Mess Esque; The Golden Dregs; Camp Saint Helene; Ronboy; All Seeing Dolls; Bria Salmena; Ringdown; Danni Lee; Sophie Jamieson; Hand Habits; Benefits; Robert Ascroft; Sophia Kennedy; King Creosote; Jane Weaver; Johnny Flynn; Withered Hand; Sacred Paws; Torres; Nadine Shah; Thom Yorke; The Smile
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