Annahstasia - Tether

Drink Sum Wtr / Cargo
VÖ: 13.06.2025
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Himmlisch geerdet
Der wichtigste Hinweis für Musikfans mit Namensschreibungsschwächen gleich vorab: Es geht hier nicht um ein neues Werk der Pop-Soul-Knödlerin Anastacia, mit der die Plattentests.de-Redaktion ja zurecht sowas von "outta love" ist. Also bitte unbedingt weiterlesen. Denn es gibt diese Stimmen, die unmittelbar in ihren Bann ziehen und innehalten lassen. Nicht unbedingt wegen technischer Perfektion, sondern weil da eine Gleichzeitigkeit von Verletzlichkeit und Stärke den Shortcut in unsere Seelen findet. Die herbe Leidenschaftlichkeit von Billie Holiday, das warme Timbre von Tracy Chapman oder Beth Gibbons' zuletzt auch solo wieder so hypnotisch brüchiger Gesang gehören in diese Kategorie. Das sind sehr große Namen, in die sich Annahstasia Enuke mit ihrem Debütalbum "Tether" unbedingt einreihen darf.
Dieser Erstling kommt jedoch beileibe nicht aus dem Nichts. Die amerikanisch-nigerianische Sängerin war bereits als Teenager entdeckt und erstmals unter Vertrag genommen worden, fremdelte jedoch mit der Musikindustrie und ihren Regeln. Die Pandemie eröffnete ihr eine Gelegenheit zum Reset zu eigenen Bedingungen. Mit den EPs "Revival" und vor allem "Surface tension", einer Art Beziehungsdrama in drei Akten, ließ Annahstasia zuletzt mehr als nur aufhorchen, und kaum eine "Artist to watch"-Liste für 2025 kam ohne sie aus.
Das Wort "Tether" hat vielfältige Nuancen, aber steht hier für eine gewisse Bindung, einen Rückhalt im Zwischenmenschlichen, vor allem aber die Verbindung und die Erdung mit sich selbst. "Be kind", der fast schmerzhaft schöne Eröffnungstrack und zugleich reduzierteste Moment des Albums, enthält bereits alle Schlüsselelemente des Sounds der 30-Jährigen. Begleitet von sanften Akustikgitarren – mal geschlagen, mal fein gezupft – entfaltet sie ihren ganzen stimmlichen Reichtum: Sie haucht, klagt, fleht oder lässt ihre Stimme beben. Dazu gedämpfte Klavierakzente und das leise Seufzen einer Klarinette. Die Vorabsingle "Villain" beginnt ähnlich zurückhaltend, baut sich jedoch mit einem reicheren Arrangement samt Hörnern und gospelartigem Harmoniegesang immer weiter auf. "I still hear your voice in my head / Say that I'm the villain of the story", bekennt Annahstasia zuletzt voller verletzlicher Emphase. Das leicht jazz-folkige "Unrest" erinnert an Nick Drakes Songs auf "Bryter layter". Ganz zerbrechlich, ebenso wie die besungene Liebe, kommt Annahstasias Stimme in "Take good care of me" daher und setzt einen weiteren emotionalen Punch.
Der ebenfalls nigerianisch-stämmige Obongjayar ist ein Könner, was Kollaborationen angeht. Dies bewies er mit Little Simz auf dem großartigen "Point and kill" von "Sometimes I might be introvert". Im gemeinsam verfassten, souligen Duett "Slow", über Schicksal und das Leben nach dem Tod, harmoniert sein Falsett aufs Feinste mit Annahstasias tieferer Stimmfarbe. "What's the worst that can happen / If we just let it happen?", fragen sie da ebenso fatalistisch wie tröstlich. Das poppig eingängige "Overflow" macht eine entspannte Spritztour in Tracy Chapmans "Fast car" und zelebriert eine gewisse Leichtigkeit. Das Spannungsverhältnis von Kunst und Kommerz beschreibt "Silk and velvet" augenzwinkernd und mit einem kleinen Free-Jazz-Lärmausbruch: "Maybe I'm a moralist, an anti-capitalist / Who sells her dreams for money to buy her silk and velvet."
Ganz unabhängig von Arrangement und inhaltlicher Ausrichtung der Songs bleibt es durchgehend beeindruckend, wie reif und selbstsicher Annahstasia all diese Stücke komponiert und eingesungen hat. Auch die Sequenzierung der Tracks ist durchwegs gelungen, sodass sich beim Hörgenuss ein wunderbarer Flow einstellt und auch die mit Gitarre begleitete Gedichtrezitation "All is. Will be. As it was." der Lyrikerin Aja Monet stimmig ins Bild passt. Den großartigen Abschluss des Albums bildet der triumphale Track "Believer", der gar noch mit bratzigen, elektrischen Gitarren aufwartet und im hymnischen Finale gemeinsam mit Gospel-Unterstützung eine sehr schöne Frage stellt: "I get lonely and I know you get lonely too / Can I get lonely here with you?" "Wer "Tether" gehört hat, wird sicherlich ebenfalls zum "Believer". Dieses Album ist hervorragend – eindrucksvoll in Komposition und Ausdruck und getragen von einer Stimme, die klingt, als gehöre Annahstasia schon jetzt zu den ganz Großen.
Highlights
- Villain
- Slow (feat. Obongjayar)
- Overflow
- Silk and velvet
- Believer
Tracklist
- Be kind
- Villain
- Unrest
- Take care of me
- Slow (feat. Obongjayar)
- Waiting
- Overflow
- All is. Will be. As it was. (feat. Aja Monet)
- Silk and velvet
- Satisfy me
- Believer
Gesamtspielzeit: 41:28 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Krillgrill Postings: 51 Registriert seit 29.10.2024 |
2025-06-24 21:16:54 Uhr
Kann die hier geäußerte Kritik an dem Albumcover auch nur bedingt verstehen. Mein Punkt wäre eher, dass ich die Cover der Vorabsingles sehr gut fand und auf einen ähnlichen Stil für das Album gehofft hatte. Insbesondere a la Be Kind oder von Surface Tension. |
Unangemeldeter Postings: 1802 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-06-24 13:45:55 Uhr
Hatte jetzt ein paar Durchläufe, tolles Album und definitiv ein Jahreshighlight. Ich fand Villain ja mega stark und hatte ein wenig Angst, dass der Rest nicht mithalten könnte - aber das ist alles auf demselben extrem hohen Niveau, ich höre da keine Schwachstelle oder Skipkandidaten.Und weil das Cover oben ja mal negativ bewertet wurde: als digitales Bildchen fand ich das eher unspektakulär, die CD-Verpackung ist aber sehr gelungen finde ich. Zwar arg 90s, aber die schwarz-weiße Hülle, das bunte Innere, der coole Font, gefällt mir sehr gut. |
octoberswimmer Postings: 88 Registriert seit 20.01.2022 |
2025-06-19 18:56:42 Uhr
In München auch eine schicke kleine Location. Ich hoffe das bleibt so. |
Klaus Postings: 11090 Registriert seit 22.08.2019 |
2025-06-19 11:45:39 Uhr
Danke, werde es mir überlegen, allerdigns sieht der Showvember schon wieder so voll aus :D |
Unangemeldeter Postings: 1802 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-06-19 11:41:09 Uhr
Bin ja mal sehr gespannt ob das wirklich im Privatclub bleibt oder nicht doch noch hochverlegt wird. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Tracy Chapman; Nina Simone; Leonard Cohen; Aisha Badru; Obongjayar; Billie Holiday; Joni Mitchell; Sinéad O'Connor; Gabriels; Joan Armatrading; Lucy Dacus; Cat Power; Nick Drake; Bon Iver; Thomas Dybdahl; Grace Cummings; Sarah McLachlan; Eva Cassidy; Anohni And The Johnsons; Laura Marling; Feist; Marla Glen; Anna B Savage; Noah Cyrus; Joan Baez; Cassandra Jenkins; Sade; Moses Sumney; Frank Ocean
Bestellen bei Amazon
Threads im Plattentests.de-Forum
- Annahstasia - Tether (46 Beiträge / Letzter am 24.06.2025 - 21:16 Uhr)