Patrick Wolf - Crying the neck

Apport / PIAS / Rough Trade
VÖ: 13.06.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Der Sänger im Roggen
Mit erhobener sichelförmiger Sense steht Patrick Wolf da, wie ein blonder Mondkrieger vor einem unweltlich gefärbten Himmel. Nicht das schlechteste Covermotiv für die Comeback-Platte nach fast 15 Jahren – schließlich hat der Brite in den 2000ern orchestralen Folk-Pop mit zerberstender Elektronik auf eine Weise verzahnt, die oft wahrlich außerirdisch erschien. Doch Erntewerkzeug und Getreidefeld sind hier wörtlich zu verstehen. "Crying the neck" leitet seinen Titel nicht nur aus einer kornischen Erntedankfest-Tradition ab, Wolf besinnt sich hier nach einer Dekade voll von privaten Strapazen und Kreativblockaden ganz auf seine Heimat Kent. In einem Studio in seinem Garten nahm er das Album auf, das von der Landschaft, der Folklore und den Menschen in der Umgebung inspiriert sei. Tatsächlich klingt Wolf erdiger und naturnäher als früher – der Promo-Text nimmt sogar das Wort "Country" in den Mund –, bleibt seinen Trademarks allerdings weiterhin treu.
Dazu gehört, dass jede Anmutung von Minimalismus zumeist direkt an der Wurzel abgeschnitten wird. Der Opener "Reculver" verwandelt sich nach einer Minute vom Piano-Lament in eine mehrstimmig geschmetterte Folk-Hymne, die Breakbeats jongliert und dynamisch die Erde umpflügt. In wenigen Momenten nimmt Wolf sich zurück – "On your side" schrummt seine Saiten etwa ohne jeden Ballast –, doch hört natürlich niemand ein Patrick-Wolf-Album, um andächtig vor reduzierten Akustikballaden zu sitzen. Da lässt man sich lieber von den Synths und Streichern der famosen ersten Single "Dies irae" mitreißen, bis man in deren aus undefinierbarem Geräusch zusammengeklopptem Groove alle Tiere des Bauernhofs zu erkennen glaubt. Manchmal ist mehr eben doch mehr: vor allem, da Wolfs Gespür für Melodien in all den Jahren nicht gelitten hat und seine Stimme weiterhin genug pathetische Muskelkraft aufweist, um alle instrumentalen Extraschichten zu schultern.
Geblieben sind auch die alles andere als gute Laune evozierenden Inhalte, die unter dem Spektakel immer wieder an die Oberfläche drängen. In "Hymn of the haar" rekapituliert Wolf den Moment, als er eines Morgens die an die Küste gespülte Leiche eines geflüchteten Jungen sah. Am nächsten Tag war der Körper einfach weg, ohne jede öffentliche Meldung. Wolf begegnet dieser Entmenschlichung mit einer weitflächig gespannten Klage, deren Emotionen trotz der Opulenz nie gestelzt erscheinen. Seine Meisterschaft für geschmackvolles Drama beweist "The curfew bell", wenn die Streicher in der Schlussminute ihren eigenen Ausdruckstanz aufführen. Am allerbesten funktioniert diese orchestrale Grandezza allerdings in Kopplung mit schnellzündenden Pop-Hooks, wie es etwa das großartige "Oozlum" demonstriert. Da fällt es auch nicht negativ ins Gewicht, dass "Crying the neck" insgesamt eine etwas weniger bunte Soundpalette als frühere Platten nutzt.
In dieser Hinsicht stark ist auch das von Zola Jesus unterstützte "Limbo", dessen wunderbar verspieltes Finale in das textlich besonders beeindruckende "The last of England" überleitet. Hier verschränkt Wolf urbritische Mythen mit zeitloser Metaphorik, zeichnet das kryptische Bild einer frustrierten Nation: "The absent father who stopped calling / I got bored to madness that June / Spitting at the sun / Hollowing the moon / And then we were the last of England / Rotten to the core." Nur in ganz seltenen Momenten wie im Refrain von "Better or worse" bewegen sich Wolfs Hymnen etwas zu nah am H&M-Folk von The Lumineers und Co. – aufgrund der Relation zum großartigen Rest kein Kritikpunkt, aber der Grund, warum "Crying the neck" mit Meisterwerken wie "Lycanthropy" oder "Wind in the wires" doch nicht mithalten kann. Da die Platte als erster Teil einer vierteiligen Albenserie angelehnt an den Wicca-Jahreskreis konzipiert ist, hat Wolf seine letzte Ähre allerdings noch lange nicht abgeerntet.
Highlights
- Reculver
- Limbo (feat. Zola Jesus)
- Oozlum
- Dies irae
Tracklist
- Reculver
- Limbo (feat. Zola Jesus)
- The last of England
- Jupiter
- On your side
- Oozlum
- Dies irae
- The curfew bell
- Lughnasa (feat. Serafina Steer)
- Song of the scythe
- Better or worse
- Hymn of the haar
- Foreland
Gesamtspielzeit: 52:29 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Immermusik Postings: 1519 Registriert seit 04.11.2021 |
2025-06-13 20:21:35 Uhr
Disco Stu? :D |
Lichtgestalt User Postings: 7047 Registriert seit 02.07.2013 |
2025-06-13 19:54:57 Uhr
War live wirklich sehr sehr gut.Im Gegensatz zu dir fand ich aber auch den Supportact prima. :) |
Immermusik Postings: 1519 Registriert seit 04.11.2021 |
2025-06-13 19:53:28 Uhr
Fand ihn live auch ganz toll. Schönes Comeback. |
Lichtgestalt User Postings: 7047 Registriert seit 02.07.2013 |
2025-06-13 19:16:38 Uhr
Fast auf die Woche genau vor 14 Jahren erschien Lupercalia. |
Konsul Postings: 892 Registriert seit 06.04.2022 |
2025-06-13 17:28:28 Uhr
15 Jahre ist die letzte Platte her? Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Werde ich mal reinhören |
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Referenzen
Rufus Wainwright; The Waterboys; Guillemots; Get Well Soon; Andrew Bird; The Divine Comedy; Scott Walker; Perfume Genius; The Dears; Villagers; Bill Ryder-Jones; Sufjan Stevens; Patrick Watson; John Grant; Bright Eyes; Shearwater; Noah And The Whale; Beirut; Stars; The Killers; Sam Fender; Florence & The Machine; Band Of Horses; Suede; Tunng; CocoRosie; Jeremy Warmsley; Owen Pallett; Kate Nash; Self Esteem; My Brightest Diamond; Tori Amos; Regina Spektor; Tom Odell; Johnny Flynn; PJ Harvey; Joni Mitchell
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