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Caroline - Caroline 2

Caroline- Caroline 2

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 30.05.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Simultan ist besser

Eine Gitarre, ein Akkord auf dem linken Kanal – eine Gitarre, ein Akkord auf dem rechten Kanal. Beide in unterschiedlichen Tempi angeschlagen, bis Reibung entsteht: Das zweite Album der Londoner Band Caroline beginnt als tektonische Versuchsanordnung. Rasch rumpelt ein Schlagzeug los, Bläser und schiefe Streicher spielen zu ihrem Takt mit, bevor eine elektronische Implosion kurzzeitig alles verstrahlt. Was sich wie ein abstraktes Klangexperiment liest, ist zugleich mit einem starken und eindeutigen Affekt überschrieben: "Total euphoria" verspricht der Opener von "Caroline 2", in der Rockgeschichte übersetzt sich sowas ja gerne in selige Momente der Selbstauflösung. Und bei aller Lust an der klanglichen Dekonstruktion geht es dem Oktett eben nicht selten auch genau darum. Über "Total euphoria" legt sich nämlich schon nach 30 Sekunden eine eingängige, freundliche Indie-Pop-Melodie, die später zur waschechten Hymne reift. Hätten Arcade Fire ein paar andere Abzweigungen nach "Funeral" genommen, wären sie hier gelandet.

Auch die Namen der Songs pendeln zwischen Emo-Sensibilität ("U r ur only aching", im Original als Capslock) und postmodernen Spielereien: So heißt der zweite Track "Song two", ist aber natürlich so wenig ein Blur-Cover wie "Coldplay cover" eines der Mannen um Chris Martin wäre. Stattdessen präsentieren Caroline dort trägen Slowcore mit perlenden Gitarren und einem sanften Schluss, der Jasper Llewelyns Stimme lediglich mit Alex McKenzies Bassklarinette grundiert; "Coldplay cover" wiederum klingt, als bewege sich jemand mit einem Mikrofon durch ein Studio, in dem gerade zwei Stücke gleichzeitig aufgenommen würden: zwischen folkig-schrammelndem Überschwang und akustisch wispernder Intimität. Ab und an brechen die Songs kurz gänzlich weg und Gespräche der Aufnahmesessions wehen hindurch: eine Metapher für den Kollektivgedanken bei Caroline, in dem jedes Bandmitglied und Instrument zwar mit eigenem Raum ausgestattet ist, diesen aber gerne im Chor dem Gemeinschaftsgefühl überantwortet.

Die Extravaganzen der Produktion treibt "When I get home" weiter, das eingangs einen wummernden Club-Bass aus der Ferne mit fragilen Akustikfiguren konstelliert. Der Mittelteil zerfasert bewusst, arhythmische "Dun-duns" transformieren den Song in sein nächstes Stadium. "U r ur only aching" lädt sein Pathos sogar mit grellem Vocoder-Effekt auf: Ohnehin verzerren und verfremden Caroline ihre Stimmen gerne zu einem weiteren Element der klanglichen Palette, aus der fein austariert Schicht um Schicht auf- und abgetragen wird. Wohl nirgends so ausgiebig wie in "Two riders down", das als angeschickerter Alt-Country lostorkelt wie alte Palace-Music-Stücke. Als peu à peu eine berechenbare Noise-Welle bricht, haucht einem die Band noch beschwichtigend ins Ohr. Klang Lärm jemals freundlicher?

Zusammengehalten wird "Caroline 2" maßgeblich von seinen stets folkigen Kokons und schlichten Melodien, aus denen sich dann Experimente schälen dürfen. Grandios gelingt das in "Tell me I never knew that", tatsächlich ein Duett mit Alt-Pop-Star Caroline Polachek, das deren glockenklare Stimme in einen vielschichtigen Dialog mit der Band bringt. Ganz bald scheint einem dann auch der Ansatz der Band überhaupt nicht mehr sperrig zu sein, der neben musikalischen Einflüssen wie Disco Inferno, den späten Low oder Animal Collective einen weiteren klaren Kompass kennt: Caroline versuchen, ihre Freude an Wohlklang und Miteinander in eine adäquat gegenwärtige Form zu bringen, darin medialen Reizüberfluss, Hyperpop und Simultaneität mitzubedenken. Vielleicht füllen sie dabei ganz nebenbei einen der ja eigentlich quatschigsten Begriffe der Geschichte der Popkritik endlich mit Leben: Diskursrock – und zwar ganz ohne textliche Manierismen. Denn wie heißt es im meta und treffend betitelten Closer "Beautiful ending" ebenso meta und treffend: "Not everything needs to even out."

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Total euphoria
  • Tell me I never knew that (feat. Caroline Polachek)
  • Beautiful ending

Tracklist

  1. Total euphoria
  2. Song two
  3. Tell me I never knew that (feat. Caroline Polachek)
  4. When I get home
  5. U R ur only aching
  6. Coldplay cover
  7. Two riders down
  8. Beautiful ending

Gesamtspielzeit: 39:45 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28963

Registriert seit 08.01.2012

2025-06-11 20:39:55 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

MickHead

Postings: 5932

Registriert seit 21.01.2024

2025-06-09 12:08:55 Uhr
SPON gibt 9/10 - Borcholte on Fire!

https://www.spiegel.de/kultur/musik/caroline-maxine-troglauer-leonie-pernet-front-abgehoert-album-der-woche-a-8e56abf5-921d-4861-a038-0cc008fc32c6

saihttam

Postings: 2660

Registriert seit 15.06.2013

2025-06-09 00:57:00 Uhr
Ich glaube da gibt es gar nicht viel zu erklären. Das ist Musik, die einen sprachlos zurücklässt. Entweder aus Begeisterung und emotionaler Überwältigung oder eben aus Unverständnis und ausbleibender Wirkung. Ich verstehe irgendwie beide Seiten. Das ist größtenteils wirklich sehr wenig Song. Finde ich auch etwas schade. Da war das Debüt noch stärker. Dennoch packt mich dieser Gemeinschaftssinn, der der Musik ganz tief innewohnt. Selten hat sich Lärm so beruhigend und Schutz spendend angefühlt. Ich fühle mich in diesem Wirrwarr an Stimmen und Melodiebögen unheimlich geborgen, also eigentlich sogar eher heimlich denn unheimlich. Schwer zu beschreiben und sehr einzigartig in seiner Wirkung. Ich weiß auch nicht, ob man sich den Zugang dazu wirklich erarbeiten kann, wenn es einen nicht sofort abholt. Ich habe mich zumindest direkt verbunden gefühlt zu dieser Musik mit all ihren Stimmungen und zu diesen Menschen mit all ihren Ideen.

Klaus

Postings: 11090

Registriert seit 22.08.2019

2025-06-08 22:55:14 Uhr
13.10. Berlin

VelvetCell

Postings: 8402

Registriert seit 14.06.2013

2025-06-08 13:31:45 Uhr
Puh, bin da mit offenen Ohren und recht hoher Erwartung reingegangen. Aber mir ist das auch zu ziellos. Zu gewollt experimentell.
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