Billy Woods - Golliwog

Backwoodz
VÖ: 09.05.2025
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Geschichte als Albtraum
Jumpscares, Zombies, kalter Schweiß, Stephen-King-Romane – schon ein Blick auf die Tracklist offenbart das Genre, aus dem Billy Woods einen Leitfaden seines neuen Albums bezieht. Dazu auf dem Cover die 130 Jahre alte Kinderbuchfigur der britischen Kinderbuchautorin Florence Uptons als Puppe, die vor rassistischen Stereotypen strotzt und hier in einem undurchsichtigen Waldstück verstört: "Golliwog" ihr Name, der auch die Platte tauft. Woods verarbeitet afroamerikanische Unterdrückung als blanken Horror statt Historiendrama und schreibt sich ein in eine jüngere Tendenz, die von Toni Morrison zu Percival Everett reicht, aber auch Filme wie "Get out" und "Blood & sinners" oder Elemente der Serie "Atlanta" umfasst. Als wandelndes Kulturgedächtnis mit globaler Perspektive lassen seine Verse dabei einmal mehr gestochen scharfe Bilder aufeinanderfolgen, verweben bewegende Mikrogeschichten zu einem Panorama post-kolonialer Systemkritik. Eine derart technische Beschreibung unterschlägt jedoch die Kompromisslosigkeit, mit der das geschieht. "Golliwog" ist vor allem in seiner ersten Hälfte ein unfassbar düsteres Album. Mit den Füßen am Abgrund hält Woods stets dem Blick der entstellenden Fratzen der Geschichte stand.
Industriedröhnen und das Klimpern einer kaputten Spieluhr prägen die ersten Sekunden, materialisieren eine apokalyptische Landschaft. Woods tastet sich mit bedächtigem Flow und den Waffen der Herren voran, zur Eloquenz geschliffen: "The English language is violence, I hotwired it / I got a hold of the master's tools and got dialed in." In der Folge ziehen zwar gelegentlich groovende Basslinien durch die Tracks, die mal ein Füllhorn literarischer Referenz ausgießen, mal motivisch MF Doom Tribut zollen, ohne jemals den klaren Fokus zu verlieren. Doch Woods zwingt mindestens genau so oft, innezuhalten, das Grauen direkt zu konfrontieren. In "Blak Xmas" klingt der gefeaturete Bruiser Wolf wie ein irrer Nachrichtenansager, während von der Räumungsklage kurz vor Weihnachten und Obdachlosigkeit berichtet wird. Woods spitzt die Armut als Begegnung mit Stephen Kings Pennywise zu, die das Blut in den Adern gefrieren lässt: "Storm drains full of clowns, tent cities on the edge of town / Squeaky wheel on the shopping cart, so you know when they comin' around". Ein karges Klavier wird abschließend nach und nach von Wassergeräuschen umspült – der Klang des Ertrinkens.
Noch einen Schritt weiter in die Hölle geht "Waterproof mascara", in dem Woods zum Sample einer schluchzenden Frau gefasst und zugleich schneidend unsentimental den Moment rekapituliert, in dem seine Mutter vom Unfalltod des Vaters berichtet. Daraus entspinnt sich eine komplexe Auseinandersetzung mit familiären Traumata und ihrer Weitergabe, die in Schreckensbildern kulminiert: "Sometimes it's all you can do not to do it like Sylvia Plath / My house full of gas, my kids cry, then laugh right after: psychopaths." Es gibt für Woods keinen Rückzug aus dem Politischen, seine Botschaft gerät jenseits aller Floskeln nur umso radikaler. Das verhältnismäßig eingängige "Corinthians" entwirft eine Medienkritik durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort, während Woods zum machtlosen Betrachter des unermesslichen Leids in Gaza verdammt ist: "Scarecrow in a field, watching the spectacle." Despots schwebender Flow kontrastiert seinen gedrückten Vortrag; ohnehin beweist Woods erneut sein Gespür für Kollaborationen, von denen einige weit zurückreichen. Langzeitpartner Elucid – der zweite Teil des Duos Armand Hammer – steuert dichte Cyberpunk-Melancholie bei ("All these worlds are yours"), gemeinsam mit Cavalier verhandelt das Trio dann im grandiosen "Lead paint test" Kindheit als verlorenen Möglichkeitsraum, der genau so ungreifbar wird wie die verhallenden Bläser des Tracks. Die bei aller Lust am Experiment stets subtile Produktion erweist sich als Kollektivaufgabe, an der unter anderen der abermals virtuose Kenny Segal, The Alchemist – beängstigend gut seine sich überlagernden Spiralen schlaflosen Grübelns in "Counterclockwise" – oder El-P beteiligt sind.
Der vielleicht grazilste Moment auf "Golliwog" findet sich in Yolanda Watsons zarter Soul-Hook im wunderschönen "A doll fulla pins", angeschmiegt an singende Saxofone. Er markiert zugleich so etwas wie eine Zäsur auf dem Album, das die Horrorvisionen des Anfangs mit jazzigen Ruminationen ergänzt. Ob in den Erinnerungen an verstorbene Verwandte, zerfallende Romantik oder im Bewusstsein des Alterns: Woods klingt nun häufig wie der erschöpfte Überlebende eines viel zu lange währenden Konflikts: "I hide everything in the rhymes, that's why I need it dark onstage." In "Blk zmby" spielt die Gitarre eine arabisch anmutende Tonfolge, als zeichne sie die Migrationsbewegungen vieler junger Afrikaner*innen nach: Wie so oft faltet sich das Globale ins revolutionäre Subjekt. Nie käme Woods auf die Idee, aufzugeben, doch funkelt seine Ästhetik inzwischen aus einer Tiefe, die kaum noch auszuloten ist. "Golliwog" vereint den beklemmenden, grotesken Albtraum mit der unbehaglichen Klarsicht danach: In dieser wohnt der bei aller Dystopie ermutigende Appell nach Veränderung. Im Closer "Dislocated" ergießen sich dunkle Klavierakkorde, Streicher und stark synkopierte Drums in ein rätselhaftes Outro. "Shadows flit 'tween leaves, blotches of green, monsters cling to trees, I'm under the painting / You can't come in here with me, I can't be located." Ein wenig erinnert das an Ralph Ellisons "Invisible man", bei Woods heißt es vielleicht aber auch: Wer in seiner Kunst verschwindet, kann überall wieder auftauchen.
Highlights
- Waterproof mascara
- Corinthians (feat. Despot)
- A doll fulla pins (feat. Yolanda Watson)
- Lead paint test (feat. Elucid & Cavalier)
- Dislocated (feat. Elucid)
Tracklist
- Jumpscare
- Star87
- Misery
- Blk Xmas (feat. Bruiser Wolf)
- Waterproof mascara
- Counterclockwise
- Corinthians (feat. Despot)
- Pitchforks & halos
- All these worlds are yours (feat. Elucid)
- Maquiladoras (feat. Al.Divino)
- A doll fulla pins (feat. Yolanda Watson)
- Golgotha
- Cold sweat
- Blk zmby
- Make no mistake
- Born alone
- Lead paint test (feat. Elucid & Cavalier)
- Dislocated (feat. Elucid)
Gesamtspielzeit: 52:40 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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jayfkay Postings: 1125 Registriert seit 26.06.2013 |
2025-06-06 12:24:19 Uhr
@Gallantsda bin ich dann eigentlich schon direkt raus |
Vive Postings: 1194 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-06-05 19:10:41 Uhr
und krasse ähnlichkeit zu portishead oder tricky bei zb waterproof mascara |
Vive Postings: 1194 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-06-05 19:06:13 Uhr
shit ja das hat so elemente die ich bei mfdoom auch gut finde |
Vive Postings: 1194 Registriert seit 26.11.2019 |
2025-06-05 19:03:29 Uhr
ok wer ist das |
Unangemeldeter Postings: 1758 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-06-04 23:40:19 Uhr
Ich hab's schon in nem anderen Thread geschrieben: ich komm in die Platte grade überhaupt nicht rein. Irre düster, zerfasert, skizzenhaft, finde ich aktuell nur anstrengend zu hören und mir fehlt fast komplett der Pay-off. Bis ich zur entspannteren zweiten Hälfte komme, bin ich schon völlig erschlagen und geplättet. Ich kann die Kompromisslosigkeit anerkennen, aber das geht vom Hörvergnügen in Richtung The Drift.Ist für mich wohl eine absolute Stimmungsplatte, ich werd's sicher immer mal wieder probieren und ansonsten zur Maps zurückkehren, dem wahrscheinlich bisher besten Rapalbum in diesem Jahrzehnt. |
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Referenzen
Armand Hammer; Earl Sweatshirt; Elucid; Madvillain; MF Doom; Viktor Vaughn; Guilty Simpson; Quelle Chris; Danny Brown; Shabazz Palaces; Lil Ugly Mane; Backxwash; Ghostface Killah; Dälek; JPEGMAFIA; El-P; Ka; Mach-Hommy; Preservation; Yasiin Bey; Run The Jewels; Aesop Rock; Freddie Gibbs; Injury Reserve; Clipping.; Cannibal Ox; Slowthai; Moor Mother; Open Mike Eagle; Boldy James; Blu; Conway The Machine; PyInfamous; Knife Knights; Nas; Eric B. & Rakim; Tyler, The Creator; Kendrick Lamar; A Tribe Called Quest; Nas
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