Pulp - More

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 06.06.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die Ehrenrunde
"Im Großen und Ganzen bedeutet man schlicht gar nichts", so Jarvis Cocker. Da ist was dran: Auf dem Cover des ersten Pulp-Albums seit "We love life" ist die Band zwar zu sehen, verliert sich aber winzig inmitten einer imposanten Berglandschaft. So viel zur Relevanz des Menschen im Größenvergleich mit der Natur. Diejenige von Pulp für den britischen Pop ist jedoch nach wie vor beträchtlich – ungeachtet des allzu frühen Todes von Bassist Steve Mackey und eines knappen Vierteljahrhunderts Sendepause, nur hin und wieder durchbrochen von Reunion-Konzerten. Und Cockers französelnde bis Piano-zentrierte Soloplatten sowie das Debüt seines Projekts Jarv Is... waren zuletzt irgendwie auch nicht dasselbe, obwohl "Beyond the pale" mit dem grandiosen Motorik-Stampfer "Must I evolve?" wenigstens gefühlt den größten Pulp-Kracher seit Ende der Neunziger auf der Pfanne hatte. Die locker durch die Hose groovende Vorab-Single "Spike Island" kündigt den nächsten an – und eröffnet Longplayer Nummer acht höchst standesgemäß.
Und nicht nur dieser bassig-elektronische Groover im Geiste von "Sorted for E's & wizz" tritt den Beweis an, dass der längst als Elder Statesman des Brit-Pop etablierte Frontmann keinen wichtigen Teil seines Gehirns auf einem Acker in Hampshire zurückgelassen hat: Schon auf "We love life" brütete er über Flüchtlingsströme oder tote Paarhufer am Straßenrand, war aber auch nie um geistreiche Gemeinheiten über den Neuen der Ex oder eine listig verdrehte Sexualmetapher verlegen. Dass Letztere auch auf "More" ihren Platz haben, liegt auf der Hand, da der Songwriting-Prozess zu diesem Comeback für Cocker vor allem eine "Auseinandersetzung mit Gefühlen" markiert. Zum Beispiel mit jenen für "Tina", zu der er ein ganz besonderes Verhältnis pflegt – oder auch nicht: "Although we've never met or exchanged emails / We got a strong connection, it just can't fail." Und man glaubt dem Sänger aufs Wort, wenn er zu Protokoll gibt, er habe öfter vor dem Plattenspieler geweint als wegen Dingen, die in seinem Leben passiert sind.
Und so dreht "More" immer wieder ausgiebige Ehrenrunden in die unglamouröse Vergangenheit. Zu einer unschönen Auseinandersetzung mit der geschiedenen Frau im verbreakt um sich selbst herumhumpelnden "Slow jam" oder beim wunderbar tighten und dennoch leicht verbogenen Rocker "Grown ups" in die Zeit erster heimlicher Sex-Erlebnisse – vermutlich ein paar Jährchen später angesiedelt als das verstohlen kieksende "Acrylic afternoons" von "His 'n' hers". Dazu dröhnt die weit aufgerissene Gitarre pointiert zum munteren Backbeat, während Cocker ernüchtert bilanziert, dass man lediglich älter, nicht jedoch erwachsener werde und sich am Ende selbst auf den Mond schießt, wo er mit sich und den Bewohner*innen aber auch nicht viel anzufangen weiß. Trotz ausgedehnter Spoken-Word-Bridge einer der straightesten Songs dieses Albums – und einer, der das Anliegen von Pulp trefflich auf den Punkt bringt: lüsternes Ranwanzen, emotionales Zurückgeworfensein auf sich selbst und verdammt knackige Riffs. Meisterhaft.
Wird es weniger catchy, hat "More" genug anderes zu bieten. Etwa die düsterlich rumpelnde Bestandsaufnahme "My sex", die sich mit Sätzen wie "I haven't got an agenda / I haven't even got a gender" oder "My sex is out of its mind / One of a kind and ill-defined" erstaunlich nackig macht und sich auf einer perkussiven Streicher-Note verabschiedet – fast so, als wären der verstorbene Mackey und der geigende Gitarrist Russell Senior noch an Bord. Alles souverän gegeneinander verschoben von Mischpult-Bär James Ford, dem man auch die leichte Überproduziertheit des übermütigen Krachers "Got to have love" verzeihen muss: Selten standen Pulp sicherer mit je einem Bein auf dem Dancefloor und im Therapiezimmer. Umso filigraner hingegen: das orchestrale "The hymn of the North", das Cockers Sohn ehrt. Hinreißend – ähnlich wie "A sunset" aus der Feder von Ex-Mitglied Richard Hawley, zu dem die komplette Brian-Eno-Familie im Chor singt. Das anrührende Finale eines bravourösen Spätwerks: "More" bedeutet eine ganze Menge.
Highlights
- Grown ups
- My sex
- Got to have love
- The hymn of the North
Tracklist
- Spike Island
- Tina
- Grown ups
- Slow jam
- Farmers market
- My sex
- Got to have love
- Background noise
- Partial eclipse
- The hymn of the North
- A sunset
Gesamtspielzeit: 50:16 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Deaf Postings: 3235 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-06-14 23:35:12 Uhr
"Slow Jam" ist für mich auch ein Highlight. |
Lichtgestalt User Postings: 6812 Registriert seit 02.07.2013 |
2025-06-14 23:30:49 Uhr
Für mich eine sehr fette 8/10. Auch die 2 bis 3schwächeren Songs "klingen" zumindest gut. |
Glufke Postings: 1123 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-06-14 23:23:35 Uhr
Ich finde, das Album hat keinen Ausfall. Gerade "Slow Jam" finde ich richtig stark und "My Sex" klingt ein bisschen wie dEUS. Passt auch total zur Jahreszeit. |
didz Postings: 2554 Registriert seit 29.06.2017 |
2025-06-14 22:33:11 Uhr
ach schade, doch nich ganz album-of-the-year-material. oh well :-)ein paar eindrücke...das album hat mit 'slow jam' und 'my sex' leider 2 ausfälle zu verbuchen. musikalisch uninteressant, und textlich belanglos. und überhaupt, die texte...hach. auf albumlänge, und dann nach mehreren durchgängen immer mehr, kippen die irgendwie von absolut grandios ins fast schon prätentiöse. die konsequenz is, viele songs bleiben emotional leider auf distanz, unnahbar. das wird für einige bestimmt blasphemie sein, aber so empfinde ich das nach ein paar durchgängen. etwas weniger wäre mehr gewesen. tina! tina? bejubeln, dann im nächsten song schon wieder 'forget about tina'. eiskalt, dieser jarvis. hat für einen schmunzler gesorgt. aber die 2te hälfte...meine herren. maaaan, was für eine 2te hälfte! 'farmer's market' und 'hymn of the north' toppen sogar noch 'spike island' und 'got to have love'. bei denen kommt wirklich alles zusammen, da wirkt nix zuviel, und das sind dann auch die songs die emotional zusammen mit 'got to have love' am meißten packen. richtig schön auch diese streicher-linie(weiss nich wie ichs anders nennen soll) zu beginn von 'partial eclipse', das is eine der tollsten und besten momente des ganzen albums. spike island 9 tina 7 grown ups 7 slow jam 5 farmer's market 10 my sex 4 got to have love 9 background noise 8 partial eclipse 9 hymn of the north 10 a sunset 8 unterm strich ne 8, die sich irgendwie nach mehr anfühlt. aber dafür is der start zu stotterig. trotzdem tolles ding. |
AliBlaBla Postings: 8562 Registriert seit 28.06.2020 |
2025-06-14 06:44:57 Uhr
@slowmoO.k O.k. habe wohl etwas überreagiert, eigentlich sind mir die ZAHLEN auch gar nicht wichtig, schön, das du die Songs einzeln besprochen hast, slowmo, werde bepunkten wenigstens nächste Woche. Entscheidend ist doch, das uns das Album so Bock macht und Spaß. Und es GIBT Pulp noch, und sie müssen sich nicht verstecken. |
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Referenzen
Jarv Is...; Jarvis Cocker; Relaxed Muscle; Suede; Brett Anderson; The Tears; My Life Story; Rialto; David Bowie; The Divine Comedy; Scott Walker; The Last Shadow Puppets; Roxy Music; Bryan Ferry; A. Human; International Teachers Of Pop; The Auteurs; Black Box Recorder; The Indelicates; Blur; Damon Albarn; Graham Coxon; The Waeve; The Smiths; Morrissey; Johnny Marr; Gene; Menswear; Marion; Belle And Sebastian; Baxter Dury; Patrick Wolf; James Righton; Miles Kane; Richard Hawley; Elvis Costello; The Style Council; Paul Weller; Franz Ferdinand; FFS; Sparks; Momus; The Psychedelic Furs; The Rakes; Maximo Park; Dexys; The Beautiful South; Paul Heaton; Doves; Fosca; The Human League; The All Seeing I; I Monster; Fat Truckers; The Moonlandingz; Everybody Was In The French Resistance ... Now!; Art Brut; Super Furry Animals; Gruff Rhys; Arab Strap; Leonard Cohen; The Moody Blues; Jacques Brel; Chilly Gonzales; Discodeine
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