Yeule - Evangelic girl is a gun

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 30.05.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Wandlung gestalten
Wer sich die Cover der jüngsten drei Yeule-Alben in Sukzession anschaut, bekommt einen Eindruck von der Lust, mit der Nat Cmiel dem Gestaltenwandel frönt. Irgendwo zwischen Vaporwave und Cyberpunk, Cyborg- und Videospielästhetik – schließlich entstammt das Pseudonym dem "Final fantasy"-Kosmos – wird dort ein Körper auf spektakuläre, aber stets entrückte Weise inszeniert. Die (Ver-)Störung liegt am Ursprung der selbsternannten "Glitch Princess", zugleich produktiv nutzbar gemacht in einem Selbstbild, das kategorialen Zuschreibungen widerstrebt: non-binär, singapurisch-britisch, zwischen Pop und Lärm, Rock und Elektronik. Es liegt darum nahe, von Yeule im Plural sprechen zu wollen, zumal Cmiel sich auch auf "Evangelic girl is a gun" wieder als "painter" begreift – die entsprechende Palette stiften dabei ein weitergeschraubter und doch sanfter wirkender Genre-Mix als zuvor, sowie eine ganze Entourage klangvoller Produzenten. Neben Langzeitkollaborateur Kin Leonn sitzen unter anderem A. G. Cook, Chris Greatti, Mura Masa, Clams Casino und Fitnesss an den Reglern und Instrumenten.
Wer Yeule so bewaffnet und in dystopischem Noir-Gewand von "Evangelic girl is a gun" blicken sieht, könnte auf falsche Ideen kommen. Mitverantwortlich dafür: der vollkommen abgefahrene Titeltrack, zugleich eine Singleauskopplung. Zu hektischem Industrial verschmelzen darin Bilder aus Gewalt und Erotik zu einem fulminanten Horror-Rave, der anmutet, als habe Charli XCX davor auf den Absätzen kehrtgemacht, um zurück in den "Brat summer" zu hüpfen. Kreischendes Gitarrenfeedback beschließt Yeules Cyberpunk-Gewitter, das umso mehr verblüfft, da es sich in den acht Songs davor kaum angekündigt hatte. Die gute halbe Stunde des Albums ist meist nämlich eine verhältnismäßig ruhige Angelegenheit, nur punktuell bricht sie auf. "Tequila coma" beginnt mit warmem Triphop-Bass und gehauchten ASMR-Vocals, erst in der zweiten Hälfte bleibt der Beat kurz hängen und die Gitarre klingt wie bis zur Unkenntlichkeit komprimiert. "Eko" präsentiert eingängigen, beinahe allzu süßlichen Elektro-Pop, bevor verzerrte Schreie aus dem Hintergrund belegen: Es bräuchte nicht viel um die Fassade einzureißen in Yeules Welt. Unter der allzu glatten Oberfläche lauert das Trauma, die Instabilität jeder Identität.
Während der gitarrengetriebene Alt-Rock von "The girl who sold her face" Melancholie und Coolness für Zwillinge hält – man denke an Garbage und die 90er-Jahre – und wohl am ehesten Platz auf dem Vorgänger "Softscars" gefunden hätte, prägen im Mittelteil erstaunlich oft akustische Elemente die Songs. Sowohl "1967" als auch "Vv" werden entsprechend eingleitet, letzterer garniert seine Arpeggien sogar mit Pianotupfern. Dass die Vocals auf "Evangelic girl got a gun" so selten wie bislang nie in Yeules Karriere manipuliert und verzerrt werden, lässt sich auch als Ausweis einer neu gestatteten Verletzlichkeit lesen: Die phonetischen Spiele und der sich selbstbewusst ausbreitende Dream-Pop von "Dudu" schlagen in eine ähnliche Kerbe. Fast scheint es da, als werde die ganze Welt zur Muse, wenn Cmiel singt: "I screamed and screamed and screamed your name / All my paint was washed away." Yeules Perspektive kennt den Wandel als einzige Konstante, den Fehler als Inspirationsquelle, den Zeitgeist als widersprüchlich-schillernd zwischen Realität und Virtualität – das macht die entsprechende Musik dazu so eminent gegenwärtig, aber eben auch herausfordernd. "Laying on burning fields / With you, as we watch / The sun on fire", heißt es zu shoegazigen Flächen im atmosphärisch dichten Closer "Skullcrusher". Verlockung oder Untergang? Wie so oft bei Yeule: beides.
Highlights
- The girl who sold her face
- Evangelic girl is a gun
- Skullcrusher
Tracklist
- Tequila coma
- The girl who sold her face
- Eko
- 1967
- Vv
- Dudu
- What3vr
- Saiko
- Evangelic girl is a gun
- Skullcrusher
Gesamtspielzeit: 31:40 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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joseon Postings: 1068 Registriert seit 04.09.2023 |
2025-05-31 13:03:38 Uhr
Gestern beim Spaziergang gehört und fands bis auf den Titeltrack erschreckend nichtssagend. |
MickHead Postings: 5475 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-05-31 12:38:29 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:https://yeule.bandcamp.com/album/evangelic-girl-is-a-gun |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28792 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-05-28 20:29:56 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MickHead Postings: 5475 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-05-14 23:22:06 Uhr
4. Song "Dudu"https://youtu.be/sUdvVt7Ldso?si=ON0saW5w1EWsqKRT |
MickHead Postings: 5475 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-04-08 19:18:04 Uhr
3. Song "Evangelic Girl Is A Gun"https://youtu.be/XjUKQSmGw-U?si=kT7oR5wUPAjZATy0 |
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Referenzen
Björk; PinkPantheress; Parannoul; Hatchie; Sweet Trip; M83; Portishead; Massive Attack; Garbage; Porter Robinson; Aseul; Pearly Drops; The Japanese House; Yves Tumor; Sleigh Bells; Kero Kero Bonito; Candy Claws; Crystal Castles; Alice Glass; Rina Sawayama; Charli XCX; Purity Ring; Let's Eat Grandma; Sevdaliza; A. G. Cook; 100 Gecs; Avril Lavigne; Hole; Pixies; The Smashing Pumpkins; Nirvana; Deftones; Slowdive; Cocteau Twins; Julia Holter; You'll Never Get To Heaven; Ethel Cain; Grimes; Grouper; Eartheater; Banks; Disco Inferno; The Beta Band; Magdalena Bay; Aphex Twin
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