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Viech - Vollmond

Viech- Vollmond

Abgesang
VÖ: 13.04.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 3/10

Mutter Courage frisst ihre Kinder

Musik ist eigentlich recht einfach. Man arrangiert Geräusche so, dass man beim Hören etwas fühlt. Manche machen daraus eine Wissenschaft. Andere stellen sich einfach hin und schauen mal, was passiert. Die österreichische Band Viech gehört der zweiten Kategorie an. Auf ihrem neuen Album "Vollmond" befinden sich zwölf Lieder, die allesamt wie hing'schissen klingen – und das ist als Kompliment zu verstehen. Die Musik von Viech zeichnet eine gewisse Beiläufigkeit aus, eine Lässigkeit, die sich nicht erzwingen lässt. Es wirkt fast so, als wäre die Band nur zufällig im Studio gewesen. Gleichzeitig sind hier offensichtlich überaus fähige Musiker*innen am Werk, die das Understatement bewusst als Stilmittel einsetzen. Sie könnten, aber sie wollen nicht, weil sie nicht müssen.

Exemplarisch hierfür steht "Schiebt Euch Eure Wettbewerbsfähigkeit in den Arsch", dessen Melodie wie gemacht für die Südkurve wäre, aber wohl nie dort erklingen wird. Aber das ist auch besser so, weil im Stadion den meisten Leuten Wettbewerbsfähigkeit wichtig ist. Wie dem auch sei: Das Lied vereint sanfte Melancholie mit gerechtem Zorn und bleibt dabei angenehm stumpf. Eine Eigenschaft der Wahrheit ist, dass sie nicht kompliziert ist. Den Gesang übernehmen in den meisten Songs alle Bandmitglieder, mal im Chor, mal abwechselnd, aber immer mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Dies führt zu wundervollen Momenten wie dem kollektiven Jaulen in "Hasenfuß" oder dem liebevoll drapierten Backgroundchor in "Wir müssen nochmal von vorn anfangen". Und dann ist da noch "Freibad", das wahrscheinlich beste Lied, das jemals über das Schwimmengehen-Wollen geschrieben wurde.

Hinzu kommt, dass Viech überaus begabte Geschichtenerzähler*innen sind. In "Rost" geht es beispielsweise um das Altern, nicht nur als Mensch, sondern auch als Künstler*in. Die Musik dazu irrlichtert irgendwo zwischen Arcade Fire und Frühstücksfernsehen umher. Und ehe man über diesen bescheuerten Vergleich nachdenken kann, ist man ergriffen, weil die Melodie so schön ist. Immer wieder überrascht die Band zudem mit Versen, die tief erschüttern. Diesbezüglich ragt "Guru" heraus, die zentrale Zeile des Songs lautet: "Du bist ein Erdbeben, mein Leben hat nur ein Davor und Danach". Die Musik dazu scheppert, weil Scheppern zu seismischen Ereignissen gehört. In eine ähnliche Kerbe schlägt "Oh mein Herz (dunkeldunkeldunkelrot)", das zunächst dank eines herrlich schrägen Gitarrensolos Aufmerksamkeit einfordert. Nach einer kurzen Verschnaufpause im Mittelteil gehen Viech im Schlusspart volles Risiko und belohnen sich und die Hörer*innen mit einem Gänsehautmoment.

Ein bisschen Weisheit gibt es als Bonus frei Haus. "Von allen Tieren ist der Mensch das traurigste" mag angesichts der emotionalen Befindlichkeit von Schweinen, die im Mastbetrieb wohnen, eine gewagte These sein. Aber dann hört man den Songtext und versteht. Das Konzept der Banalität ist den Tieren nämlich fremd, wofür sie dankbar sein dürfen. Wobei das auch wieder so eine arrogante Menschenaussage ist. Die Kernthese der Band lautet: Wir machen uns das Unglück selbst. Vielleicht weil wir Idioten sind, weil wir es nicht besser wissen wollen. Vielleicht aber auch, weil wir vergessen haben, worauf es ankommt. Die Musik von Viech ist ein Plädoyer für das Miteinander, für ein kleines bisschen Hoffnung. "Das Kollektiv als Korrektiv!", krakeelt ein bärtiger Typ vom Turm herab, und Rapunzel ruft die Polizei. Wir leben hier schließlich immer noch in der Zivilisation.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Hasenfuß
  • Guru
  • Schiebt Euch Eure Wettbewerbsfähigkeit in den Arsch
  • Rost

Tracklist

  1. Hasenfuß
  2. Freibad
  3. Guru
  4. Schiebt Euch Eure Wettbewerbsfähigkeit in den Arsch
  5. Ich habe nichts
  6. Von allen Tieren ist der Mensch das traurigste
  7. Rost
  8. 13A
  9. Oh mein Herz (dunkeldunkeldunkelrot)
  10. Ich reim dich zurück
  11. Ritter Lancelot
  12. Wir müssen nochmal von vorn anfangen

Gesamtspielzeit: 32:57 min.

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Armin

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2025-05-21 19:58:18 Uhr - Newsbeitrag
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