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Julian Knoth - Unsichtbares Meer

Julian Knoth- Unsichtbares Meer

Italic / The Orchard
VÖ: 23.05.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Weiches Wasser

Laut Forschungen treten Depressionen nach Covid-19 wohl seltener als befürchtet auf. So weit, so schön – doch was nützt dieses Wissen, wenn es den Wissenden keinen Gewinn bringt? Julian Knoth ist offensichtlich einer von ihnen: Der Bassist von Die Nerven schrieb die Songs seines ersten Soloalbums eigenen Angaben zufolge "in größter Depression und Melancholie". Zumindest zu Beginn, bevor "Unsichtbares Meer" ein solidarisches Gemeinschaftsprojekt mit Freunden wurde. Gestalt nahm das Ganze im Pandemie-Jahr 2020 an, und obwohl der Stuttgarter mit seiner Band in der Folge die Post-Punk-infizierten Dunkelrock-Meisterwerke "Die Nerven" und "Wir waren hier" aufnahm, hat ihn die schwierige Zeit Anfang des Jahrzehnts anscheinend nicht so richtig losgelassen. Nur konsequent, dass diese halbe Stunde mit dem textlichen Motiv des Wassers als Überbau von Die Nerven denkbar weit entfernt ist. Alles fließt? Das schon – doch zunächst fühlt es sich noch an wie zäh wälzendes Blei in verlangsamten Hirnwindungen.

Keine Kritik am eröffnenden Doppel "Der Regen" und "Kein Lied", sondern vermutlich eher die Gemütslage, in der Knoth diese beiden von Stillstand und Gleichgültigkeit geprägten Songs verfasste. Eine sanft gezupfte Akustikgitarre, gelegentlich eingewobene E-Licks und leicht apathisch von der Seite reinschmeckende Streicher reichen schon aus, um ein matt vorgetragenes "Weißt Du, wie es draußen riecht?" musikalisch zu visualisieren. So ziemlich die emotional trostloseste (Um-)Deutung von Tocotronics "Kein Außen mehr", ehe sich Knoth vollends zurückzieht: "Kein Lied, das mich berührt / Die Stille kam heut früh." Aufstehen zwecklos. Entsprechend rauschen zwei Interludes mit dem nassen Element im Titel und die Drone-Skizze "Nimmt die Blätter mit" widerstandslos vorbei, und dennoch begehrt das Innere auf. Zuerst im vorsichtig aus dem Fenster spähenden "Hinterhof der Welt", in dem sich Saxofon, sachte Drums und Bassfigur hinzugesellen und Knoth erstmals so etwas wie ein Licht aufgeht. Auch wenn es nur funzelt.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat dieses Album Blut geleckt und will mehr. Was genau, weiß "Ohne Namen" zwar noch nicht so wirklich, gönnt sich aber ein munteres Riff zu einem sich maulig selbst schützenden "Nennt mich Versager, nennt mich wie Ihr wollt / Aber lasst mich doch allein." Da bleiben selbst Marimba und Gebläse ganz kleinlaut. Anders als im schon weniger verzagten "Gestern hatte ich noch einen Traum", wo zackig gespielte Streicher übernehmen und Perspektivlosigkeit in eine Art fatalistisches Wir-Gefühl umschlägt. Erkenntnis: Alle sitzen im gleichen (Ange-)Boot – oder auf der Draisine über "Irre Gleise", die ähnlich schon das Essener Kammerpop-Trio Festland befuhr. Das Schlimmste ist überstanden, wenn "Morgen fängt der Ernst des Lebens" an und "Nie wieder allein" zum Schluss einen selbstaffirmativen Singsang anstimmen – nicht ohne Ironie, aber auch nicht ohne (begrenzte) Hoffnung. Und dafür, dass man diese nicht verliert, sorgt Julian Knoth mit einem kleinen, aber feinen Album.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Hinterhof der Welt
  • Ohne Namen
  • Gestern hatte ich noch einen Traum

Tracklist

  1. Der Regen
  2. Kein Lied
  3. Unsichtbares Meer
  4. Hinterhof der Welt
  5. Nimmt die Blätter mit
  6. Ohne Namen
  7. Gestern hatte ich noch einen Traum
  8. Morgen fängt der Ernst des Lebens an
  9. Endloser Ozean
  10. Nie wieder allein

Gesamtspielzeit: 29:50 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

AndreasM

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 769

Registriert seit 15.05.2013

2025-05-22 08:55:34 Uhr
Die Vorab-Single hat mir in seiner Reduziertheit auf jeden Fall gut gefallen!

Obrac

Postings: 2656

Registriert seit 13.06.2013

2025-05-22 08:18:15 Uhr
So wenig Interesse hier? Ich bin gespannt, werde mir die Platte aber in alter Die-Nerven- und All-diese-Gewalt-Tradition für den Herbst aufsparen.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28834

Registriert seit 08.01.2012

2025-05-21 19:57:02 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28834

Registriert seit 08.01.2012

2025-04-04 19:00:54 Uhr - Newsbeitrag
Julian Knoth, unter anderem Sänger und Bassist der Gruppe Die Nerven, veröffentlicht heute den Song "Der Regen" und kündigt damit sein erstes Soloalbum "Unsichtbares Meer" an, das 23. Mai 2025 erscheinen wird.


Berlin, 04.04.2025
Julian Knoth (Die Nerven, Peter Muffin Trio, Die Benjamins, Yum Yum Club und Njelk) veröffentlicht sein erstes Soloalbum. Es heißt "Unsichtbares Meer". Im pandemiegeplagten Jahr 2020 schrieb Knoth einige Lieder, die zu keiner seiner Bands so richtig passen wollten. Nur seine Stimme und eine akustische Gitarre. Texte, so roh und persönlich, dass schnell klar war: Das ist ein Soloalbum. "Ich habe während dieser Zeit viele Sachen verstanden", sagt Knoth. Selbstentblätterung, Depression, Konsum, Abstinenz, Therapie, Hoffnung.

An den Aufnahmen ist Dreck dran, Julian Knoth arbeitet mit Übersteuerung, Verzögerung und Unperfektion. Seine Stimme ist nah, zerbrechlich und ehrlich. Ein Album für Spaziergänge im Regen und Liveauftritte im Plattenladen, irgendwo zwischen Folk und LoFi. Kein Lärm, hinter dem sich Knoth verstecken könnte. Das Thema Wasser als textliches Motiv, fließt "Unsichtbares Meer" mal trüb, mal klar, oft endlos und unergründlich. Beeinflusst ist das Album von Timber Timbre, Johnny Cash, Cat Power, Feist und Adrienne Lenker.

Julian Knoth - Der Regen (Musikvideo)


"Unsichtbares Meer" beginnt in einer Höhle der Depression. Zu Beginn nur Stimme und Gitarre. Im weiteren Verlauf des Albums keimt Hoffnung auf. Irgendwas liegt in der Luft, etwas Unbekanntes, das Knoth selbst noch nicht so genau greifen kann. "Ich habe in größter Depression und Melancholie alleine angefangen, dieses Album zu schreiben. Am Ende ist es ein solidarisches Projekt mit vielen Freund:innen geworden", sagt Julian Knoth. Das Album endet mit vielen Stimmen, einem Chor, einer Botschaft. Es wird wieder hell.

"Unsichtbares Meer" von Julian Knoth erscheint am 23. Mai 2025 via Italic Recordings.

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