Mark Fry - Not on the radar

Second Language / Bertus
VÖ: 16.05.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Kitschumschiffung
Vöglein zwitschern, Tassen klirren, eine Frau singt ein fröhliches Chanson. Der Tisch ist gedeckt, auch im übertragenen Sinne für den inneren Zyniker. Wenn das lebensfrohe Sample von "Jamais à l'heur" verklingt und Mark Fry über die Saiten seiner Akustikgitarre streicht, wartet man auf diese eine Zeile, die man verhohnepipeln kann, auf diesen einen Fremdschammoment, der den inneren Lord Henry antreibt. Doch Fehlanzeige: Fry schwelgt in Erinnerungen an eine vergangene Liebe, haucht so simple wie schöne Zeilen. Dank seines zurückhaltenden Timbres und der dezenten Instrumentierung gibt es keinen Grund, ihn dessen zu bezichtigen, was man angesichts des Songintros erwartet hatte: Kitsch. Der 72-Jährige bleibt auch in der Albummitte von "On the radar" stets glaubwürdig, bis einschließlich zum – nochmal so ein Klischee, das eigentlich nicht mehr funktionieren kann und hier doch funktioniert – Glockenschlag-Outro.
Nein, auf dem Schirm hatten wir Fry wirklich nicht. Sein 1972 ausschließlich in Italien veröffentlichtes Psychedelic-Folk-Album "Dreaming with Alice" entwickelte zwar drei Jahrzehnte später dank der Vorzüge des World Wide Webs Kultstatus. Die nach der 2006 erfolgten Wiederveröffentlichung der LP aufgenommenen drei Alben Frys boten jedoch nur bestenfalls solide Singer-Songwriter-Kunst. Nun aber wagt der spät zu Bekanntheit gelangte Folkmusiker wieder mehr, arbeitet verstärkt mit Samples, traut sich im Dickicht der Balladen auch mal wieder an eine dank ihrer lebhaften Percussion wunderbar rhythmische Midtempo-Nummer wie "Stormy Sunday" – und liefert ein bemerkenswert schönes Alterswerk ab. Eines, das diese inflationär genutzte Bezeichnung verdient: Immer wieder geht es um die Vergänglichkeit, um das zu schnelle Verrinnen der Zeit, einst ein "temple in some faraway magical land" ("Where the water meets the land"), nun allgegenwärtig. "Time, my bully boy!", seufzt Fry in "Big red sun", einer autobiografisch gefärbten Klavierballade über die Sonne Malis. Was bleibt von all den Jahren? "Only love", betont Fry im Opener, einer leisen Ode an die Macht der Liebe.
Auf übermäßigen Reverb-Einsatz und eine Sitar verzichtet Fry im Jahr 2025, auf surreale Texte sowieso. Die Psychedelik weicht der maximal authentischen, gleichzeitig schmerzhaften und sanften Retrospektive. Und doch scheint es zeitweise so, als ob die Hexe aus dem bekanntesten Song Frys durch das Fenster ihren Weg ins Tonstudio fand. Wie in "Rainbow days" sämtliche geradezu "Esoterik!" schreiende Zutaten wie Spoken Words, Vogelgezwitscher und ein Regensample verrührt werden und dennoch ein genießbares Ganzes ergeben, grenzt an Zauberei. Frys kontemplative Zeilen faszinieren und berühren, weil er nicht jeden Gedanken ausspricht, Interpretationsspielraum lässt. Am deutlichsten wird dies ganz zum Schluss, in "If I could". "If I had it all again ...", stimmt der Musiker zu einem traurigen Akustikgitarrenriff an, führt den in einem bedauernden Tonfall vorgetragenen Satz aber nicht zu Ende. Hier zieht jemand Bilanz, findet Positives wie Negatives, Erheiterndes wie Betrübliches. Hinsichtlich seiner fünften LP gibt es jedenfalls nichts zu bedauern, weder die zwitschernden Vöglein noch die ein fröhliches Chanson singende Frau. Ein ums andere Mal umschifft Fry die Stromschnellen des Schmalzes, erschafft ein unerwartet ergreifendes musikalisches Kleinod.
Highlights
- Big red sun
- Stormy Sunday
- If I could
Tracklist
- Only love
- Big red sun
- Stormy Sunday
- Where the water meets the land
- Not on the radar
- Daybreak
- Where would I be
- Jamais à l'heure
- Rainbow days
- If I could
Gesamtspielzeit: 37:18 min.
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28834 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-05-21 19:56:12 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MickHead Postings: 5585 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-05-20 10:37:03 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:https://markfry.bandcamp.com/album/not-on-the-radar |
MickHead Postings: 5585 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-03-18 12:15:15 Uhr
Der inzwischen 72 jährige britische Psych-Folk Musiker und Maler "Mark Fry" aus Epping, Essex, based in der Normandie, kündigt für den 16.05. das 5. Studioalbum "Not On The Radar" an. Es folgt auf "South Wind, Clear Sky" von 2014.Das Debüt "Dreaming With Alice" stammt von 1972. "Dreaming With Alice" vom britischen Folkmusiker/Künstler Mark Fry wurde aufgenommen, als er gerade mal neunzehn war, und 1972 (knapp) nur in Italien veröffentlicht, was es zu einem der seltensten und begehrtesten Acid-Folk/Psychedelic-Alben aller Zeiten macht. Titel wie „The Witch“ oder „Mandolin Man“ gelten heute als Klassiker des Genres. "Not On The Radar" bei Bandcamp (2 Songs bisher geteilt): https://markfry.bandcamp.com/album/not-on-the-radar "South Wind, Clear Sky" (2014) https://markfry.bandcamp.com/album/south-wind-clear-sky https://www.thelineofbestfit.com/reviews/albums/mark-fry-south-wind-clear-sky |
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Referenzen
Cat Stevens; Leonard Cohen; Judy Collins; Joni Mitchell; Jan Duindam; Lady Moon; Helena Espvall; Shirley Collins & Dolly Collins; Chris Eckman; Carl Hakansson; Cheval Sombre; Dave Bixby; Dando Shaft; Shelagh McDonald; Anne Briggs; Jacqui McShee's Pentangle; Spirogyra; F.J. McMahon; The Verlaines; Davy Graham; Cathy Hamer; John Lennon; Tom Waits; Eels; Nick Cave
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- Mark Fry - Not On The Radar (3 Beiträge / Letzter am 21.05.2025 - 19:56 Uhr)