Kadavar - I just want to be a sound

Clouds Hill / Warner
VÖ: 16.05.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Lass die Sonne in Dein Herz
Eine Politik ohne Bart kündigte der amtierende Bundeskanzler 1994 an und ließ diesen eher rätselhaften Slogan deutschlandweit plakatieren. Herausforderer Rudolf Scharping fand das angesichts seiner Gesichtsbehaarung eher so semi-lustig und musste sich schließlich dem ewigen Kanzler geschlagen geben. War es der Bart? Nun, darüber müssen wir über drei Jahrzehnte später nicht mehr spekulieren, und ohnehin wird es jetzt dringend Zeit, den Bogen zur Musik zu spannen. Nicht ganz ohne Bart, aber offensichtlich mit deutlich weniger davon kommen inzwischen die Herrschaften von Kadavar daher. Dass dieses Thema überhaupt so präsent ist bei den Berlinern, liegt schlicht daran, dass sie ihrer musikalischen Verwurzelung in den 1970er-Jahren auch optisch lange Zeit stimmig Ausdruck verliehen. Parallel zur phänotypischen Veränderung hat inzwischen allerdings zudem ein künstlerischer Wandel stattgefunden, der auf dem mittlerweile siebten Studioalbum "I just want to be a sound" einen neuen Höhepunkt erreicht.
Von den entschlossen rockigen und doomigen Anfangstagen, die vom glänzenden Debüt "Kadavar" an das Soundbild bestimmten, haben sich Frontmann Christoph "Lupus" Lindemann und Kollegen zuletzt Stück für Stück entfernt. Zu spüren war die Lust am Experiment schon auf dem feinen Gemeinschaftswerk mit Elder, als sie sich 2021 zum Projekt Eldovar zusammenschlossen und auf "A story of darkness & light" das Beste ihrer Welt mit externen Einflüssen verknüpften. Und dass "I just want to be a sound" in seiner phasenweise durchaus radikalen Abwendung von sattsam bekannten Band-Trademarks unter dem Strich dann doch keine riesige Überraschung sein kann, deutete 2020 schon "The isolation tapes" mit seinen "weitschweifigen, vogelfreien Ausflügen" an, wie es an dieser Stelle über das starke Album hieß.
Der jüngste Streich geht noch einen Schritt weiter: Kadavar haben alle Ketten gesprengt. Das spürt man vom ersten Ton des Openers an. Das Titelstück ist ein höchst gelungener Nachweis dafür, dass die Band entschlossen in eine deutlich hellere, sonnigere Atmosphäre vorgestoßen ist. Nach der anfänglichen, warmen Umarmung folgt im kernigen "Hysteria" aber auch gleich mal die Klarstellung, dass der auf den Punkt gebrachte Rock weiterhin seine Berechtigung im Kosmos der Hauptstädter hat. "Regeneration" eskaliert nach hinten raus vortrefflich mit seinen beißenden Gitarrenspuren, "Let me be a shadow" nimmt sich Zeit zur Entfaltung und bietet Raum zum kurzen Innehalten. Meisterhaft gerät zum Ende der ersten Albumhälfte das sphärische "Sunday mornings", das zunächst keck in Richtung Alternative winkt und sich im Schlussteil alle Freiheiten nimmt, die Intensität zu steigern. Das alles kommt einer herzlichen Aufforderung gleich, den Lautstärkeregler in den für Material, Gehörgang und Mitmenschen ungesunden Bereich zu steuern.
Kurz vor dem Finale lässt es sich mit dem zurückgenommenen "Star" noch einmal durchatmen, bevor es in "Until the end" eine fein abgestimmte Prise Opulenz zu bestaunen gibt, samt Trommelwirbel als unüberhörbarem Schlussstrich. Kadavar sind dank Gitarrist Jascha Kreft von Odd Couple inzwischen übrigens zum Quartett angewachsen, zudem hatte Max Rieger von Die Nerven bei der Produktion seine Finger im Spiel. Für die Musiker eine Premiere, gaben sie zuvor ihre Stücke doch nie in fremde Hände. "Das Schöne an Berlin ist doch, dass Berlin so schlecht organisiert ist, dass selbst der Wandel so lange dauert", sagte Sänger Lindemann im Gespräch mit der Stadtillustrierten "tip". Der musikalische Wandel von Kadavar mag von einigen als schleichend, von anderen als überraschend flott eingestuft werden – in jedem Fall ist er uneingeschränkt überzeugend. Und einen Bart hat diese vortrefflich zeitlose Kunst noch lange nicht.
Highlights
- I just want to be a sound
- Regeneration
- Sunday mornings
- Scar on my guitar
Tracklist
- I just want to be a sound
- Hysteria
- Regeneration
- Let me be a shadow
- Sunday mornings
- Scar on my guitar
- Strange thoughts
- Truth
- Star
- Until the end
Gesamtspielzeit: 45:18 min.
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34863 Registriert seit 07.06.2013 |
2025-05-26 17:26:04 Uhr
Der Titeltrack ist so gut. War bisschen meine Hymne diese Barcelona-Woche. |
Quirm Postings: 491 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-05-15 09:33:56 Uhr
Die Band ist bis jetzt an mir vorbei gegangen. Muss ich mich mal mit beschäftigen. Die Vorab-Songs sind alle ziemlich cool. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28834 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-05-14 20:35:19 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Eldovar; Mothership; All Them Witches; Motorpsycho; Orchid; Swallow The Sun; Elder; Sleep; Led Zeppelin; Graveyard; Pink Floyd; Gazpacho; Saint Vitus; Windhand; Black Sabbath; Blues Pills; Odd Couple; Electric Wizard; Greenleaf; Ufomammut; Horisont; Mars Red Sky; Witchcraft; The Heavy Eyes; Earthless; Black Rainbows; Valley Of The Sun; Kyuss; Orange Goblin; Uncle Acid & The Deadbeats; Stoned Jesus; Truckfighters; Red Fang; The Vintage Caravan; Beach Boys; The Eagles; Spidergawd; Queens Of The Stone Age; Pallbearer; Asteroid; The Beatles; Monster Magnet; Nightstalker; Bloc Party
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