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Self Esteem - A complicated woman

Self Esteem- A complicated woman

Polydor
VÖ: 25.04.2025

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Deprioritise pleasure

In ihren besten Momenten vereint Popmusik die eigentlich gegensätzlichen Pole von Aktivismus und Hedonismus: Relevante und geistreiche Botschaften verkleiden sich in Bangern, die jeden Körper in Bewegung setzen. Der ehemaligen Slow-Club-Drummerin Rebecca Lucy Taylor ist dieser Spagat bereits gelungen, als sie ihre Solo-Karriere unter dem Alias Self Esteem begann und 2021 das von der Kritik wahnsinnig positiv aufgenommene "Prioritise pleasure" veröffentlichte. Der Nachfolger "A complicated woman" begegnet seinem ohnehin schweren Stand als Post-Breakthrough-Album nun mit Ambition und Pomp: Chor und Orchester prägen die Platte, welche die inzwischen auch als Theaterschauspielerin auftretende Taylor als Show im Londoner Duke Of York's Theatre uraufführen ließ. Die damit verknüpfte Assoziation einer gewissen Gestelztheit kann "A complicated woman" nie ganz abschütteln. Zwar hat die Britin wieder einige mitreißende und charakterstarke Tracks am Start, doch laufen Message und Pop-Spaß insgesamt zu oft nebeneinanderher.

So hat direkt der Opener "I do and I don't care" Gewichtiges auf dem Herzen, wenn er das Spoken-Word-Erfolgsrezept von Taylors Hit "I do it all the time" kopiert, schafft es aber zumindest, sein Mantra "If I'm so empowered / Why am I such a coward?" Streicher-gestützt strahlen zu lassen. Im Anschluss holt die Lead-Single "Focus is power" die Drums raus, um uns ihren überladenen Motivations-Matsch einzuhämmern, zu dem auch Matthias-Schweighöfer-Fans mit dem Fuß wippen können – noch mehr Wandtattoo-Leere erzeugt nur das spätere A-cappella-Chor-Stück "What now". Viel besser macht es "The curse", das eine komplexe Auseinandersetzung mit Alkoholismus in geschmackvollen Orchester-Soul verpackt. Zeilen wie "If I'm sober or drunk / It's still me in the middle of the problem" oder "I wouldn't do it if it didn't fucking work" gehen mit schmerzhafter Ehrlichkeit unter die Haut, bevor ein Irgendwas-Solo einer Coda aus mehrstimmigen "Fuck you"s den Weg ebnet.

Obszönität und Intimität gehen bei Taylor des Öfteren Hand in Hand. Hinter dem Titel "Logic, bitch!" verbirgt sich eine zärtliche Pianoballade, die ohne Groll auf eine vergangene Liebe blickt und sich mit Synth-Flöten-Akzenten schmückt. Das tonale Gegenstück davon ist "Mother": Auf einem Grime-nahen Club-Beat betont Taylor, nicht die Mutter oder Therapeutin ihres Gegenübers zu sein, und lässt ein paar zielsichere Spitzen los: "Are you interested in growing? / There is other literature outside of 'The catcher in the rye'." Solche Ausbruchsmomente bereichern das Klangbild von "A complicated woman" ohne Zweifel, auch wenn die Tracks dahinter qualitativ schwanken. "Lies" begeht zwar das Verbrechen, die tolle Stimme von Nadine Shah mit Autotune zu entstellen, macht aber als Soft-Industrial-Kuriosität durchaus Laune. Anders verhält es sich mit "69", dessen Aufzählung geliebter und ungeliebter Sexpositionen über generischem Techno auch aus einem "Saturday night live"-Sketch stammen könnte.

Derartige Ausrutscher tragen dazu bei, dass Taylors drittes Album etwas ratlos macht. Da schenkt das intensiv-reduzierte "In plain sight" Gastsängerin Moonchild Sanelly fast den ganzen Song und reflektiert ihre Wut im Afrobeats-befeuerten Finale: "What the fuck you want from me? / I'm saving you, you're killing me?" An anderer Stelle fällt "Cheers to me" nichts Besseres ein, als sich bei "I can do it with a broken heart" von einer noch etwas bekannteren Taylor zu bedienen, auch wenn diese in Zeilen wie "When you're a sucker for a skinny motherfucker / I love'em hard while they're texting another" wohl weniger Sheffield-Schnauze gesteckt hätte. Der famose Closer "The deep blue okay" beendet die Platte allerdings mit einem Knall, baut mit zitterndem "All my friends"-Piano viel Momentum auf und hängt an die unausweichliche Explosion noch 40 Sekunden entrückten Jazz-Hop. Plötzlich sieht man sich mit der Frage konfrontiert, ob im Schaffen von Self Esteem nicht auch das feministische Pendant zu "To pimp a butterfly" schlummern könnte, will aber auch nicht den Fehler machen, Taylors eigenen Kopf in fremde Bahnen zu lenken. Schließlich stellt "If not now, it's soon" komplett korrekt fest: "Whatever is right for you will guide you through."

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Mother
  • The curse
  • The deep blue okay

Tracklist

  1. I do and I don't care
  2. Focus is power
  3. Mother
  4. The curse
  5. Logic, bitch! (Outro by Sue Tompkins)
  6. Cheers to me
  7. If not now, it's soon
  8. In plain sight (feat. Moonchild Sanelly)
  9. Lies (feat. Nadine Shah)
  10. 69
  11. What now
  12. The deep blue okay

Gesamtspielzeit: 45:26 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Klaus

Postings: 10756

Registriert seit 22.08.2019

2025-05-07 22:30:17 Uhr
Sorry, Lies und 69 sind die besten Tracks hier. ;)

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28634

Registriert seit 08.01.2012

2025-05-07 21:05:19 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

MickHead

Postings: 5045

Registriert seit 21.01.2024

2025-04-25 09:40:27 Uhr
Komplette Playlist bei YouTube:

https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_k8FrVPv3LrYgWBIlqicHFzJhbuTu2vybQ

MickHead

Postings: 5045

Registriert seit 21.01.2024

2025-03-25 12:31:23 Uhr
Die britische Indie-Pop Sängerin Rebecca Lucy Taylor aka "Self Esteem" aus Rotherham, Member der ehem. Band "Slow Club", kündigt für den 25.04. das 3. Studioalbum "A Complicated Woman" an. Es folgt auf "Prioritise Pleasure" (# 11 der UK Albums Chart) von 2021.

3 Songs bisher geteilt:

"If Not Now, It’s Soon"

https://www.youtube.com/watch?v=mYFhd596Nyk&t=128s

"69"

https://www.youtube.com/watch?v=QkLOqW1nbHI

"Focus Is Power"

https://www.youtube.com/watch?v=DgVqgud0L1c

Tracklist:

1.⁠ ⁠I Do And I Don’t Care
2.⁠ ⁠Focus Is Power
3.⁠ ⁠Mother
4.⁠ ⁠The Curse
5.⁠ ⁠Logic, Bitch! (feat. Sue Tompkins)
6.⁠ ⁠Cheers To Me
7.⁠ ⁠If Not Now, It’s Soon
8.⁠ ⁠In Plain Sight (feat. Moonchild Sanelly)
9.⁠ ⁠Lies (feat. Nadine Shah)
10.⁠ ⁠69
11.⁠ ⁠What Now
12.⁠ ⁠The Deep Blue Okay
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