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Mark Pritchard & Thom Yorke - Tall tales

Mark Pritchard & Thom Yorke- Tall tales

Warp / Rough Trade
VÖ: 09.05.2025

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Einiges im Kargen

Eigentlich bezeichnet eine "tall tale" eine Lügengeschichte mit besonders unglaubwürdigen, übertriebenen Elementen. Die so offensichtlich einem Hirngespinst entsprungen ist, dass sie selbst die kleinsten Geister entlarven können. Wenn Mark Pritchard und Thom Yorke ihr erstes gemeinsames Album als Duo also "Tall tales" nennen, was meinen sie damit? Denn übertrieben ist hier sicher nichts. Eine Stunde lang bemühen sich die beiden langjährigen Kollaborationspartner vielmehr, bloß nicht aufzufallen. Bloß keine Kante, keinen Widerhaken zu setzen. Die Frage ist weniger, ob das, was erzählt wird, wahr ist, sondern, ob überhaupt etwas erzählt wird. Nehmen wir den Titeltrack: Wabernde Synths paaren sich mit Stimmfetzen und man wartet gespannt, was nach diesem Intro folgen wird. Man wartet fünf Minuten. Dann ist der Song vorbei. "Tall tales" ist – unglaubwürdig und übertrieben gesagt – ein Album bestehend aus Interludes.

Verbunden waren die beiden bislang über Pritchards Mixes zu Radioheads "Bloom" und Yorkes eigenem "Not the news", während dieser sich wiederum auf "Beautiful people" von Pritchards Album "Under the sun" revanchierte. Bis zu neun Jahre datieren nun diese zwölf Stücke zurück, an denen Pritchard und Yorke immer wieder gebastelt haben – vornehmlich während der Corona-Pandemie. Man merkt es zunächst daran, dass nicht alles recht zusammenpassen will. Lange Meditationen, die an Pritchards Solowerk erinnern, stehen neben seltsamen Jahrmarkt-Dudeleien, die sich gar nicht so recht einordnen wollen. "Happy days" kann man nicht vorwerfen, dass es nichts Neues versuchen wollte, aber diese Willy-Wonka-Parade mit dem "Death and taxes"-Mantra hat zwischen diesen eisigen Monolithen wirklich nichts zu suchen. Auch "Gangsters" fällt mit seinen nagenden Noten ähnlich aus dem Rahmen, ist aber immerhin fokussierter.

Bezeichnend ist da schon eher der Opener "A fake in a faker's world", der sicher auf einem von Yorkes Alben hätte stattfinden können. Ein von Synthesizern gepushter Beat malt kühle Klanglandschaften, über die Yorke eine Melodie singt, die seltsam vertraut vorkommt. Dann baut sich der Song auf und ... nichts folgt. Er sackt in sich zusammen. Und schleppt sich über geschlagene acht Minuten ins Ziel. Wo "Ice shelf" nahtlos mit noch einmal vier Minuten Mäanderei anschließt. "Tall tales" nimmt sich wirklich viel Zeit und zerrt dadurch an den Geduldsfäden. Für Ambient ist es zu wuselig und inkonsistent. Für Elektro zu lethargisch. "Bugging out again" ist eine solide, percussionlose Yorke-Ballade, die man schon diverse Male besser gehört hat. "The spirit" zittert sich einen Rhythmus zusammen, aber verhindert nicht den Effekt, den der Text androht: "I wish you well / Pray for peace / A magic spell / That sends you all to sleep." Schwierige Sache.

Ausgerechnet der (mit) am längsten dauernde Track findet einen Ausweg. "The white cliffs" ist nämlich wunderschön geraten, wiegt sich in sechs Achteln in Wolkenhöhe, Yorke schraubt dafür extra sein Falsett noch mal nach oben. "Don't understand the problems / Every now and then." Manchmal gibt es ja auch keine, wenn die beiden tatsächlich mit richtigen Songs rausrücken. "Back in the game" tutet verhalten, aber launig und Yorke scheint seinen ersten richtigen Battle-Text darüber zu singen: "But they're banging pots and pans / And chasing the game / Sucking like lemons all over again." "This conversation is missing your voice" wäre auch vorne dabei, wenn es nicht so ein abgedroschenes Thema und ein schier abgehacktes Ende hätte. Und wenn Yorke in "The men who dance in stag's heads" mit seinen eigenen Backingvocals harmoniert, ist die Welt wirklich in Ordnung.

Bis "Wandering genie" mit von Björks "Utopia" geklauten Flöten beschließt, ist aber eine Menge Wasser die Wupper runtergeflossen. "Tall tales" versammelt meist karge Vignetten und Ideen, die es nicht zu einem Ganzen formen kann. Was wirklich jammerschade ist, weil sowohl Yorke als auch Pritchard für sich allein tolle Musik geschaffen haben und sich offenbar auch auf einer Wellenlänge befinden, was die Experimentierfreude betrifft. Womöglich ist die lange Reifungszeit der Platte aber letztlich ein Hindernis, weil bei all der Arbeit an Einzelideen das Gesamtbild aus dem Fokus gerückt ist. Und jetzt so ein Gebilde dasteht, zu dem das Cover recht gut passt. Ein zentrales Motiv, um das diverse Skulpturen gestreut wurden. Ein unlösbares Rätsel.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Back in the game
  • The white cliffs
  • The men who dance in stag's heads

Tracklist

  1. A fake in a faker's world
  2. Ice shelf
  3. Bugging out again
  4. Back in the game
  5. The white cliffs
  6. The spirit
  7. Gangsters
  8. This conversation is missing your voice
  9. Tall tales
  10. Happy days
  11. The men who dance in stag's heads
  12. Wandering genie

Gesamtspielzeit: 61:54 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10581

Registriert seit 26.02.2016

2025-05-11 00:43:34 Uhr
und zweitens dass die sich mehr oder weniger klar für ein Genre entscheiden

Ne, das nicht, war ja auch durch die Vorabsongs schon abzusehen. Mein Problem ist zum einen, dass fast alles unfertig wirkt und nicht so recht zusammenfindet (was auch bei heterogenen Songs möglich wäre) und zum anderen, dass mich vieles schlichtweg langweilt.

Old Nobody

User und News-Scout

Postings: 4026

Registriert seit 14.03.2017

2025-05-10 23:57:14 Uhr
Ist so ne Sache mit den Erwartungen. Wenn ich Felix richtig verstanden habe, hat er erstens auf Albumlänge Songs erwartet,und zweitens dass die sich mehr oder weniger klar für ein Genre entscheiden. Ich hatte mir nur einen Vorab Track angehört und hatte da grad keinen Bock drauf, da war irgendwie nichts greifbares. Kann schon verstehen, dass sich dieses Gefühl auch auf voller Länge einstellen kann. Grade weil das alles recht kühl gehalten ist, mitunter steril. Ich kann daher nachvollziehen, dass Felix hier nur eine 5 sieht und bin sogar ein Stück weit dankbar weil das nun meine Erwartungen gesenkt hat :)

Ich kann nun nach Hören des Albums diese 5 nicht teilen und finde sie doch ein wenig hart. Dass das weder das eine noch noch das andere Genre sein soll finde ich als Kritikpunkt ehrlich gesagt schwach weil das doch eher unwichtig ist denn die Grenzen zerlaufen wie so oft einfach fließend.
Viel wichtiger ist mir die einnehmende Stimmung und trotz der bruchstückhaften Entstehung erlebe ich hier durchaus einen harmonischen Flow. Fand das Album auch nicht zu lang. Ist freilich nicht alles super aber ich hab auch keinen Ausfall gehört. Bugging out again und the men who Dance…würde ich schon mal als erste Highlights sehen.

Bin in der Wertung tatsächlich mal nah bei pitchfork (7,6) und sehe das Album grad nahe an einer 8/10
Hat mich positiv überrascht, hat geholfen nichts zu erwarten:)

MickHead

Postings: 5045

Registriert seit 21.01.2024

2025-05-09 11:10:26 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:

https://markpritchard.bandcamp.com/album/tall-tales

MickHead

Postings: 5045

Registriert seit 21.01.2024

2025-05-08 18:15:36 Uhr
Letzter Song vor dem Release "The Spirit"

https://youtu.be/o_5IATIMlrw?si=1ptmqhQIpbKE3NM9

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28634

Registriert seit 08.01.2012

2025-05-07 21:05:09 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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