Maria Somerville - Luster

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 25.04.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Wie schmeckt das?
Ein Mensch geht mit seinem Hund auf einer Wiese spazieren. Er findet einen Stock, inspiziert ihn nach scharfen Kanten, damit dem Hund nichts passiert. Etwas Moos wächst an einer Seite, auf der anderen ist die Textur etwas rauer. Der Mensch wirft den Stock einige Meter weit in die Wiese. Der Hund stürzt instinktiv hinterher. Als er das Ziel erreicht, passiert es: In dem Moment, in dem seine Zunge über das alte Stück Natur fährt, zündet in seinem Kopf eine Sinnesexplosion. Das kleine, im ersten Moment so unwichtig scheinende Holz fängt an, seine Geschichte zu erzählen. Von denen, die vorher an ihm geknabbert haben. Von dem leichten Salzwasserdunst, den der Wind von der Küste auf die Wiese getragen hat. Vom Nebel, der sich jeden zweiten Tag über die Gräser legt und über den Tag verschwindet. Und auch wenn der Mensch und der Hund in diesem Moment alleine auf der Wiese stehen, erzählt der Geschmack, der Geruch, die Oberfläche von all den Lebewesen, die vorher schon hier waren. "Luster", das zweite Album der irischen Sängerin Maria Somerville, hat den gleichen Effekt.
Das liegt vor allem daran, dass sie ihre Klangflächen über und um das kleine Dorf Connemara ausbreitet. Nach einem Abstecher fürs Studium nach Dublin kehrte sie zeitweilig zurück in den Fischerort an der rauen irischen Westküste. Dort verbindet sie den Geist alter Folk-Songs, die ihr Vater und ihr Onkel in Pubs gesungen haben, als sie klein war, mit den modernen Elementen, die sie von ihren Kursen in Music Engineering mitgebracht hat. Da ist zum Beispiel die shoegazende Single "Projections", die sich langsam zur Gitarre bewegt und auf dem Somerville ihre Vokale lang und länger zieht. Das macht sie gerne, braucht dabei kaum Kraft und benutzt Sprache auch mal wie Sigur Rós eher als ein weiteres Instrument. "Spring" zeigt mit seinen elektronischen Flächen, dass dieses Album alles andere als eine unmoderne Schwelgerei in Folklore ist, und spielt im letzten Drittel mit Stimmeffekten, ohne albern zu werden. Und ein Drumloop in "Stonefly" deutet an, dass das Früher und das Heute unweigerlich verbunden sind. Besonders viel Textur spürt man in "Garden", dass sich mit stumpfem Bass dem Dream-Pop verschreibt, mit seinen verschleppten Drums aber auch an The National erinnert, wenn man will. Obwohl der Nebel ihn verdeckt, ist auf "Luster" auch ein leichter Sonnenschein spürbar, der ab und zu stärker durchbricht.
Bei ihrer geisterhaften Wanderung durch die Sehnsuchtsorte der irischen Küste, in die man sich selbst als Leuchtturmwärter hineinträumt und in der man von Nymphenbegegnungen fantasiert, taucht Somerville auch nur schemenhaft auf. Da ist eine leise Violine von Jean Lewis in "Flutter". Róisín Berkeley darf im akustischen Intro "Réalt" mitmachen. Und da ist Lankums Ian Lynch, der zu "Violet" ein paar Drone-Sounds beisteuert. Einem Song, der einen leichten, unbestreitbaren Groove hat, aber bei dem die Sängerin über verzerrte Drums in ihrer Präsentation fast gleichgültig klingt: “In another life / I believe in life / And love.” Manchmal ist nicht alles im Fokus, aber das ist Konzept. Songs wie eine leichte Brise, die kaum spürbar vorbeizieht, wie im schwelgerischen "Up". Oder im Closer "October moon", in dem man Wasser bei Ebbe als Field Recording leise tröpfeln hören kann. Und dann kann man "Flutter" plötzlich wieder schmecken und riechen. Das ist die größte Qualität von Maria Somervilles Musik.
Highlights
- Projections
- Garden
- Violet
Tracklist
- Réalt
- Projections
- Garden
- Corrib
- Halo
- Spring
- Stonefly
- Flutter
- Trip
- Violet
- Up
- October moon
Gesamtspielzeit: 38:25 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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MickHead Postings: 4924 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-05-04 09:11:43 Uhr
SPON mit 8.5 Album der Wochehttps://www.spiegel.de/kultur/musik/maria-somerville-suzanne-vega-abgehoert-album-der-woche-a-c03340b8-4c9b-4156-8f98-8eb63470abb4 |
Arne L. Postings: 1704 Registriert seit 27.09.2021 |
2025-05-03 15:04:32 Uhr
@Unangemeldeter Das klingt sehr schön, danke für den Bericht!@Herr Danke, auch wenn ich Arne und nicht Markus heiße, haha |
Unangemeldeter Postings: 1703 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-05-03 13:31:09 Uhr
Crosspost vom Konzerte-Thread:Ich war gestern bei Maria Somerville in der Kantine Berghain in Berlin. Zur Einstimmung nach Wochen der Trockenheit ein herrlicher Frühlingsregen - das Wetter hätte nicht besser mitspielen können. Ich mag die Kantine, doof ist (wie bei vielen kleinen Läden) nur die integrierte Bar, die gestern auch bei einigen Liedern mit Flaschengeklimper gestört hat. Es war auch ausverkauft und es gab keine Garderobe, man stand also recht eng. Vorband waren GLIO, zwei Dudes, die atmosphärischen Ambient-Electro gemacht haben. Fing mit drückendem Bass ganz interessant an, aber leider sind dann nie Lieder aus den Tönen geworden. Hätte man in der Stimmung für sein müssen - ich bin nicht reingekommen. Da hätte ein bequemer Sitz vielleicht geholfen, aber so dicht gedrängt stehend war das nix für mich. Auffällig: ein irre andächtiges Publikum. Kein Mucks, nirgends, die paar Leute die quatschen wollten sind wieder rausgegangen. Das zog sich dann auch durch Maria Somervilles Set, wirklich selten (wenn überhaupt) jemals so ein ruhiges Publikum erlebt. Es wurde sogar zwischen manchen Liedern gar nicht geklatscht, sondern andächtig aufs nächste gewartet. Maria war mit Bassisten und Drummer unterwegs, das Set war lauter und rockiger als ich erwartet hätte. Ich hab ein paar Lieder gebraucht um reinzukommen, im Mittelteil hat dann alles für mich funktioniert. Im Gitarrenlärm hat man plötzlich die versteckten Melodien gefunden, konnte die Augen schließen und sich wegtragen lassen. Leider haben sie es in meinen Augen nicht geschafft, die Stimmung zwischen den Liedern zu transportieren, die Pausen zwischen den Liedern waren immer ein wenig störend, vor allem weil sie nicht irgendwie anderweitig interessant oder humorvoll gefüllt wurden. Es war alles so ernst, aber dafür dann vielleicht einfach nicht konsistent genug. Maria war dann noch zum Signieren am Merchstand und auch sehr sympathisch. Und die Abendluft war immer noch wunderbar. |
Herr Postings: 2818 Registriert seit 17.08.2013 |
2025-04-30 22:31:16 Uhr
Hätte ich das Album nicht schon vor der heutigen Rezension gehört, hätte mich der Markus Lehrke mit seinen Worten magisch zum Zuhören gebracht. Beides grandios! |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28578 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-04-30 20:54:37 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Grouper; Carla Dal Forno; Lankum; Dry Cleaning; Cocteau Twins; This Mortal Coil; Slowdive; My Bloody Valentine; Broken Social Scene; Princ€ss; Mazzy Star; Julianna Barwick; P!nk Must; Deer Park; Quade; Flanafi; Macie Stewart; Snuggle; More Eaze; Claire Rousay; Walt McClements; Ohyung; Gregory Uhlmann; Raisa K; Basia Bulat; Sinéad O'Connor; Lush; Miki Berenyi Trio; Spivak; Bdrmm; Peel Dream Magazine; Jonnine; Oklou; Wishy; Chanel Beads; Horse Vision; Kaitlyn Aurelia Smith; Deary; Mamalarky; Maria BC; Broadcast; Shower Curtain; Carmen Villain; Fazerdaze; Clinic Star; Mabe Fratti; Midwife; Memoryhouse; Youth Lagoon; Cassandra Jenkins
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- Maria Somerville - Luster (12 Beiträge / Letzter am 04.05.2025 - 09:11 Uhr)