Viagra Boys - Viagr Aboys

Shrimptech / Bertus
VÖ: 25.04.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Einfac Hdumm
"Simple and stupid". Diese Beschreibung pointiert perfekt den von Viagra Boys regelmäßig durch den Dreck gezogenen Typus Mann, dessen Nähe zu seinen primitiven Ursprüngen zuletzt zentrales Thema von "Cave world" war. Frontmann Sebastian Murphy meint mit den zwei Adjektiven diesmal allerdings nicht die Anderen, sondern sich selbst und die Ausrichtung seiner Band. Ermüdet von ihren politischen Rundumschlägen entschieden sich die Schweden dazu, weniger die große, dumme Welt da draußen und mehr die große, dumme Welt in ihrem Inneren zu beleuchten. Ein Fokus auf Introspektion, auf den bereits das seltsame Cover verweist: Wenn Du lange in ein auf Mund-/Nasenhöhe platziertes Loch mit kondomähnlicher Umrandung blickst, blickt ... Ihr wisst schon. Deshalb ist dieses vierte Album auch irgendwie selbstbetitelt, auch wenn Viagra Boys, pardon, Viagr Aboys es sich natürlich nicht nehmen lassen, ein bisschen herumzutrollen.
Dazu gehört, die Sache mit der Innenschau zu Beginn erstmal steckenzulassen und sich im Opener "Man made of meat" wieder mit Abscheu der Gesellschaft zuzuwenden. Zu Rumpel-Rhythmus und angerülpsten Riffs gibt's einen geschmacklosen Matthew-Perry-Witz sowie Zeilen über Fußbilder und den OnlyFans-Account Deiner Mutter, während Murphy das alles nicht mehr ertragen kann: "I hate almost everything that I see / And I just wanna disappear." Zynische Überspitzung bleibt das Stilmittel der Wahl bei Viagra Boys, doch ist der Fahrräder klauende Speed-Junkie im hypnotischen "Waterboy" keine Rolle, sondern ein Geist des vergangenen Murphy. Auch "Store policy" bezieht sich auf eigene Verfehlungen und klingt mit Bass-Wummern, übersteuerten Tribal-Drums und Flöten-Wahnsinn dabei ein wenig so, als hätten Young Fathers The Prodigy adoptiert – ein Industrieofen voller Aggro-Energie, die der Post-Punk-Brutzler "You n33d me" rückstandslos weiterverarbeitet.
Das ist deshalb erwähnenswert, weil viele Stellen von "Viagr Aboys" alles andere als aggressiv daherkommen. Im Herzen der Platte schlägt der zärtliche, von Frauenstimmen begleitete Popsong "Medicine for horses", der trotz Ekelbildern wie angezapften Wirbelsäulen laut Interview-Aussage von Murphys ADS und Suchtproblemen handelt. Der Closer "River king" braucht sogar nur Piano und sanftes Gebläse, um sich zu einem komplett ironiefreien Liebeslied mit glücklichen Alltagseindrücken von Videospielen und chinesischem Essen zu formen – und dabei die Erkenntnis zu vermitteln, dass Murphy in solchen ruhigeren Gesangsmomenten an einen heiseren Damon Albarn erinnert. Wiederholt setzen Viagra Boys auf Understatement statt Overacting – und wenn sie doch mal die schmutzige Sau rauslassen wollen, tut's auch ein perkussiv aufgeregter Elektro-Groover wie "Dirty boyz", der die Club-Luft aufheizt, ohne gleich die Wände einzureißen.
Ähnliches gilt für "The bog body", das mit Synth-Sperenzchen und Saxofon-Dröhnen wieder einmal die Verspieltheit einer Band beweist, die weitaus mehr als nur "simple and stupid" kann. Im wavigen "Uno II" verschiebt Murphy die Erzählperspektive von den Zahnarztbesuchen seines Hundes zur Realisation, dass man es als privilegierter Westeuropäer trotz allen Unmuts gar nicht so schlecht hat: "His folks are from Croatia / They been through some shit, man / I seem like such a bitch when I talk about Swedish politics." Der Track zieht nicht zuletzt wegen seiner Flöten-Akzente, schließlich sind gerade die Blasinstrumente bei Viagra Boys mehr als ein Gimmick zur Rechtfertigung, warum eine Punk-Band sechs Leute stark sein muss. Kein Song bringt das so auf den Punkt wie "Best in show pt. IV", das knapp die Hälfte seiner fünfeinhalb Minuten lang einen kakophonischen Totalkollaps samt Free-Jazz-Solo beschwört. Schmerzhaft, aber seltsam befreiend – so wie es sich für ernstgemeinte Selbstentrümpelungen eben gehört.
Highlights
- Man made of meat
- Dirty boyz
- Medicine for horses
- Best in show pt. IV
Tracklist
- Man made of meat
- The bog body
- Uno II
- Pyramid of health
- Dirty boyz
- Medicine for horses
- Waterboy
- Store policy
- You n33d me
- Best in show pt. IV
- River king
Gesamtspielzeit: 37:21 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
foe Postings: 280 Registriert seit 10.06.2020 |
2025-05-02 20:55:55 Uhr
*einen wirklichen Albumfluss |
Unangemeldeter Postings: 1711 Registriert seit 15.06.2014 |
2025-05-02 19:37:45 Uhr
Kann mich dem Kanon hier zu 100% anschließen. Schlechter als Cave World, trotzdem noch gut und spaßig und schöne Highlights. |
foe Postings: 280 Registriert seit 10.06.2020 |
2025-05-02 19:25:59 Uhr
Solide Platte mit einigen (vor allem stimmlichen) Überraschungen. Insgesamt aber stechen für mich einzelne Songs stärker heraus, als dass ich einen wirklich Albumfluss erkenne. 'Cave World' war runder. Eigentlich vergleichbar mit der Entwicklung von 'Street Worms' zu 'Welfare Jazz' - auch da gefiel mir das Debut als Ganzes besser.Spass habe ich trotzdem damit. Und aufs Konzert freue ich mich ebenso - live überzeugten sie mich bislang nämlich immer. |
fuzzmyass Postings: 18602 Registriert seit 21.08.2019 |
2025-05-01 21:23:37 Uhr
Doch, doch... kann mich langsam reinhören, auch in den Vorgänger... hat etwas gebraucht, aber macht sehr viel Spaß... sehr solide 7/10, Vorgänger gefällt aber auf jeden Fall besser und kriegt 8/10... |
Arne L. Postings: 1711 Registriert seit 27.09.2021 |
2025-04-29 18:51:25 Uhr
Das Album und vor allem die Frauenstimme in “Uno II” wird mit jedem Durchlauf besser! Auf dem Weg zur 8/10. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Fat White Family; Flat Worms; Sleaford Mods; Parquet Courts; Idles; Spice Boys; TV Priest; Amyl And The Sniffers; Lambrini Girls; Courting; Fat Dog; Iceage; Fontaines D.C.; Sports Team; Geese; The Murder Capital; Goat Girl; Dry Cleaning; Billy Nomates; Baxter Dury; The Stooges; Iggy Pop; David Bowie; Beck; Working Men's Club; B Boys; Protomartyr; Preoccupations; Pissed Jeans; Daughters; The Jesus Lizard; Young Fathers; The Prodigy; Gorillaz; Blur
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv


Threads im Plattentests.de-Forum
- Viagra Boys - viagr aboys (25 Beiträge / Letzter am 02.05.2025 - 20:55 Uhr)
- Viagra Boys - Cave world (33 Beiträge / Letzter am 13.12.2024 - 10:01 Uhr)
- Viagra Boys - Welfare Jazz (18 Beiträge / Letzter am 09.02.2021 - 12:50 Uhr)
- Viagra Boys - Street Worms (4 Beiträge / Letzter am 14.10.2020 - 22:18 Uhr)