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Beirut - A study of losses

Beirut- A study of losses

Pompeii / Cargo
VÖ: 18.04.2025

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Zirkus des Verschwindens

"Dinge reproduzieren sich, sind überall auf der Welt auffindbar", schrieb Kollege Holtmann vor 14 Jahren verständnisvoll zu Beiruts leichtem Hang zur Wiederholung auf "The rip tide". Vier Alben später beschäftigt sich der musikalische Kulturbestauner Zach Condon mit Dingen, die eben nicht mehr auffindbar sind. Nachdem "Hadsel" seinen Ursprung im gleichnamigen norwegischen Örtchen fand, blieb Condon dem europäischen Norden treu und erschuf den Nachfolger "A study of losses" als Auftragsarbeit für den schwedischen Zirkus Kompani Giraff. Thematische Grundlage der Platte bildet Judith Schalanskys Buch "Verzeichnis einiger Verluste", das in Auslassungen über das Verschwinden von Tierarten, Kunstwerken oder ganzen Atollen interessante Gedanken über Vergänglichkeit entwirft. Dieser tiefgreifende, stellenweise wundersam angehauchte Unterbau inspirierte Condon offenbar dazu, die seiner Musik inhärente Melancholie noch feinsinniger auszugestalten, was in seinem schönsten Album mindestens seit besagtem "The rip tide" resultiert.

Bereits die erste Single "Caspian Tiger" legte Zeugnis davon ab, dass kaum jemand sehnsüchtigeren Folk-Pop als Zach Condon kreieren kann. Bedächtige Tasten- und Akkordeonklänge verschmelzen mit seinem später multiplizierten Flehen, bevor das Streicher-gestützte Finale vor Intensität implodiert. Ähnliche melodische Wunder erzeugt der Quasi-Opener "Forest encyclopedia" im Zusammenspiel von Ukulele, Beat-Zucken und elektronischem Schimmern. Synths und Drumcomputer sind auf "A study of losses" weiterhin präsent, doch setzt Condon wieder verstärkt auf organischere, Jahrhunderte überspannende Arrangements. Besonders auffällig ist dies in den sieben übers Album verstreuten orchestralen Instrumentals à la "Mare Crisium", die alle nach Mondkratern benannt sind – ein Verweis auf eine von Schalanskys Geschichten, in der ein Mondbesessener die Archive der Menschheit auf dem Erdtrabanten einrichten will. Keines dieser Stücke fühlt sich wie ein Spielzeit füllendes Interlude an, alle sind sie für sich ausdrucksstark und essenziell für das Gesamtwerk.

Dieses ist im Übrigen weitaus einladender, als es durch seine Tracklist anmuten mag, was nicht zuletzt an Condons nahbaren Selbstzweifeln liegt. "What if the sun came 'round? / What if I drowned?", fragt er in "Tuanaki Atoll", das analog zu seinem namensgebenden angeblich verschollenen Paradies am Ende im Bläsermeer versinkt. Auch das von Glockenspiel und besonders zärtlichen Saiten getragene "Villa Sacchetti" greift nur nach alten Ruinen, weil sie die eigene Einsamkeit womöglich erträglicher machen. Oft genug, etwa im schlicht wundervollen "Garbo's face", ist es bei allem Respekt ohnehin völlig egal, was Condon singt, weil der einnehmende Wohlklang schon jede Aufmerksamkeit für sich beansprucht.

Letztgenannter Song gehört zu den beschwingteren Nummern, die in der zweiten Albumhälfte mehr Raum beanspruchen. "Where did you go? / Where have you been? / How could this thing / Make any sense?", fragt Condon über den flackernden Synths von "Guericke's unicorn", das als kleiner Elektropop zwischen zwei "Mare"-Stücken gleichsam wie eine Kuriosität wirkt. Später scheinen die Schienen des "Ghost train" direkt in den Kosmos zu führen, ehe das perkussiv treibende "Mani's 7 books" Condons geliebter Trompete im Schlussspurt die Bühne überlässt. Wenn sich das finale "Mare Tranquilitatis" wahrlich als Ozean der Ruhe erhebt, unterstreicht Condon ein letztes Mal, dass er vergangene Weltwunder ebenso eindrucksvoll wie gegenwärtige vertonen kann und er sich auf dem Zeitstrahl mindestens so flexibel bewegt wie auf dem Globus. In einem Wort: zirkusreif.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Forest encyclopedia
  • Villa Sacchetti
  • Garbo's face
  • Caspian Tiger

Tracklist

  1. Disappearances and losses
  2. Forest encyclopedia
  3. Oceanus Procellarum
  4. Villa Sacchetti
  5. Mare Crisium
  6. Garbo's face
  7. Mare Imbrium
  8. Tuanaki atoll
  9. Mare Serinitatis
  10. Guericke's unicorn
  11. Mare Humorum
  12. Sappho's poems
  13. Ghost train
  14. Caspian Tiger
  15. Mani's 7 books
  16. Moon voyager
  17. Mare Nectaris
  18. Mare Tranquilitatis

Gesamtspielzeit: 57:27 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Luc

Postings: 4345

Registriert seit 28.05.2015

2025-04-25 18:37:06 Uhr
Ich hab es seit gestern zweimal gehört und gefällt mir ganz gut, muss aber für das Sakrale doch auch in der richtigen Stimmung sein um es angemessen goutieren zu können.

Lichtgestalt

User

Postings: 6480

Registriert seit 02.07.2013

2025-04-25 18:14:54 Uhr
Ich schließe mich Lucas an.
Vieles ist mir auch zu "pastoral/salbungsvoll".

Lucas mit K

Postings: 105

Registriert seit 19.07.2024

2025-04-25 18:11:00 Uhr
Erster Durchlauf: Jeder zweite Song ist ein Instrumental, seltsame Entscheidung. Dadurch kommt irgendwie kein guter Fluss zustande. Seine Stimme ist natürlich unwiderstehlich. Hätte mir ein bisschen weniger Fläche, mehr Auf-den-Punkt gewünscht. Mit knapp einer Stunde ist das für meinen Geschmack zu lang. Der Vorgänger gefiel mir in seiner straighten Dramaturgie besser. Schade. Aber ich geb ihm noch ein, zwei Durchgänge. „Caspian Tiger“ ist das absolute Highlight.

Gomes21

Postings: 5580

Registriert seit 20.06.2013

2025-04-23 10:37:53 Uhr
Danke für den Tipp! Hätte ich vorher wohl eher übergangen, aber ich bin wirklich beeindruckt wie sehr mich das Album gepackt hat!

NeoMath

Postings: 2365

Registriert seit 11.03.2021

2025-04-23 10:35:53 Uhr
@Gomes

Wenn du die Chance bekommst, unbedingt live mitnehmen.

Die letztjährigen Konzerte in Berlin waren magisch.

So ein tolles Erlebnis kann schonmal eine vermeintlich erloschene Flamme wieder mächtig zum Lodern bringen :-)
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