Julien Baker & Torres - Send a prayer my way

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 18.04.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Kinder des Country
"Send a prayer my way". In Anbetracht von Julien Bakers bisherigem Werdegang wirkt dieser Albumtitel geradezu zynisch. Mit stellenweise kaum zu ertragender Intimität hat sie auf drei Solo-Platten ihre seelischen Schmerzen kanalisiert und dabei auch die Sache mit dem Glauben als falsches Heilungsversprechen durchgekaut. Und doch fordern sie und Mackenzie Scott alias Torres noch immer Gebete. Vielleicht einfach ein Zeichen des Humors, den die beiden befreundeten Künstlerinnen bei der Entscheidung bewiesen, gemeinsam ein Country-Album aufzunehmen. Von Cowboy-Klamauk ist dieses weit entfernt – dafür sorgt neben der Stilsicherheit der beiden Frauen allein schon das inhaltliche Grundgerüst, das unter anderem ihr geteiltes Schicksal als in den konservativen US-amerikanischen Südstaaten großgewordene queere Personen verarbeitet. Dennoch ist den beiden ihr Spaß hörbar anzumerken, "Send a prayer my way" klingt beschwingter, befreiter und lockerer als speziell Bakers Solo-Output.
Diese bewies schon oft genug, dass sie nicht mehr als ihre Stimme und Gitarre zum metaphorischen Luftabschnüren benötigt, und so nimmt auch "Dirt" von Beginn an jeden Zentimeter Raum ein. Baker singt von ihrer konstanten Begleiterin, der Sucht, und findet akzentuierten Trost in Fiddle, Slide-Gitarre und natürlich Scotts Begleitgesang. "Sugar in the tank" führt den Bandsound von "Little oblivions" als Banjo-gestützten Pop-Rocker fort und schmettert einen überlebensgroßen Refrain aus dem offenen Cabrio-Dach. Dazwischen nimmt sich Scott "The only marble I've got left" an – die Lead-Vocals der zwölf Songs starken Platte haben sich die beiden fair aufgeteilt –, dessen schunkelnder Rhythmus auch im Country-Radio der 70er seinen Platz gefunden hätte. Bakers und Scotts Texte sind schonungslos und subversiv, musikalisch zeigen sie allerdings wenig Interesse, das von ihnen geliebte Genre radikal umzustülpen.
Was nicht heißt, dass sie dessen Ränder nicht doch mal ein bisschen zu verformen versuchen. Mit "Bottom of a bottle" bekommt auch Scott ihren diesmal von einer Mandoline begleiteten Rocksong, der allerdings merklich melancholischer als Bakers Pendant daherkommt – passend zur Erkenntnis, dass existenzialistische Suchen meistens am Grund einer Flasche enden. In "No desert flower" nutzt Scott wiederum hymnische Gesten mit dezenter Lana-Del-Rey-Schlagseite, um sich die Brüche einer Beziehung bewusstzumachen: "I'm not bruised but I'm confused / I mistook your fear for rage / You couldn't wait to get away from me." Ihre Kollegin setzt mit "Tape runs out" noch einen drauf, wenn sie sich aufgrund eines Filmrisses an die entscheidenden Konfliktmomente noch nicht einmal erinnern kann. Anders als auf früheren Alben schreit Baker ihre Verzweiflung nicht heraus, doch besitzt der knisternde Western-Grunge des Tracks samt wuchtigen Drums und heulenden Saiten schon genug Ausdruckskraft.
"Off the wagon" setzt die bedrückte Stimmung fort, Bakers Erzählerin flüchtet sich erneut in die Drogen, weil der Rest ihres Lebens nicht die entsprechende Wirkung hat: "It makes sense to wanna feel good / It makes sense to want not to feel / They say living is something that you choose / But it makes sense with no chips left to lose." Bevor "Send a prayer my way" komplett in der Depression versackt, rudert Scott im Schlussdrittel dagegen. "Tuesday" erzählt zwar vom Scheitern einer Liebe, weil die christlich verbohrte Mutter des Gegenübers nicht mit dessen Homosexualität klarkommt, endet jedoch in der selbstbewussten Überwindung samt Schlusspointe: "And one more thing, if you hear this song / Tell your mama she can go suck an egg." Mit "Sylvia" folgt ein weiteres unerfülltes Liebeslied, diesmal für eine Vierbeinerin. Scott sei dazu inspiriert gewesen, als sie eines Morgens, als sie die titelgebende Pflegehündin aus dem Tierheim holen sollte, Dolly Partons "Cracker Jack" im Radio hörte und innerhalb von Sekunden in Tränen ausbrach. Dass die Songs von "Send a prayer my way" ähnlich überdauern werden, ist anzuzweifeln – doch im Moment können wenige so gut schmerzfrei vom Leiden singen wie Julien Baker und Torres.
Highlights
- Dirt
- Sugar in the tank
- No desert flower
- Tape runs out
Tracklist
- Dirt
- The only marble I've got left
- Sugar in the tank
- Bottom of a bottle
- Downhill both ways
- No desert flower
- Tape runs out
- Off the wagon
- Tuesday
- Showdown
- Sylvia
- Goodbye baby
Gesamtspielzeit: 39:49 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Kiezgrün Postings: 58 Registriert seit 29.05.2023 |
2025-04-21 06:18:44 Uhr
Torres Solo wurde zuletzt redundant, Julien Baker solo gibt mir nichts - aber dieses Album ist stark, insbesondere der Opener. |
kingsuede Postings: 4560 Registriert seit 15.05.2013 |
2025-04-21 00:35:51 Uhr
In letzter viel Willie Nelson aus den 70ern gehört, da geht das gut rein. Besser als Julien Bakers Soloalbum. Von Torres habe ich bislang viel zu wenig gehört, was sich ja noch ändern könnte.Momentan bin ich hier bei einer knappen 8/10. |
Randwer Postings: 3590 Registriert seit 14.05.2014 |
2025-04-18 18:12:05 Uhr
Dass ich mal ein Country-Album kaufen würde hätte ich selbst nicht erwartet. :D |
MickHead Postings: 4960 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-04-18 10:49:14 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:https://julienbakerandtorres.bandcamp.com/album/send-a-prayer-my-way Gaesteliste.de https://www.gaesteliste.de/review/show.html?id=68020e4142871523&_nr=22995 Musikexpress: Album der Woche 5/6 https://www.musikexpress.de/reviews/julien-baker-torres-send-a-prayer-my-way/ Rolling Stone 4/5 https://www.rollingstone.de/reviews/julien-baker-torres-send-a-prayer-my-way/ |
Saschek Postings: 756 Registriert seit 23.07.2018 |
2025-04-17 01:42:29 Uhr
@Julien Baker: Schreien ≠ Emotionale Tiefe |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Julien Baker; Torres; Boygenius; Phoebe Bridgers; Lucy Dacus; Margo Price; Waxahatchee; Hurray For The Riff Raff; Esther Rose; Angel Olsen; Courtney Marie Andrews; Jess Williamson; H.C. McEntire; Kacey Musgraves; The Staves; Adrianne Lenker; Big Thief; Lucinda Williams; Gillian Welch; Emmylou Harris; Dolly Parton; Loretta Lynn; Patsy Cline; Taylor Swift; Maggie Rogers; Fleetwood Mac; Neko Case; Cat Power; Jenny Lewis; Laura Marling; Bright Eyes; Better Oblivion Community Center; M. Ward; Jason Isbell; Elliott Smith
Bestellen bei Amazon
Threads im Plattentests.de-Forum
- Julien Baker & Torres - Send a prayer my way (18 Beiträge / Letzter am 21.04.2025 - 06:18 Uhr)