Fust - Big Ugly

Dear Life / Cargo
VÖ: 07.03.2025
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Der Schlamm der Vergangenheit
"I've got the mud of Big Ugly running through me / And I'll never get it off or get it out." Der Titeltrack von "Big Ugly" bringt spät auf den Punkt, warum sich Fust in den vergangenen 40 Minuten so intensiv mit dem titelgebenden Fluss und seiner Region auseinandergesetzt haben. Egal, wie tiefbohrend Aaron Dowdy die Risse im Fundament seiner Heimat in West Virginia aufdeckt, am Ende kann er sie nicht aus seiner Blutbahn schütteln. Mit einer romanhaften Erzählweise, die ein nahbares Figurenpanorama mit existenzialistischen Fragen und organischen Sprachbildern verknüpft, reiht sich der Literaturstudent bei den großen Beobachter*innen des US-amerikanischen Südens ein. Seine siebenköpfige Band spielt dazu Alt-Country-Rock, der im Geiste anderer von Alex Farrar produzierter Acts wie MJ Lenderman oder Wednesday steht, wenn er auch etwas traditioneller als diese daherkommt. Nicht immer kann die Musik mit der Ausdruckskraft von Dowdys Worten mithalten, doch ist sie essenziell für die Verortung seiner Geschichten. "Big Ugly" transportiert nicht nur seinen Erschaffer in die eigene Vergangenheit zurück, sondern hebt eine Szenerie aus dem Boden, deren Luft man auch am anderen Ende der Leitung fast schmecken kann.
Im harmonischen Zusammenspiel von Pedal Steel, markanten E-Gitarren und allem anderen, was das Septett hergibt, fährt der Opener "Spangled" eines der üppigsten Arrangements der Platte auf, doch darunter regiert der Verfall. Dowdy erzählt von kaputten Highways und abgerissenen Krankenhäusern, während er selbst mit der Entfremdung ringt: "I can't even visit / The last room I may have been in." Der fröhliche Gestus der Musik auf "Big Ugly" ist allerdings keine falsche Fährte, da Fust die Community feiern. In "Gateleg", das mehr nach folkigem Heartland-Rock als nach Country klingt, geht es um kaum mehr, als einer Ladenbesitzerin namens Maggie bei der täglichen Arbeit zu helfen. Begleitet von einer wundervollen Fiddle erkennt "Doghole" die Schönheit unter all der Brüchigkeit: "My family used to get down there / Worked for Union Carbide / It ain't much to look at but it's a place / Beyond the hillside." Den größten akustischen Triumph feiert "Mountain language" mit seinem leichten Grunge-Einschlag samt kräftigeren Riffs und verwaschenem Solo, wobei der Refrain genau deshalb zündet, weil er nicht nach dem höchsten Gipfel greift. Das übernimmt dafür das Synth-gestützte "Bleached", dessen Verweise auf Weihwasser und "boring angels" eine zuvor nicht präsente christliche Symbolik ins Spiel bringen.
Zwischen diesen beiden energetischeren Nummern erhebt sich der Trauerwalzer "Sister", in dem der Verlust eines geliebten Menschen durch Alltagsporträts spürbar wird: "The bread hasn't even molded yet / The light's still on the brink that I fixed last week / You helped me hold it." Musikalisch geben Fust hier einen Ausblick auf das ruhigere Schlussdrittel des Albums. Nachdem der schwungvolle "Goat house blues" die fuzzigen Saiten entladen hat, nimmt sich "What's his name" mit Background-Gesang von Merce Lemon und Piano-Tupfern deutlich zurück. "Jody" nutzt stoisches Midtempo und eine im Gegensatz zum Rest aufgekratzte Fiddle, um die komplizierten Umrisse einer gleichzeitig destruktiven und glücklich machenden Beziehung zu zeichnen: "I've always loved you when you're messed up / As southern kids, we learned how to drink enough / It's all we've got and it's easy / But sometimes it still hurts to see you love me." Der Closer "Heart song" schafft es schließlich, eine auf dem Papier bedrückende Schlusszeile wie "I'm blacking out from living" als Erlösungsstatement in den Pedal-Steel-behangenen Himmel zu schreiben – und drückt damit ein letztes Mal die Ambiguität aus, die sich "Big Ugly" auf die Fahnen geschrieben hat.
Highlights
- Spangled
- Doghole
- Mountain language
Tracklist
- Spangled
- Gateleg
- Doghole
- Mountain language
- Sister
- Bleached
- Goat house blues
- What's his name
- Jody
- Big Ugly
- Heart song
Gesamtspielzeit: 44:05 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28473 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-04-09 20:25:37 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
MickHead Postings: 4577 Registriert seit 21.01.2024 |
2025-03-10 12:33:17 Uhr
Jetzt komplett bei Bandcamp:https://fust.bandcamp.com/album/big-ugly Under The Radar Magazine 8.5/10 |
dreckskerl Postings: 11147 Registriert seit 09.12.2014 |
2025-03-09 13:34:07 Uhr
Und?Das ist aber auch nicht so ganz dein Genre, hör mal in Will Stratton rein...noch n paar mu stärker als Rust. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28473 Registriert seit 08.01.2012 |
2025-03-09 13:20:03 Uhr
Kommt der Maßstab in der Rezi vor?Nö bzw. keine Ahnung. Ich hab nur die 9,6 aufgeschnappt und war neugierig. |
dreckskerl Postings: 11147 Registriert seit 09.12.2014 |
2025-03-09 00:40:16 Uhr
Ah, wegen "Spangled" als Opner vs. "Left and leaving"...ja.Spangled ist verdammt geil. hör dir das öfter an...aber klar "Left and leaving"; ich hörte den Song und ich war ad hoc gefangen...anderes level, keine Frage. |
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Referenzen
MJ Lenderman; Wednesday; Merce Lemon; Sluice; The Weakerthans; The Jayhawks; The Silo; Uncle Tupelo; Wilco; Jeff Tweedy; Drive-By Truckers; Jason Isbell And The 400 Unit; Brown Horse; Justin Townes Earle; Zach Bryan; Big Thief; Buck Meek; Bonny Light Horseman; Esther Rose; H.C. McEntire; Hurray For The Riff Raff; Jess Williamson; Hiss Golden Messenger; The Dead Tongues; Magnolia Electric Co.; Sparklehorse; Bonnie 'Prince' Billy; Neil Young; John Prine; Bob Dylan; Gene Clark; Will Stratton; Bill Callahan; Mitski; Waxahatchee; Kacey Musgraves