Herrenmagazin - Du hast hier nichts verloren

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 04.04.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Best of the rest
"Altersmilde" ist ein seltsames Wort. Ja gar eine Verunglimpfung! Bloß, weil man den aufwühlenden Erfahrungen des Lebens irgendwann eine gesunde Portion Gelassenheit, eine clevere Gleichgütligkeit, ja sogar vielleicht abgeklärte Bestandsaufnahmen folgen lässt? Weil man nicht immer mehr Bock hat, sich so richtig aufzuregen? Selbstschutz, Baby. Denn auch wenn die Welt seit der freiwilligen Pause der Herren von Herrenmagazin eine wenig Mut stiftende geworden ist, müssen sich Deniz Jaspersen, Rasmus Engler und Co. sicherlich nicht vorwerfen lassen, die lyrische Wutkeule auf ihrer (Quasi-)Comeback-LP mal eben steckenzulassen.
Das famose "Das wird alles einmal Dir gehören" traf einst zwar den gesellschaftskritischen Ton, den Hamburgern ging es aber schon immer ein Stück weit mehr vielleicht um Persönliches, Abwegiges. Um den Blick in die Nischen des Menschseins mit Zuneigung und Zusammenhalt, aber vor allem in die dunklen Ecken des Daseins, nah bei den Ängsten, beim Scheitern, ob kurz davor oder danach. Dabei überzeugte ihr Indierock stets, getragen von umarmenden Melodien und tollen Texten. Die auch Album Nummer fünf hat! Das flotte, hochmelodische "Alter Debütant" macht sogleich den Grüßaugust, gefolgt vom Achselzuck-Emoji, und grinst dabei diebisch: "Alles, was mir meinen Blick verstellt / Ist mir so lange schon bekannt / Ich stolper' jeden Morgen in die Welt / Wie ein alter Debütant". Und der Autor dieser Zeilen denkt laut: "Verdammt, wie kommt der Jaspersen nur unbemerkt in meinen Kopf?!"
Musikalisch kommen die elf Songs im Vergleich zur Herrenmagazin-Frühphase nicht mehr ganz so staubig und schrammlig daher, mit Ausnahme der beiden Zweieinhalbminüter "Letzte Ausfahrt" und "Wütende Gespenster" vielleicht. Nicht weniger lauschenswert das akustische Grundgerüst des melancholischen "Unvollständig": ein berührender Song, der selbstkritische Bestandsaufnahme wagt. "Hab' gedacht ich könnte jeden Menschen lieben / Darum lieb' ich heut niemanden richtig / Hab mehr genommen als ich gegeben hab' / War das wirklich mein Bestes? / Oder nur, was der Rest ist?" Tausendfach ertappt. Ähnlich ergeht es einem mit dem zart gezupten Closer, "Ich bin für Dich da". Ergreifend, wenn Jaspersen durchs Mikro haucht, was in Beziehungen beinah jeder mal fühlt und denkt, aber es niemals ausspricht. Weil es zu analytisch, zu realistisch, ja zu hart wäre. Aneinander Festhalten kann in diesen Zeiten sicher auch nicht schaden.
Gefühle und Empfindungen ordnen sich keinesfalls nur in ein Oben und Unten, sind vielmehr diffus und angesiedelt im manchmal grauen, manchmal sehr bunten Dazwischen. Diese eigentlich unscheinbare Welt beleuchten Herrenmagazin abermals besonders gut, gerade in "Harte Hände". Durchaus intensiv gerät dabei der Quasi-Titelsong "Mit halbleeren Worten", wo die Gitarren lärmen dürfen wie früher, zu klaren, mittelfingeruntermalten Worten: "Da, wo alle wissen, was Du tun musst / Da hast Du nichts verloren / Du hast hier nichts verloren!" Hach, da ist es noch, das bisschen Agitation, das bisschen Auflehnung, im grimmigen Blick die wahrlich beharrliche Mär von der goldenen Zukunft der Leistungsgesellschaft. Gar nicht mal so altersmilde, hm?
Highlights
- Alter Debütant
- Unvollständig
- Mit halbleeren Worten
- Harte Hände
Tracklist
- Alter Debütant
- Fragment
- Letzte Ausfahrt
- Kontext
- Unvollständig
- Mehr als ich versteh'
- Wütende Gespenster
- Mit halbleeren Worten
- Harte Hände
- Schleifen
- Ich bin für Dich da
Gesamtspielzeit: 36:25 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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revilo Postings: 155 Registriert seit 18.06.2013 |
2025-04-12 19:40:29 Uhr
Tolles Konzert gestern in Frankfurt. Setlist hat mir sehr gut gefallen, auch das Publikum war gut dabei. Hoffe sie kommen noch mal |
jo Postings: 6825 Registriert seit 13.06.2013 |
2025-04-11 14:34:35 Uhr
Ich kann eric nur komplett zustimmen. Rezension und hier :). |
eric Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 2883 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-04-11 08:30:00 Uhr
Dieses Vertraute, Wohlige, das beim Hören entsteht - ja, man könnte dem Album einerseits schon vorwerfen, dass es zunächst nicht viel mehr ist. Aber andererseits gibt's auch fast keinen Schwachpunkt. Und wie immer perlen sich die coolen Textzeilen und so mancher Aha-Moment erst mit der Zeit heraus.Derzeit mag ich "Letzte Ausfahrt" sehr gern, der ruhige Closer hat sich auch arg gestreckt. |
Glufke Postings: 1042 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-04-10 20:06:02 Uhr
Ich hatte meine Startschwierigkeiten, aber heute bei Sonnenschein wird einem beim Hören des Albums schon ein bisschen selig. Ein richtiges Highlight hat sich aber noch nicht herauskristallisiert, wobei "Fragment" schon einen echt passablen Ohrwurm abgibt. Was mir aber schon direkt beim ersten Hören aufgefallen ist: das Intro von "Harte Hände" kam mir unfassbar bekannt vor. Eben dann mal "Den Revolver entsichern" von Kettcar angemacht - das war des Rätsels Lösung. Im Grand Hotel kann man sich also mal gegenseitig inspirieren... |
sushi Postings: 10 Registriert seit 13.09.2024 |
2025-04-07 11:27:50 Uhr
Dass auf Konzerten die ersten beiden Alben das Groß des Sets ausmachen, ist keine Überraschung. Das wird alles einmal Dir gehören war für mich damals ein sehr wichtiges Album, was von starken Bildern gelebt hat, die über der Musik viel Platz hatten sich bunt zu entfalten. Diese tiefen Eindrücke konnten die Nachfolger nicht erzeugen und auch dieses Album klingt an vielen Stellen beliebig. |
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Referenzen
Deniz Jaspersen; Schrottgrenze; Kettcar; Muff Potter; Tomte; Thees Uhlmann; Trixsi; Blumfeld; Love A; Fotos; Mikroboy; Jupiter Jones; Tocotronic; Vierkanttretlager; Milliarden; Bosse; Tom Liwa; Tele; Sven Regener; Albrecht Schrader; Captain Planet; Keele; Hi Spencer; Die Höchste Eisenbahn; Das Paradies; Isolation Berlin; Kraftklub; Madsen; Fertig, Los!; Provinz; Heisskalt; 1000 Robota; Ja, Panik; Betterov; Alex Mofa Gang; ...But Alive; ClickClickDecker; Gurr; Blum; The Düsseldorf Düsterboys; Jonas Goldbaum; Acht Eimer Hühnerherzen; Marcus Wiebusch; Gisbert zu Knyphausen; Nils Koppruch; Kidd Kopphausen
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