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DJ Koze - Music can hear us

DJ Koze- Music can hear us

Pampa / Rough Trade
VÖ: 04.04.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Die Tanzfläche am Ende der Welt

Ganz alte Hüte: "The one I love" von R.E.M. ist nicht das Liebeslied, für das es einige halten, genauso trägt der Text von The Polices "Every breath you take" eher die Züge eines Stalkers statt eines romantischen Umschwärmers mit sich – und wer bei "Born in the U.S.A." an stumpfen Patriotismus denkt, hat die Lyrics nicht verstanden. Wer weiß aber, dass Righeiras "Vamos a la playa" – oh-oh-oh-oh-oh – keinesfalls die Ballermann'sche Aufforderung zum nächsten Sangria-Saufen ist, sondern stattdessen über die nukleare Apokalypse fantasiert? "Vamos a la playa / La bomba estalló / La radiaciones tostan / Y matizan de azul" ist eine Beschreibung des Sonnenbadens unter radioaktiver Strahlung. So erklärt sich nämlich auch, warum DJ Kozes Version mit Soap&Skin menschenleer klingt, als hätte eine Bombe unmittelbar zuvor eingeschlagen. Und warum das "Oh-oh-oh-oh-oh" aus dem Mund von Anja Plaschg sich wie die letzten Worte eines dahinsiechenden Atompilz-Opfers anhören.

Spaß macht das natürlich nicht, weshalb sich der Doppel-Einschub aus "A dónde vas?" und "Vamos a la playa" eher wie ein unfreiwilliger Besuch im Museum anfühlt zwischen all der leichtfüßigen Elektromucke auf Kozes viertem Longplayer "Music can hear us". Weniger verkopft, aber nicht minder referenzbeladen kommt "Wie schön Du bist" daher, das mit von Arnim Teutoburg-Weiß (Beatsteaks) und The Düsseldorf Düsterboys dem verstorbenen ostdeutschen Soul-Sänger Holger Biege huldigt, dessen Zeilen "Du hast erzählt, gelacht / Mir gezeigt, wie schön Du bist" aus seinem 1978er-Song "Bleib doch" hochgepitcht vorgetragen werden. Das klingt teils mehr nach kuriosem Schlager als nach Soul, aber wer die Düsterboys kennt, weiß, dass sie auf dieser Grenze gern mal den Discofox tanzen.

Und das ist der größte Vorwurf, den man "Music can hear us" überhaupt machen kann: Stellenweise wird es von seinen Gästen übernommen und wirkt dadurch zerrissen. "What about us" ist nämlich nichts anderes als ein ganz guter The-Notwist-Song, mit Markus Acher am Mikro und sogar einem Sample von "Consequence". Die Japaner von Marewrew geleiten die Platte unter viel Geklingel in "Umaoi" zum Ausgang, was stark an "NooOoo" von "Amygdala" erinnert. Tja, und Damon Albarn verantwortet leider die einzige wirklich größere Enttäuschung hier: "Pure love" hängt mit seinen Folk-Spielereien ziellos in der Luft und wird nicht abgeholt. Dabei leitet Koze gewohnt meisterhaft davor ins Album ein. "The universe in a nutshell" ist mit seinen zerschnippelten Vocals und den indisch anmutenden Klängen, die an Four Tet erinnern, genau all das, was man an seiner Musik liebt.

"Music can hear us" verbringt zwei Drittel weitgehend in ruhigeren Fahrwässern, überzeugt vor allem mit Sophia Kennedys gezupftem "Der Fall", das die Dame später mit "Die Gondel" noch mal toppen kann. "Mit der Gondel ins Gebirge / Von wo aus ich verschwinde / Für immer bleiben / Unauffindbar bleiben", so legt sie ihren Plan vor. Zugleich nimmt die Platte mit zwingender Percussion wieder an Fahrt auf, um daraufhin mit "Brushcutter" in den Overdrive-Modus zu gehen. Der wuchtige Beat samt nagendem Synth-Lead könnte glatt aus goldenen Zeiten der Big-Beat-Ära stammen, darüber nuschelt Waters charmant seine Zeilen. "Buschtaxi" denkt derweil gar nicht daran, den Club wieder zu verlassen, sondern unterlegt seine flattrige Melodie mit ballernden Rhythmen, die zur Bewegung förmlich zwingen. Dass Koze "Amygdala" und "Knock knock" noch mal toppt, war nicht erwartbar und es wäre unfair, diese Maßstäbe an "Music can hear us" zu legen. Stattdessen gibt Herr Kozalla sich eklektischer denn je, scheint vor keiner musikalischen Grenzziehung Halt zu machen und kriegt am Ende trotz weniger Längen auf der Gesamtstrecke doch noch locker die Kurve. "Unter meinen Füßen fängt der Boden an zu schwanken / Es ist ein schlechtes Zeichen / Doch ich find' daran Gefallen." Sophia Kennedy singt davon, Ada passiert es im Drop von "Unbelievable" gewissermaßen, wenn ihre Vocals mit der Schere kunstvoll zerschnitten werden. Das ist unterhaltsam, launig und trägt ein paar schwächere Momente mit. "Above our heads the sky's exploding / Behold a world that disappears", singt Markus Acher noch. Wenn die Radiation also alles blau gepinselt hat, können sich die überlebenden Insekten wenigstens hieran erfreuen.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • The universe in a nutshell
  • Die Gondel (feat. Sophia Kennedy)
  • Brushcutter (feat. Marley Waters)
  • Buschtaxi

Tracklist

  1. The universe in a nutshell
  2. Pure love (feat. Damon Albarn)
  3. Der Fall (feat. Sophia Kennedy)
  4. Wie schön Du bist (feat. Arnim Teutoburg-Weiss & The Düsseldorf Düsterboys)
  5. Tu dime cuando (feat. Ada & Sofia Kourtesis)
  6. The talented Mr. Tripley
  7. What about us (feat. Markus Acher)
  8. Unbelievable (feat. Ada)
  9. A dónde vas? (feat. Soap&Skin)
  10. Vamos a la playa (feat. Soap&Skin)
  11. Die Gondel (feat. Sophia Kennedy)
  12. Brushcutter (feat. Marley Waters)
  13. Buschtaxi
  14. Aruna
  15. Umaoi (feat. Marewrew)

Gesamtspielzeit: 65:36 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10530

Registriert seit 26.02.2016

2025-04-14 20:53:03 Uhr
Auf meiner Promo war "Brushcutter" eine knappe Minute länger mit deutlich längerem Intro, dafür "Buschtaxi" eine Minute kürzer als auf dem finalen Album, auch mit anderem Intro und späterem Beateinsatz. Schade eigentlich, fand die Versionen besser.

Oh, jetzt wurden sie überall ausgetauscht offenbar.
Nur der Übergang von "A dónde vas?" zu "Vamos a la playa" ist auf der CD wesentlich besser.

The Libertine

Postings: 263

Registriert seit 29.08.2022

2025-04-10 11:53:53 Uhr
Nach anfänglicher Begeisterung muss ich leider sagen, das mir die Binnendynamik der Platte dann doch irgendwie zu low ist. Gibt schöne Ideen, aber es sind halt oft nur kleine Stimmungsideen und viel Unfertiges, richtige Banger fehlen auch. Das ist Konzept klar, eine Art intelligente, elektronische Musik, aber irgendwie macht es einen auch wahnsinnig, wenn die Tracks fast nie abheben.

Nochmal über Kopfhörer hören.

rheiton

Postings: 11

Registriert seit 26.03.2025

2025-04-06 12:30:15 Uhr
Ohne Sophia Kennedy und Soap&Skin wäre das ein echt hörbares Album. Vermutlich eine 7.1 bei Plattentests.

Perfect Day

Postings: 718

Registriert seit 18.01.2014

2025-04-06 11:17:34 Uhr
Feines Ding, unaufdringlich aber mit großem Grower-Potenzial. Bin heute rein zufällig mit „Buschtaxi“ im Ohr am Münchner Zoo vorgeigejoggt. Da kann ich nur den Daumen hoch geben!

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10530

Registriert seit 26.02.2016

2025-04-06 08:37:20 Uhr
Weird: Auf meiner Promo war "Brushcutter" eine knappe Minute länger mit deutlich längerem Intro, dafür "Buschtaxi" eine Minute kürzer als auf dem finalen Album, auch mit anderem Intro und späterem Beateinsatz. Schade eigentlich, fand die Versionen besser. Ändert nun aber nix an der Rezi/Wertung.
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