Black Country, New Road - Forever howlong

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 04.04.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Freundschaft, Genossen!
Nicht wenige rieben sich verwundert die Ohren, als sie zum ersten Mal "Besties" lauschten, der Debütsingle einer Band in ihrer neuen Inkarnation: als Sextett. Eine Freundschaftserklärung mit Cembalo-Intro und fröhlichen Bläsern wartete da, so poppig und direkt wie nie klingen Black Country, New Road dazu. Klar, auch früher schon bekundeten die Londoner immer wieder ihre Liebe zu Arcade Fire, ihren Wunsch, deren großer Geste nachzueifern. Doch verbarg sich dieses Ziel musikalisch unter sperrigen und dunklen Songs, lyrisch hinter den enigmatischen Erzählungen Isaac Woods'. Der verließ die Band bekanntlich aus persönlichen Gründen vor drei Jahren – quasi zeitgleich mit dem Release des Vorgängers "Ants from up there", das jetzt schon als eines der prägendsten experimentellen Rockalben der Dekade zementiert ist. "Wie kann eine Band ohne ihre markante Stimme weitermachen?", fragten Besorgte, was Black Country, New Road auf denkbar couragierteste Weise beantworteten: mit einem "Live-Album", dessen Übergangsstatus auch dadurch belegt wird, dass sich keiner seiner Songs auf "Forever howlong" wiederfindet.
Der Kollektivgedanke eicht die Band weiterhin und wird nun sogar weitergetrieben. Violinistin Georgia Ellery, Bassistin Tyler Hicks und Pianistin May Kershaw teilen sich den Gesang beinahe paritätisch auf und treten in einen freundschaftlichen Songwriting-Wettkampf miteinander. "Forever howlong" klingt einerseits verblüffend anders als man es gewohnt war – logisch, angesichts der personellen Verschiebungen – und kann sich andererseits vollends verlassen auf die Stärken einer begnadeten Bandchemie. Um eine dreifache weibliche Perspektive habe man die ersten beiden Alben ergänzt, findet Hyde, und trägt diese im zweieinhalbminütigen Parforceritt von "The big spin" als Spielfreude zwischen Orchester-Indie, Breitwandballade und fragilen Falsetteinlagen vor. Kershaw wiederum fächert ihre Einflüsse in vertrackten, stetig abzweigenden Reisen durch einen akustischen Zauberwald auf, aus dem Joanna Newsom mit zweideutigem Grinsen herüberwinkt. "Socks" mäandert auf einem Fundament aus Klavier und Akustikgitarre mit Ornamenten aus Saxofon und Violine, ist zahlreichen Metamorphosen unterworfen. Ihre Vocals entfalten zunehmend eine theatrale Kraft, wobei das kräftige Timbre stellenweise an die frühe Tori Amos erinnert. Zum schunkelnden Walzertakt im letzten Songdrittel sinniert Kershaw über "so many chances steeped in regret" – eine Beobachtung, die ihr wagemutiges Songwriting nie belastet.
Wirkt der Einstieg in "Forever howlong" noch bei allem Einfallsreichtum recht unverbunden, so ist es der umwerfende Mittelteil, der dem Album seine Sogwirkung verpasst. "Two horses" und "Mary" haftet jeweils eine sehnsüchtig sinistre Western-Atmosphäre an, die von Ellery beigesteuerte Mandoline verleiht ihr zusätzliche Tiefe. Sie erzählt von abenteuerlichen Eskapaden, einem Barbesuch mit James-Dean-Lookalike, bevor eine treibende Basslinie den Song davon galoppieren lässt. Stellenweise harmonieren in "Mary" alle drei berückend miteinander – das Album wirkt nun nicht mehr dreigeteilt, sondern zieht aus einem Guss von Höhepunkt zu Höhepunkt. Kershaws Reimkaskaden in "For the cold country" evozieren eine magisch-mittelalterliche Bildlichkeit ("Make cavalries rest their heads / Make their beds out of the trees"), Luke Marks Gitarrenflirren und Lewis Evans' Saxofon kontern und doppeln auch hier ihre wunderbar verschlungenen Gesangslinien. Ein chaotischer Jazz-Break bringt den Song gleichzeitig zum Kollaps und Höhepunkt. In "Nancy tries to take the night" umgarnen sich Melodiefäden im mehrminütigen Akustikintro, später bringt Charlie Waynes famoses Drumming den Konflikt der Protagonistin zwischen rastlosem Leben und Schwangerschaft zu Gehör. "There's a smile on your face but it's covered in hair", verdichtet Hyde gekonnt ihre düstere Geschichte.
Beinahe jeder Song beinhaltet mehr Ideen und Finessen als die ganze Diskografie vieler Bands, doch überfrachtet das Ganze selten. Kershaws zeitlich ungreifbare Fabeln treffen auf Ellerys und Hydes stärker am Alltag orientierte Lyrik: Gerade der Titelsong reiht diese mal zart, mal roh aneinander. Im Verbund entsteht eine enorm vielschichtige Abhandlung über die Erkenntnis selbst, den behutsamen Umgang mit Vergänglichkeit, Freundschaft in all ihren Formen. Hier scheint sie endlich einmal angebracht: die abgedroschene Phrase von der Band, die sich neu erfindet. Im ursprünglich "Geese" betitelten Closer "Goodbye (Don't tell me)" gelingt so etwas wie eine wirklich große Popballade. "I fell down a hole at a speed at which I do not know", bekennt Ellery und beschwört Lewis Carrolls Alice. Am Ende steht der Überschwang der Empfindung: "I've fallen in love with a feeling / Don't tell me goodbye". Wie könnte man! Black Country, New Road sind anno 2025 bei aller Virtuosität erfrischend unzynisch, zelebrieren so eine ansteckende Freude am Miteinander und der kollektiv geteilten Kreativität. Das macht sie auch weiterhin zu einer der besten Rockbands unserer Zeit.
Highlights
- Two horses
- For the cold country
- Nancy tries to take the night
- Goodbye (Don't tell me)
Tracklist
- Besties
- The big spin
- Socks
- Salem sisters
- Two horses
- Mary
- Happy birthday
- For the cold country
- Nancy tries to take the night
- Forever howlong
- Goodbye (Don't tell me)
Gesamtspielzeit: 52:10 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Huhn vom Hof Postings: 7939 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-04-12 11:27:18 Uhr
Mir gefällt die neue Ausrichtung der Band sehr gut. Es passieren viele unvorhersehbare Dinge wie z.B. vertrackte Rhythmen. Der leicht hysterische Gesang von Ex-Sänger Isaac Wood fehlt schon ein bisschen, aber der weibliche Gesang hat definitiv auch was. Ich musste beim Hören manchmal an Joanna Newsom und Bat For Lashes denken.BC,NR haben wieder ein Album geschaffen, das den Hörer fordert und mit jedem Durchgang neue Facetten offenbart. Anspieltipps: For The Cold Country Two Horses Bisherige Studioalben: For The First Time 9/10 (Science Fair) Ants From Up There 9/10 (Basketball Shoes) Forever Howlong 9/10 (For The Cold Country) |
Gomes21 Postings: 5513 Registriert seit 20.06.2013 |
2025-04-11 11:48:03 Uhr
Auf erste Hören ist die Band auch nach der Personalveränderung überhaupt nichts für mich. Bekommt noch ne Chance, weil ich eigentlich bock auf weirdes Zeug habe. |
Huhn vom Hof Postings: 7939 Registriert seit 14.06.2013 |
2025-04-10 23:14:17 Uhr
Ich hoffe, dass ich das Album morgen auf CD bekomme. Meine Stadt bräuchte dringend einen gescheiten Plattenladen.Bin sehr gespannt darauf, zu hören, wie die Band nun ohne Wood klingt. |
Enrico Palazzo Postings: 5734 Registriert seit 22.08.2019 |
2025-04-10 16:56:27 Uhr
Cooles Album. Gefällt mir in Gänze viel viel besser als die für mich nur in Teilen funktionierenden Alben in alter Besetzung. Schöne Überraschung. Vor allem "For The Cold Country" ist fantastisch. |
rheiton Postings: 11 Registriert seit 26.03.2025 |
2025-04-09 09:00:13 Uhr
Band schon immer maßlos überbewertet. |
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Referenzen
Arcade Fire; Fiona Apple; Joanna Newsom; Björk; Richard Dawson; Black Midi; Squid; Fleetwood Mac; Ringo Sheena; Slint; Randy Newman; Tori Amos; Sonic Youth; Godspeed You! Black Emperor; Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra; Beirut; Flotation Toy Warning; Lankum; The Velvet Underground; Nico; The Flaming Lips; Mogwai; Modest Mouse; The Brave Little Abascus; Bark Psychosis; King Crimson; Famous; Jockstrap; Okkervil River; June of 44; Bedhead; PVA; Fat White Family; Arthur Russell; Radiohead; Tindersticks; Jim O'Rourke; Gastr De Sol; The Swirlies; The Claque; Girl Band; Codeine; Fontaines D.C.; Arab Strap; The Boo Radleys; Brian Eno; Roxy Music; Talk Talk; Steve Reich; Philip Glass; Grizzly Bear; Animal Collective; Neutral Milk Hotel
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