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Tunic - A harmony of loss has been sung

Tunic- A harmony of loss has been sung

Midwest Debris
VÖ: 28.02.2025

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Es ist so, dass Du fehlst

Es gibt großartige Platten, die man aber praktisch nie hört. Und wenn doch, beschleicht einen dabei irgendwie ein mulmiges Gefühl, und man fühlt sich schon beim Auflegen unwohl. Weil es nicht nur um ein tolles Album geht, sondern auch um psychische und physische Traumata wie Vergewaltigungen oder andere sexuelle Übergriffe, die Künstler*innen mithilfe der Musik zu verarbeiten und zu überwinden suchen. "This shame should not be mine" von GGGOLDDD war so ein Werk, das nicht nur qualitativ sprachlos machte, und auch Jenny Wilson hatte auf "Exorcism" Erschütterndes zu erzählen. Eine vermutlich ähnlich schwer zu verkraftende Erfahrung: die Fehlgeburt, welche die Ehefrau von Tunic-Frontmann David Schellenberg im Jahre 2023 erlitt. Und davon erzählt der vierte Longplayer der auf ein Kernduo geschrumpften Noise-Rock-Kanadier in jeder Sekunde.

Schmerz, Wut, Trauer und Verzweiflung tropfen aus "A harmony of loss has been sung" – und es verwundert beinahe, dass so viel davon in knapp 33 Minuten passt. Und wenn hier angesichts des düsteren Überbaus tatsächlich eine Spur von Ironie oder gar Humor zu finden sein sollte, dann allenfalls im Titel: Gesang im eigentlichen Sinne ist auf dem bisher kantigsten, am meisten ins Atonale lappenden Tunic-Album nämlich so gut wie gar nicht zu hören, und auch mit der Harmonie wird es mal wieder nichts. Dafür umso mehr mit tosenden Drum-Synkopen, gemarterten Screamo-Eruptionen und ins Fleisch schneidenden Sknng-Gitarren – auch wenn deren Erfinder, Big-Black-Kopf und Produzenten-Legende Steve Albini, aus so betrüblichen wie verständlichen Gründen nicht mehr an den Aufnahmen teilnehmen konnte. Er und seine Band klingen dennoch durch. In den dünn gesäten Breaks, die mit freudlosen Deadpan-Vocals zum Durchatmen einladen wie einst in Stücken wie "L Dopa" oder "Fish fry", sowie in der Kompromisslosigkeit, mit der Tunic Hässliches auf ebenso hässliche Weise vertonen. Und sitzt dann noch statt Jace Lasek von The Besnard Lakes Krawall-Experte Seth Manchester an den Reglern, ist die Metzelei perfekt.

Dennoch beeindruckt vor allem die punktgenau eingesetzte Power, mit der Tunic unter Manchesters Regie ihre immer länger werdenden Songs höchst abgezirkelt unters Volk prügeln. Schon der ungerührt auf wenig mehr als ein Riff setzende Opener "Sorrow's grip" gemahnt eher an Chicago-Lärm der ersten Generation von The Jesus Lizard oder Big'n als an die sludgigen Schlachtfeste vergleichbar selbstkasteiender Bands wie Meth. oder Chat Pile. So klingt Disziplin in den dunkelsten Stunden. Nur einer der vielen Vorzüge eines Albums, das sich gerade so viel Durchdrehen erlaubt, dass die trotzdem erkennbaren Songs nicht unter grobem Industrie-Gewalze verschwinden. "Ordinary unique pain" begehrt noch ein wenig empörter auf, ehe "The sharpening of a blade" in ein Laut-leise-Stahlbad eintaucht, splitternde Entleibungsübungen auf der Gitarre addiert und unschöne körperliche Bilder heraufbeschwört. Und auch das bassige, in einer Abwärtsspirale versinkende "No greater loss" beschließt nur "A harmony of loss has been sung", nicht jedoch Leid und Seelenpein. Das Lamento auf ein Leben, das endete, bevor es begann und das Phrasen wie "aus unserer Mitte gerissen" einen noch fieseren Beigeschmack verleiht. Wir müssen immerhin lediglich mit dieser niederschmetternden, aber famosen halben Stunde fertigwerden.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Sorrow's grip
  • The sharpening of a blade

Tracklist

  1. Sorrow's grip
  2. Ordinary unique pain
  3. The sharpening of a blade
  4. Eyes crossed out
  5. Spoiled fruit
  6. No greater loss

Gesamtspielzeit: 32:56 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Herr

Postings: 2787

Registriert seit 17.08.2013

2025-03-27 12:18:18 Uhr
Schon beeindruckend und die Rezension ist treffend und spannend geschrieben.
Ich kann aber, obwohl geschult in Musik für den fortgeschrittenen Hörer, mehr als 3 Songs am Stück nicht aushalten. Zu krass leider.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28473

Registriert seit 08.01.2012

2025-03-26 20:27:08 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?



u.x.o.

Postings: 561

Registriert seit 29.08.2019

2025-03-01 15:29:55 Uhr
Lyrisch sehr heavy, das ist praktisch ein Konzeptalbum der Fehlgeburt der Frau des Sängers. Habe es am Morgen gehört und empfand es als zorniger als alles zuvor. I might like it.. werde ich aber häufiger hören müssen, um es besser einzuordnen.

Glufke

Postings: 1042

Registriert seit 15.08.2017

2025-03-01 07:19:13 Uhr
Das vierte Album "A Harmony of Loss Has Been Sung" ist gestern erschienen.
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