Deafheaven - Lonely people with power

Roadrunner / Warner
VÖ: 28.03.2025
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Den Schleier lüften
In entzauberten Zeiten bleiben Deafheaven eine Band für die magischen Momente. Momente, die das Getose drumherum nicht obsolet werden lassen. Sondern Momente, in denen alles kulminiert. Die die angestaute Spannung auflösen, nur um sie sogleich wieder neu anschwellen zu lassen. Im Titelsong des 2013er-Meisterwerks "Sunbather" bricht sich die Epiphanie ungefähr bei Minute Acht Bahn. "Lonely people with power" erreicht einen derartigen Punkt, wenn Frontmann George Clarke die Worte "suicidal mania" so gequält ins Mikrofon presst, dass auch Tonnen aus Lärm die darunterlegende Verletzung nicht zuschütten können. "Magnolia" heißt der Song, die erste Vorab-Single, die bereits wenig Zweifel lässt, dass Deafheaven sich im fünfzehnten Jahr ihres Bestehens kopfüber in die Vergangenheit stürzen. Deafheaven haben zurückgefunden zu einer metallischen Härte, die zuletzt auf "Infinite grafite" über weite Strecken nur noch in Spurenelementen vorhanden war. Plötzlich sind sie wieder voll da. Die verwaschen Blackgaze-Oberflächen im grell-gleißenden Sonnenlicht. Die besinnungslos hämmernden Riffs von "New Bermuda". Die entfesselten Schreie.
Vorbei ist es dagegen mit der einlullenden Gleichförmigkeit des auf seine eigene Weise geglückten Vorgängers. Alles ist jetzt offener Kampf, blinde Raserei, kein Entkommen. Aber auch: Schönheit, Funkeln: "I was everything taught to me." Stilistisch sind die Kalifornier vielleicht mehr denn je die Geiseln ihrer selbstgeschaffen Konventionen. Aber sie wissen darum und ringen damit. Wie Deafheaven auf "Lonely people with power" wieder und wieder aufbegehren, den Kopf in den Himmel recken und nach vermeintlichen oder tatsächlichen Auswegen suchen, ist schlicht und ergreifend groß. Der wirkliche Clou ist aber, wie sich das alles entfaltet und ineinandergreift, in einzelnen Songs und im Ganzen. Denn dazwischen und mittendrin: flimmernder Post-Rock, feine Melodien und das gar nicht so nebensächliche dreiteilige Pre- beziehungsweise Interlude "Incidental" mit Sängerin Jae Matthews und Paul Banks von Interpol. Letzteres sorgt für Unterbrechungen, die den Wahrnehmungs- und Empfindungsapparat neu justieren und hinführen zu den zerhackten Rhythmen, die sich in "Revelator" schieben, und der überwältigenden Grazie von "Winona". Alles in allem ist "Lonely people with power" nicht weniger vielgestaltig und abwechslungsreich als etwa "Ordinary corrupt human love". Doch sind die Wechsel und Übergänge jetzt fließender und weniger schroff, liegt alles enger beieinander, wirkt kohärent.
Früh zeigt sich diese Verdichtung in "Doberman", wo Deafhaven im Grunde alles Wesentliche einmal durch relativ schlanke sechseinhalb Minuten peitschen. Eine rohe Blaupause, auf die dann immer neue Schleifen und Verschränkungen folgen, hin zu einem zwischen Zärtlichkeit und Tobsucht irrlichternden Song wie "Body behavior". Hin zu Songs wie "Garden route" und "Amethyst", die peu à peu anwachsen, größer und größer werden. Aber auch hin zu "Heaven", wo cleane Gesangparts mit den typischen Shouts einen wirkungsvollen Kontrast ergeben. "Losing all reason / He's never learning." Das stimmt. Und gleichzeitig ist auch das Gegenteil wahr. "Lonely people with power" zelebriert diese Dialektik in bestechender Manier und auf allen Ebenen. Zwar kommt man kaum umhin, den Albumtitel auch als Kommentar auf die Weltlage zu lesen, als Anspielung auf irre Techno-Oligarchen oder verkappte Führer. Das aber ist bloß Zeitgeist. Es geht um weit mehr. Es geht um Existenzielles. Ohnmacht und Verlorenheit, Sehnsucht und Aufbruch. Schwarz und Weiß. Und dazwischen alle Farben des Regenbogens. Das Transzendentale, das in dieser Musik von Beginn an angelegt war, Deafheaven treiben es erneut in schwindelerregende Höhen.
Highlights
- Magnolia
- Amethyst
- Body behavior
- Winona
Tracklist
- Incidental I
- Doberman
- Magnolia
- The garden route
- Heathen
- Amethyst
- Incidental II (feat. Jae Matthews)
- Revelator
- Body behavior
- Incidental III (feat. Paul Banks)
- Winona
- The marvelous orange tree
Gesamtspielzeit: 62:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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sizeofanocean Postings: 1666 Registriert seit 27.01.2020 |
2025-04-10 20:57:00 Uhr
super Album, aber Intro und Interludes blende ich komplett aus, die bringen der Platte gar nix, Coke Bottle Green Vinyl bei imusic immer noch für "nur" 35 Euro inkl. Porto |
Marküs Postings: 1438 Registriert seit 08.02.2018 |
2025-04-10 20:22:11 Uhr
Es ist ein so dermaßen wunderschönes Album und wird sogar noch immer besser. Mein liebstes war bisher OCHL. Jetzt ist es Lonely people with Power! Eine top ten Liste 2025 ohne diese Scheibe wird es nicht geben. Die Interludien sind fantastisch und die Produktion einfach nur erhaben |
Gomes21 Postings: 5513 Registriert seit 20.06.2013 |
2025-04-10 19:37:21 Uhr
Ich hätte mir noch einen Ticken mehr Klargesang gewünscht, aber ich finde das Album echt wahnsinnig gut. Das hätte ich nicht erwartet. Tolle Platte. Nur der Vinylpreis ist ärgerlich. |
Glufke Postings: 1042 Registriert seit 15.08.2017 |
2025-04-10 19:36:27 Uhr
Ich schließe mich komplett an, die lief jetzt seit Release schon sehr oft und hat mich zum Fan gemacht. Ich finde die Interludes aber mal ausnahmsweise nicht nervig, 1 und 2 finde ich sogar sehr passend. Habe mich dann auch mal durch die ganze Diskografie gehört. "Roads to Judah" ist auch echt groß und vielleicht noch einen Tacken besser als "Sunbather". Am wenigsten gefallen haben mir "New Bermuda" und "Infinite Granite" (trotz echt toller Melodiebögen bei letzterer), weil da irgendwie das Gleichgewicht zwischen hart und zart in die jeweilige Richtung nicht stimmig ist und ich gerade die Balance aus beiden bei Deafheaven so spannend finde. |
Affengitarre User und News-Scout Postings: 11384 Registriert seit 23.07.2014 |
2025-04-10 19:25:53 Uhr
Ich bin bisher sehr begeistert und glaube, das wird auf lange Sicht mein liebstes Album der Band. Die melodischen und harten Parts werden sehr organisch miteinander verbunden, die Produktion ist wunderbar wuchtig und doch sehr klar. Nach der "Sunbather" waren für mich alle folgenden Releases mindestens ein Level darunter, hier hat mich die Band aber endlich wieder. Toll! |
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Referenzen
Alcest; MØL; Liturgy; Altar Of Plagues; Woods Of Desolation; Wolves In The Throne Room; Amesoeurs; Lantlôs; Oathbreaker; Immortal; Mayhem; Darkthrone; Silencer; Emperor; Harakiri For The Sky; Burzum; Shining; Weakling; Agalloch; Envy; Tempel; Mogwai; Godspeed You!Black Emperor; Explosions In The Sky; Happy Days; Cult Of Luna; Interpol; From Monument To Masses; Leviathan; Neurosis; Nortt; Der Weg Einer Freiheit; No Point in Living; Peste; Chelsea Wolfe; Birds In Row; Touché Amoré; Isis; Kylesa; Russian Circles; Baroness; Maserati; Swans; Converge; Mono; Knocked Loose; Krallice; Panopticon; Ash Borer; The Cure; Sólstafir; Omega Massif; Anna Von Hausswolff; Paysage D'Hiver
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