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Jason Isbell - Foxes in the snow

Jason Isbell- Foxes in the snow

Southeastern / Membran
VÖ: 07.03.2025

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Ein neues Leben

Mehr als Stimme und Akustikgitarre braucht es nicht – so lautet die Arbeitshypothese von Jason Isbells zehntem Studioalbum "Foxes in the snow". Eine Reduktion aufs Wesentliche steht ihm eingeschrieben, die zwei Gründe kennt: zum einen das Selbstvertrauen eines arrivierten Songwriters, der von Alt- bis Mainstream-Country längst große Akzeptanz erfährt. Aber zum anderen eben auch persönliche Zäsuren. Letztmals auf "Southeastern" vor rund zwölf Jahren präsentierte sich Isbell so intim und verletzlich, damals das Resultat tiefer Krisen und Alkoholprobleme, die zum Gipfel seiner Diskografie führten. Statt seinen Americana einmal mehr mit dem flexiblen Roots-Rock vergangener Alben zu würzen, blickt "Foxes in the snow" nun ebenfalls musikalisch und textlich nach innen, wenngleich aus anderen Gründen. Die Mehrheit der elf neuen Songs befasst sich mit der Dualität von Beziehungen – Lieder über Isbells Scheidung von der Musikerkollegin Amanda Shires prallen in verblüffend harten Schnitten auf solche über das neu gefundene Glück mit der Malerin Anna Weyant, die auf dem Kunstmarkt gerade lukrativ im Trend liegt und auch das Cover beigesteuert hat.

Beim Hören stellt man zunächst fest, dass Isbell ein immer besserer Sänger wird – gerade in den Höhen kratzt seine Stimme emotional, nimmt ein. Die filigrane Gitarrenarbeit wechselt mühelos zwischen folkigen Harmonien und bluesigem Picking, groovt dabei trotz ihrer melodischen Vielfalt songdienlich. Zugleich beschleicht einen bald das Gefühl einer Zerrissenheit, die womöglich verschiedene Ursachen hat. Einer der Knackpunkte für die scheiternde Ehe von Shires, gab Isbell kürzlich zu Protokoll, sei sein deutlich rasanter wachsender Erfolg gewesen. Lange haben bekanntlich vor allem die Unterprivilegierten und Marginalisierten Amerikas seine Songs bevölkert und darin eine Stimme bekommen. Nun ist Isbell inzwischen vollends im Establishment angekommen, hatte sogar einen Auftritt auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten und verkehrt in der luxuriösen Kunstszene New Yorks. Diesen Spagat auszuhalten, fällt nicht leicht: In "Open and close" erzählt er zu sanft fließenden Gitarrenmelodien offen von der ersten Begegnung mit Weyant und dem Besuch in ihrem Apartment. Das liegt in einem Haus mit eigenem Pförtner, den der verzauberte Isbell "sweet" findet. Anders gesagt: Wer gemeinhin sein sozialkritisches, politisches Material vorzieht, wird auf "Foxes in the snow" selten fündig. Da wirkt es fast wie ein selbstironischer Kommentar, wenn der repetitive Lebensratgeber "Don't be tough" verlangt: "Don't be shitty to the waiter / He's had a harder day than you."

Highlights finden sich dennoch zahlreich. Der Acapella-Einstieg von "Bury me" erinnert an Traditionals aus dem Great American Songbook, während Isbell die initiale Selbstverortung vornimmt. Die brodelnde, hypnotische Atmosphäre des Titeltracks bereitet Raum für den elegantesten Reim des Albums: Auf "all the dreams that die unseen" folgt die Zeile "all the Diphenhydramine". Und auch "Eileen" wartet neben seinen stereotypen Beschreibungen zwischenmenschlichen Verfalls mit einem äußerst prägnanten Leitmotiv auf: "Forever is a dead man's joke." Es fällt auf, wie sich die Songs über Shires und Weyant stilistisch unterscheiden: "Gravelweed" besingt im hymnischen Refrain Verarbeitungsmechanismen einer Trennung; auch "True believer" durchdringt seinen Schmerz in einem eindringlichen, ergreifend vorgetragenen Chorus.

Das neue Glück wird hingegen meist in intrikaten Gitarrenfiguren umgarnt, kommt weniger direkt daher – ob beim Barbesuch in Isbells Wahlheimat Nashville, garniert mit Kneipenfloskeln ("Ride to Robert's") oder den New Yorker Szenen von "Open and close". Der vielleicht stärkste Moment des Albums wagt sich thematisch dann in einen ganz anderen Bereich. "Crimson and clay" lässt Bilder aus Isbells Kindheit in den Südstaaten vorbeiziehen und lotet zu wehmütigen Akkordfolgen das ambivalente Gefühl aus, fremd zu sein in der eigenen Kultur. Nie verliert man auf "Foxes in the snow" den grundsätzlichen Eindruck, einem Meister seines Fachs bei der Arbeit zuzusehen, ohne Netz und doppelten Boden, darum umso klarer. Und doch bleibt ein leises Grübeln über Isbells textlichen Fokus, der manchmal näher als gewohnt am Klischee operiert und seine Beobachtungsgabe diesmal vor allem auf sich selbst richtet.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Gravelweed
  • Foxes in the snow
  • Crimson and clay

Tracklist

  1. Bury me
  2. Ride to Robert's
  3. Eileen
  4. Gravelweed
  5. Don't be tough
  6. Open and close
  7. Foxes in the snow
  8. Crimson and clay
  9. Good while it lasted
  10. True believer
  11. Wind behind the rain

Gesamtspielzeit: 38:02 min.

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User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28471

Registriert seit 08.01.2012

2025-03-19 19:36:04 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Zappyesque

Postings: 1022

Registriert seit 22.01.2014

2025-03-19 19:27:40 Uhr
Ja ganz genau - wollte jetzt niemandem etwas madig reden - ist ja am Ende auch Geschmackssache. Nur mal eine etwas andere Meinung dazu :)

Grizzly Adams

Postings: 5872

Registriert seit 22.08.2019

2025-03-19 19:26:08 Uhr
@Zappy: Macht ja nix. Du versuchst ja deine Rezeption zu erklären. Das passt schon und ist besser als „alles Mist, kann damit nichts anfangen“. Zumal du durchaus einen Zugang zu Isbell hast, wie ich deinem Post entnehme (die ersten Singles vielversprechend). Und dir das iAlbum in einem Bandsound auch besser vorstellen könntest.

Zappyesque

Postings: 1022

Registriert seit 22.01.2014

2025-03-19 17:31:36 Uhr
Ich stehe wohl alleine mit meiner Enttäuschung über dieses Album in diesem Forum da. Dabei waren die Singles recht vielversprechend. Bleiben für mich die besten Nummern. „Ride To Roberts“ ist noch ganz nett - ne frisch verliebte Nummer. Sonst habe ich mit den Texten große Schwierigkeiten - alles ein bisschen platt, gepaart mit trivialen Akkorden und Strukturen - wie zum Beispiel der pathetische Refrain von „Eileen“. Teilweise klingen die Songs auch so, als waren sie eigentlich für breite Instrumentierungen vorgesehen. „Gravelweed“ ist auch so ein Song in dem der Refrain plötzlich, gefühlt mit dem Vers unverwandt, pathetisch reinplatzt. „Dont‘ be tough“ ist für mich vielleicht der Tiefpunkt and dem eine Plattitüde an die nächste gekoppelt wird. Soll irgendwie klassisch und subtil (textlich vielleicht das Gegenteil) wirken, kommt am Ende aber einfach faul daher - „don’t be shitty to the waiter, he’s had a harder day than you / don’t make babies stay up later just because they’re so damn cute“ - uff. „Crimson and the clay“ ist eine der Nummern, die sehr nach einer größeren Instrumentierung schreit, mit treibendem Schlagzeug. Funktioniert auch so ok, aber auch nicht mehr. Mit „good while it lasted“ genau dasselbe Schlagmuster hinterhergejagt, überhaupt ein Song der eine ähnliche Energie hat - da verstehe ich das sequencing nicht… hintenraus wird’s wieder besser.
Komme auf ne 6/10

Hierkannmanparken

Postings: 2106

Registriert seit 22.10.2021

2025-03-18 14:14:08 Uhr
True Believer ist so wahnsinnig gut. Was für ein Refrain! (aber auch das Gitarrenmotiv in den Strophen ist richtig schön)
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